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Die Kirche bleibt im Dorf

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Die Filmbranche in Baden-Württemberg: Die einen träumten vom Big Business, die anderen von einer Bühne zur Selbstdarstellung, die Dritten, wie der SWR, wollten die Herrscher über die Bilder bleiben. Die meisten dieser Blütenträume sind geplatzt. Aber jetzt, ab dem 4. Dezember, wird wieder gefeiert. Kontext-Autor Wilhelm Reschl bleibt ganz nüchtern.

Wie in jedem Jahr ist Anfang Dezember Hochbetrieb beim Filmbüro Baden-Württemberg. Im altehrwürdigen Metropol Kino, im Herzen der Landeshauptstadt, wird der rote Teppich ausgerollt. Der Chef des Filmbüros, Oliver Mahn, liebt rote Teppiche, und für seine, branchenüblich, eher kärglich bezahlten MitarbeiterInnen ist die Filmschau Baden-Württemberg der Höhepunkt ihres Arbeitsjahres. Zum 19. Mal findet diese Leistungsschau der heimischen Filmbranche 2013 statt. Fast genau so lange gibt es auch die Filmförderung der Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg (MFG), der wohl wichtigsten Institution für FilmemacherInnen. Seit Beginn wird sie von Gabriele Röthemeyer geleitet. Bei der festlichen Eröffnung dieser Filmschau wird sich bereits ihr Nachfolger an das geladene Publikum wenden. Man kann also von einer Woche des Umbruchs für die Film- und Kinobranche im Südwesten der Republik sprechen.

Als die Medien- und Filmgesellschaft Mitte der 90er-Jahre gegründet wurde, war hierzulande noch nicht allzu viel von Film und neuen Medien zu spüren. Gewiss, es gab das Festival in Mannheim und das Trickfilmfestival in Stuttgart, das Filmbüro und das "Haus des Dokumentarfilms", einige kommunale und auch andere Filmkunst-Kinos. Die Filmakademie in Ludwigsburg bestand erst seit vier Jahren – sie wurde noch im Experimentiermodus betrieben. Über das ganze Land verstreut mühten sich auch Filmfirmen, meist Kleinstunternehmen, sogenannte Rucksack-Produzenten. Einsame Herrscher im Reich der bewegten Bilder waren aber die öffentlich-rechtlichen Sender Süddeutscher Rundfunk in Stuttgart und Südwestfunk in Baden-Baden.

Christoph Palmer (CDU) wollte eine Revolution von oben

Später als anderswo kam in Baden-Württemberg die Filmpolitik in Fahrt. Des Landesvaters Teufel rühriger Staatsminister Christoph Palmer (CDU) zog die Film- und Medienpolitik an sich. Nun sollten in kurzer Zeit alle Zutaten eines Filmlandes aus dem Boden gestampft werden. Eine Art filmpolitische Revolution von oben. Kernstück der kühnen Pläne war die Landesfilmförderung. Doch selbst deren Finanzausstattung blieb zunächst eher bescheiden. Mit fünf Millionen Euro sollten Festivals bezuschusst und neue installiert werden, die Kinos im Lande unterstützt und der Filmakademie geholfen werden; vor allem aber die Produktion von Filmen –Animations-, Dokumentar- und Spielfilmen – gefördert werden. Vom Drehbuch bis zum Vertrieb. Dabei waren die Absichten der Gesellschafter, also des Landes und der beiden Sender, eher unterschiedlich: Die Landesregierung träumte vom Aufbau einer heimischen Filmwirtschaft, die Sender wollten vor allem ihre eigenen Programmvorhaben fördern.

Die gut vernetzte und ganz und gar nicht provinzielle Gabriele Röthemeyer kriegte das irgendwie unter einen Hut – allerdings oft nur zähneknirschend ob der Zumutungen ihrer Gesellschafter. Und bald stellten sich auch Erfolge ein. "Blackbox BRD" von Andres Veiel, mit wichtigen Preisen gekrönter Dokumentarfilmer, wurde mit MFG-Mitteln gefördert. Auch von der Kritik hoch gelobte Spielfilme wie "Vier Minuten" von Chris Kraus konnten mit dem Geld aus der Landesfilmförderung realisiert werden. Profil entwickelte der Standort im Südwesten aber vor allem im Animationsbereich, auch auf internationaler Ebene. Doch manche Idee aus dem Filmbaukasten der Landesregierung erwies sich rasch als Fehlgriff . So musste etwa das "Europäische Filmfest Stuttgart" bereits nach wenigen Jahren wieder eingestellt werden.

