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Fälschlich am Pranger

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Schwaben sind doch nicht so sparsam wie immer behauptet: Ein Internet-Portal identifizierte in einer 120-Städte-Studie die Heilbronner als Stromverschwender. Bundesweit vergeuden angeblich die Bamberger am meisten. Die Energieversorger wundern sich: Vor Ort drehen sich die Stromzähler viel langsamer. Ein Lehrstück, wie mit "Studien" Werbung gemacht wird.

Strom taugt derzeit immer für Schlagzeilen. Das dachte sich wohl auch die Unister-Gruppe aus Leipzig, die im Internet mehrere Dutzend Reise-, Versicherungs-, Kreditvergleichs- und Partnervermittlungsportale betreibt. Über ihr Versicherungs- und Energieportal veröffentlichte sie vor Kurzem eine umfangreiche Studie, die auf großes mediales Interesse stieß. Für die Studie wurden angeblich stichprobenartig 120 000 Strom-Verträge, die in den beiden vergangenen Jahren online abgeschlossen wurden, analysiert. Als Ergebnis präsentierte das Portal ein 120-Städte-Ranking beim Pro-Kopf-Verbrauch an Elektrizität. Den Vogel schoss dabei angeblich das oberfränkische Bamberg ab. Stolze 2235 Kilowattstunden (kWh) Elektrizität verbraucht durchschnittlich jeder Bewohner der idyllischen Domstadt am Zusammenfluss von Main und Regnitz – und damit so viel wie kein anderer Bürger einer größeren Stadt in Deutschland. "Das sind satte 21,8 Prozent mehr Strom, als der deutsche Durchschnittseinwohner jährlich verbraucht (1836 kWh)", vermeldete das Online-Portal per Pressemitteilung. 

Zur wenig schmeichelhafte Stromverschwender-Ehre, deren Einwohner über zehn Prozent mehr als im bundesweiten Schnitt verbrauchen, kamen insgesamt 17 Städte. Hinter Spitzenreiter Bamberg folgen unter anderen Regensburg (2183 kWh), Osnabrück (2180 kWh) und Aachen (2147 kWh) auf den Plätzen. "Fakt ist: Aus Bayern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland kommen die größten Stromverschwender-Städte mit einem durchschnittlichen Stromverbrauch von über 2105 kWh", folgert das Portal.

Als einzige Stadt aus Baden-Württemberg findet sich Heilbronn in der Verschwender-Hitliste. Die siebtgrößte Stadt des Südweststaats mit knapp 120 000 Einwohnern bringt es auf einen Pro-Kopf-Verbrauch von 2065 Kilowattstunden, was ihr Platz 14 im Negativ-Ranking beschert. Die Bewohner der baden-württembergischen Landeshauptstadt werden dem Ruf der Schwaben gerecht: Stuttgarter verbrauchen jährlich 1705 Kilowattstunden.

Stuttgart verpasste damit um wenige Plätze die Kategorie "Stromsparer", die von ostdeutschen Städten dominiert ist. Das liege an den niedrigen Einkommensverhältnissen der Menschen, die einen sparsamen Stromverbrauch erzwängen, schlussfolgert die Studie. Die sparsamsten Stromsparer leben demnach in Schwerin, wo beim Durchschnittseinwohner nur 1350 Kilowattstunden aus den Steckdosen fließen. Aus Baden-Württemberg schafften es Freiburg (1637 kWh) und Ulm (1537 kWh) in die Vorbildgruppe.

Studienergebnisse schrecken örtliche Stadtwerke auf

In den "Sünder"-Städten sorgte die Unister-Studie für Aufregung. Nicht weil man touristischen Imageverlust oder gar Demonstrationen von Umweltschützern befürchtete. Vielmehr weil sich die örtlichen Energieversorger den hohen Verbrauch nicht erklären konnten. "Das hat uns eiskalt erwischt", sagt Jan Giersberg, Sprecher der Stadtwerke Bamberg. Noch am Tag, als die Studie veröffentlicht wurde, habe man alle verfügbaren Verbrauchsdaten von 31 000 Bamberger Haushalten nachgeprüft. "Unsere Prüfung hat die Portal-Studie nicht bestätigt", erläutert Giersberg.

"Im vergangenen Jahr hat jeder Bamberger Bürger in seinem Haushalt rund 1280 Kilowattstunden Strom verbraucht, der durchschnittliche Stromverbrauch pro Haushalt (1,76 Personen) lag bei 2255 Kilowattstunden", so das offizielle Ergebnis. Der Stadtwerkesprecher konnte die gute Nachricht sofort an zahlreiche Journalisten weitergeben, die vor Ort über die Bamberger Stromverschwender recherchierten. "Bei uns standen alle großen Sender, Magazine und Zeitungen auf der Matte", berichtet er über den Medienansturm.