Für den umtriebigen und umgetriebenen Ministerpräsidenten Günther Oettinger und seine Medienminister Willi Stächele und später Wolfgang Reinhart (alle CDU) war "der Film" weniger ein Wirtschaftsthema – sein Beitrag zum Bruttosozialprodukt ist marginal –, sondern eher eine Spielwiese dekorativer Selbstdarstellung. Gerne wurden Festivals eröffnet, Besuche am "Set" bei Dreharbeiten absolviert, die Semester-Eröffnung an der Filmakademie gemeinsam mit Harald Schmidt bestritten. Die durchaus vorzeigbare Chefin der Filmförderung, Röthemeyer, nahm Oettinger auch auf Fernreisen mit; wohl um nicht nur von grau gewandeten Spaßbremsen aus der Wirtschaft umgeben zu sein.

 

Medienminister Reinhart hatte schon den ARD-Vorabend gekapert

Die zweite Filmkonzeption, Ende 2008 von der Landesregierung verabschiedet, war von einem fachkundigen Gremium beraten worden, auf Vertreter der Filmbranche hatte man freilich wieder verzichtet. Ehrgeizige Ziele wurden reklamiert: Neben Animation, Nachwuchsförderung, Werbe- und Wirtschaftsfilm wollte man vor allem populäre TV-Serien vor Ort produzieren. Dafür war man bereit, einige Millionen Euro zu spendieren. Jahr für Jahr.

Als "Riesenerfolg" kündigte "Medienminister" Reinhart die Akquise einer täglichen Vorabendserie für die ARD an. Bereits als Auftakt sollten gleich mal 200 Folgen in Ludwigsburg gedreht werden. Produktionsvolumen knapp 25 Millionen Euro. Die Begeisterung der Landesregierung war grenzenlos, vom "Aufbau nachhaltiger Serienstrukturen" war die Rede. Die Produktionsfirma Bavaria aus München hatte wohl auch irgendwie versprochen, einheimische Firmen großzügig zu beteiligen.

Doch schon bei der üppigen Premierenfeier trat Ernüchterung ein. In der vorgeführten Folge war Ludwigsburg gar nicht zu erkennen, die Schauspieler alles Nord-, Ost- und Westlichter, die Beteiligung einheimischer Firmen auf den Sankt Nimmerleins-Tag verschoben. Dann kam die Geschichte um die resolute Schweißerin Billie, die ihre Firma vor dem Zugriff böser Heuschrecken des internationalen Kapitals retten will. Sie passte zwar "wunderbar" – so ARD-Programmdirektor Volker Herres - in die Zeit der Finanzkrise 2009, doch weit weniger wunderbar passte sie den Zuschauern. Die Einschaltquoten waren unterirdisch schlecht, untragbar für das "Werberahmenprogramm" am Vorabend im Ersten. Bereits nach etwa 40 Folgen wurde die pseudoprogressive Schnulze aus dem Programm verbannt. Aus war der Traum von der großen TV-Serienfabrik in Ludwigsburg. Nur den Studiengang Fernsehserien an der Filmakademie gibt es immer noch. Produziert wird aber anderswo.

Mit Laible und Frisch werden kleine Brötchen gebacken

Nach dieser Erfahrung wandte sich selbst die mediengeile Oettinger-Truppe vom Big Business im TV-Geschäft ab. Kleinere Brötchen aus dem heimischen Ofen waren jetzt eher angesagt. Dazu passte nun – wörtlich und wunderbar – die Bäckerserie "Laible und Frisch". Eine Story von überschaubarer Originalität: Kleinbäcker gegen Großbäcker, Handwerker gegen Fabrikant, gedreht im idyllischen Bad Urach, mit heimischen Stars besetzt, von schwäbischen Absolventen der Filmakademie produziert. Zuschauerzahlen vergleichsweise hoch. Und doch war 2011 Schluss. Der SWR wollte sich anderen Formaten zuwenden. Bald war auch eines gefunden: "Die Kirche bleibt im Dorf", eine viel gelobte schwäbische Komödie, die zunächst als Spielfilm debütierte.