Auch in Heilbronn begannen die Mitarbeiter des örtlichen Energieversorgers Zeag Energie AG nach Bekanntwerden des Städte-Rankings die Verbrauchsdaten zu vergleichen. Auch in der Kätchenstadt fiel das Ergebnis besser aus. "Ein Vier-Personen-Haushalt in Heilbronn verbraucht jährlich im Schnitt lediglich 2500 Kilowattstunden pro Jahr", sagt Sprecherin Jutta Wachter. Das sei deutlich weniger als im bundesweiten Schnitt.

Doch wie kommt es zu derartigen Studienergebnissen weitab von der Realität? Tatsächlich veröffentlicht die Unister-Gruppe über ihre verschiedenen Portale regelmäßig große "Studien" und "Tests". Oft mit medienwirksamen Themen. Vor dem Stromverbrauch gab es unter anderem ein großes Städte-Ranking zu Wohnungseinbrüchen. Jan Giersberg von den Bamberger Stadtwerken vermutet, dass es sich bei der aktuellen Strom-Ranking mehr um eine Marketingstrategie als um eine aussagekräftige Verbraucherstudie handelt. Klarheit darüber wollte sich der Stadtwerke-Sprecher direkt bei dem Portalbetreiber verschaffen. Doch telefonisch war kein Ansprechpartner bei dem Leipziger Unternehmen zu erreichen. Auch Kontext hatte keinen Erfolg, via Mail und Telefon Kontakt mit dem Portalbetreiber aufzunehmen.Für Giersberg ist Entwarnung angesagt: "Man sollte sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen lassen", rät er.

Kontext hat in Sachen Stromverbrauch weiterrecherchiert. Nach Angaben des Branchenverbands BDEW verbraucht in Deutschland am meisten Strom, wer allein lebt: Ein Single-Haushalt braucht jährlich im Schnitt 2050 Kilowattstunden. Ein Zwei-Personen-Haushalt nutzt jährlich etwa 3440 Kilowattstunden Strom. Der Verbrauch pro Kopf beträgt 1720 kWh und nimmt mit wachsender Haushaltsgröße stetig ab. So verbraucht eine Familie mit drei Personen durchschnittlich 4050 und ein Vier-Personen-Haushalt 4940 kWh Strom im Jahr.

"Ein höherer Pro-Kopf-Stromverbrauch hat nichts mit Stromverschwendung zu tun, sondern eher strukturelle und demografische Gründe", vermutet auch BDEW-Sprecher Jan Ulland. Es gebe zudem regionale und historische Unterschiede bei der Energienutzung im Haushalt. Einen großen Unterschied mache, wie gekocht und wie Warmwasser bereitet wird. "Wenn mehr Leute mit Gas kochen, ist der Stromverbrauch automatisch niedriger, wenn die Warmwasserbereitung mit Strom erfolgt, ist der Stromverbrauch natürlich höher. In Gebieten, in denen Strom auch zum Heizen eingesetzt wird, natürlich erst recht", so Ulland.

Viele Faktoren beeinflussen den persönlichen Stromverbrauch

Ein weiterer Verbrauchsfaktor sei die Ausstattung mit elektrischen Geräten. "Diese kann mit steigendem Lebensstandard höher liegen, sprich, der Stromverbrauch ist auch vom Einkommensniveau einer Region bestimmt", erläutert Ullland. Andererseits können sich Besserverdiener auch eher energieeffiziente Geräte neu anschaffen. "Welcher Effekt hier stärker wirkt ist schwer zu erfassen, aber auch hier gibt es strukturelle Unterschiede", sagt BDEW-Sprecher Ulland.

Übrigens: Bundesweit ging Stromverbrauch von Haushalten und Wirtschaft im vergangenen Jahr leicht auf 596 Milliarden kWh zurück. 2012 hatte er bei 607 Milliarden kWh gelegen. Das ist ein Rückgang von 1,8 Prozent. Gründe dafür liegen nach Angaben des BDEW in der bislang schwachen Produktionsentwicklung in der Industrie, insbesondere bei stromintensiven Produktionsprozessen, aber auch am im Jahr 2013 fehlenden Schalttag sowie generellen Effizienzsteigerungen beim Stromverbrauch.


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4 Kommentare verfügbar

  • Tillupp
    am 07.03.2014
    Antworten
    Es ist wie so oft in Politik und Journalismus: "Wissen = Macht" und "Information = Steuerung". Man sollte immer hinterfragen: Wer? Was? Wann? (Wie? Wo?) und Warum. Die meisten Aussagen versuchen das Umfeld zu beeinflussen, man darf nicht alles 1:1 glauben.
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