Nicht nur die Bäckerserie zeigt: Die Beziehungen des zweitgrößten Senders der ARD zu den Filmemachern im Land führen nur selten zum Happy End. Dies liegt weniger an der "Gutsherrenart" der SWR-Oberen, wie viele meinen, als an gegensätzlichen Interessen. Dabei muss man zwei Arten von Filmfirmen unterscheiden: Da gibt es zum einen die Dienstleister, die Personal und Equipment, Kameramenschen mit Ausrüstung, Schnittcomputer, Übertragungswagen, Studios und so weiter zur Verfügung stellen. Dann gibt es die Filmproduktionen. Sie stellen "Content", also Filme oder TV-Sendungen her, beschäftigen Drehbuchautoren, Regisseure, Produzenten. Dienstleister sind dort stark vertreten, wo die Sender viele Aufträge nach außen vergeben. Der SWR hat aber selbst einen großen Produktionsbetrieb und vergibt also vergleichsweise wenig Aufträge. Die Folge: Das Dienstleistergeschäft lohnt sich nur für wenige, meist alteingesessene Firmen. Neue entstehen so gut wie nicht. In Tourismusregionen mit "All-inclusive"-Hotels eröffnet ja auch keiner Restaurants und Bars.

Schwieriger einzuschätzen ist die Lage bei den Filmproduktionen. Unter den heimischen Filmleuten gilt es als offenes Geheimnis, dass zunächst einige Platzhirsche, häufig Berliner Firmen mit oder ohne Ableger im Südwesten, befriedigt werden, bevor Newcomer eine Chance kriegen. Der Markt an Industrie-, Werbe- und Wirtschaftsfilmen reicht eher für ein Zubrot, weniger für die Existenz einer Firma. Verschärft wird die Lage noch durch den ungebremsten Zustrom in die Filmberufe. Selbst in Baden-Württemberg gibt es neben der berühmten Filmakademie noch ein gutes Dutzend weiterer, zum Teil ebenfalls renommierter Einrichtungen, die Jahr für Jahr Hunderte Nachwuchskräfte auf den winzigen Arbeitsmarkt der Filmbranche entlassen.

Die Kirche im Dorf steht mal in Hamburg, mal in Schleswig-Holstein

Das ist nur der Blick auf ein Bundesland. Die anderen fünfzehn Länder und der Bund mischen bei der Förderung natürlich auch mit, manche mit weit höheren Beträgen als Baden-Württemberg. Um möglichst viel Fördergeld abzugreifen, findet eine Art Produktionstourismus statt. So wurde etwa die schwäbische Mundartkomödie "Die Kirche bleibt im Dorf" auch in Hamburg und Schleswig-Holstein gedreht, weil die dortige regionale Förderung diese Produktion ebenfalls unterstützte. Mal abgesehen davon, dass dies wirtschaftlich ziemlich unsinnig ist, befördert es auch nicht die Qualität der Filme. Ein Teil der 290 Millionen, die Bund und Länder jährlich für die Förderung von Filmen ausgeben, versickert so ungesehen.

Auf dem Weltmarkt ist der deutsche Film ohnehin nur ein Kleindarsteller. Selbst Österreich generiert mit einem Bruchteil an Fördersumme mehr international beachtete und preiswürdige Filme als der ganze deutsche Förderdschungel.

Der Neue an der Spitze der MFG wird es also auch nicht leicht haben. Carl Bergengruen, bisher Chef von Studio Hamburg, einer mächtigen Tochterfirma des NDR, tritt die Nachfolge von Gabriele Röthemeyer an. Vor der exzellent bezahlten Stelle im Norden hat er beim SWR gearbeitet, zuletzt als Hauptabteilungsleiter. Den (Film-)Staatssekretär Jürgen Walter (Grüne) kennt er vom gemeinsamen Studium in den USA. Kein Wunder also, dass auch bei seiner Berufung die Filmemacher im Land nicht beteiligt wurden. Sie hatten in einem Brief an Walter einen "frischen, unabhängigen Kopf" gefordert. Statt des erbetenen Gesprächstermins kam nur ein freundlicher Vierzeiler aus dem Ministerium. Wahrscheinlich war die Entscheidung ohnehin schon längst gefallen.

 

Wilhelm Reschl, einst Filmemacher beim Süddeutschen und Westdeutschen Rundfunk, leitete bis Oktober 2012 das Stuttgarter "Haus des Dokumentarfilms".


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