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Schluss mit Schnarchen

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Raus mit der Fiktion, rein mit der Realität. Auf diesen kurzen Nenner bringt der neue SWR-Fernsehdirektor Christoph Hauser im Kontext-Interview sein Programm, das im nächsten Jahr stehen soll. Bis dahin muss der Zuschauer ertragen, was ihm an Verschnarchtheiten ins Haus geliefert wird.

Herr Hauser, der SWR ist die zweitgrößte Anstalt in der ARD, und sie liegt quotenmäßig auf dem letzten Platz. Noch hinter dem Berliner Minisender RBB. Das muss man erst mal hinkriegen.

Halt. Wir haben uns in diesem Jahr deutlich gesteigert. Wir liegen inzwischen vor dem RBB und sind damit aus der Gefahrenzone raus. Dank starker Formate wie "betrifft:" und "Die Kirche bleibt im Dorf".

Die Wahrheit ist doch, dass ein Riesenladen wie der SWR ein Fernsehprogramm macht, das an Verschnarchtheit kaum zu überbieten ist.

Ich will es mal so sagen: Der SWR hat bisher kein klares Profil, keine klare Programmierung, zu viel Fiktion und zu wenig Regionalität. Wir haben den höchsten fiktionalen Anteil innerhalb der ARD-Anstalten. Der muss raus. Da gibt es nichts zu beschönigen, da hilft nur durchstarten. Und das geht nur mit einer grundlegenden Reform des Gesamtprogramms, nicht mit Flickschusterei an einzelnen Plätzen.

Um das zu stemmen, brauchen Sie die Mitarbeiter. Viele von ihnen, sagt selbst der Personalrat, treibt die Urangst vor Veränderung um.

Das habe ich nicht gespürt. Vielmehr habe ich erlebt, dass die Kollegen und Kolleginnen sagen: Mensch, endlich ein Gesamtentwurf. Dazu kommen die Landessenderdirektorinnen, die das Konzept mit ausgearbeitet haben und alle an einem Strang ziehen.

Einen großen Wurf hat auch Ihr Vorgänger Bernhard Nellessen vor drei Jahren verkündet. Er wollte die "Mitte der Gesellschaft" (MiG) einsammeln, indem er sie mit Volksmusik, Wetter- und Kochorgien traktiert hat. Das ist offensichtlich schiefgegangen.

Zur Amtszeit meines Vorgängers will ich mich nicht äußern. Auch in seiner Zeit sind Sendungen entstanden, die den Humus bilden für den nächsten Schritt. Und der muss eine Gesamtperspektive bieten für 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche.

Dann gehen wir die sieben Tage doch mal durch.

Am Montag haben wir bisher die Wiederholung eines Degeto-Films, am Dienstag die Wiederholung eines "Tatorts", am Mittwoch Doku, am Donnerstag "Marktcheck", am Freitag Regionalunterhaltung, am Samstag wieder Degeto und am Sonntag Regionalunterhaltung wie am Freitag. Und unser Tafelsilber, wie zum Beispiel "Länder, Menschen, Abenteuer", haben wir an den Rändern versteckt.

Und das wird jetzt alles ganz anders.

Am Montag werden wir in der Primetime mit "Debüt im Dritten" sein, mit anspruchsvollen Filmen. Dafür werden wir richtig Geld in die Hand nehmen. Am Dienstag setzen wir verstärkt auf regionale Fiktion, zum Beispiel auf "Tatorte" mit Bezug zum Sendegebiet.

Mit Deutschlands Kult-Blondine Daniela Katzenberger als Hauptdarstellerin.

Der Fernsehfilm mit Frau Katzenberger ist eine Degeto-/SWR-Produktion für Das Erste. Das hat mit der Reform des SWR Fernsehens erst mal nichts zu tun.

Fahren wir fort.

Am Mittwoch packen wir alles ins Programm, was wir an dokumentarischer Kompetenz im Haus haben. Wir werden die Schlagzahl von 16 auf 48 Dokumentationen in 45-minütiger Länge erhöhen, und dafür wird pro Einzelstück mehr Geld investiert. Dass der SWR so etwas kann, hat er mit seinen Reports über Gustl Mollath und die Leiharbeit bei Daimler bewiesen.

Am Donnerstag übernimmt wieder Bratzler mit seiner "Zur Sache Baden-Württemberg"?

Das Prinzip heißt starke Marken stärken, und dazu zählt Bratzler. Das bleibt genau so wie der "Marktcheck", für den es auch mehr Geld geben wird. Am Freitag müssen wir aus den Reise- und Musikformaten rauskommen und modernere Formen entwickeln, und am Samstag wollen wir einen Themenabend Südwest präsentieren, an dem wir das ganze Spektrum von Hermann Hesse bis Margarete Steiff abbilden können. Am Sonntag kommt die Unterhaltung weg, stattdessen dokumentieren wir regionale Geschichten.

Sie heben immer wieder auf Regionales ab. Minister Peter Friedrich von der SPD, der auch Gremienmitglied im SWR ist, befürchtet schon eine weitere "Verzwergung" des Programms.

Da verstehe ich die Welt nicht mehr. Wie bekannt, verdoppeln wir die aktuelle Berichterstattung aus den Ländern im Vorabendprogramm. Dadurch entsteht eine Informationsbreite, die es so im SWR noch nie gegeben hat, die etwa beim WDR als das Heiligste angesehen wird. Das ist der zentrale Baustein der Reform, und das heißt, dass unser Programm journalistischer und damit eine ganz andere Relevanz für unsere Zuschauer erhalten wird. Wie man vor diesem Hintergrund von einer "Verzwergung" sprechen kann, kapiere ich nicht.

Womöglich meint der Europaminister Friedrich, dass der Horizont bei den Gartenzwergen im Schwarzwald aufhört.

Dann laden wir ihn zu einem Studiogespräch in unsere Tagesschau um 19.30 Uhr ein. Da ist alle Zeit, um über Themen aus dem Land, dem Bund und aus Europa zu sprechen. Wir wollen mehr Regionalität, das ist nicht mit Provinzialisierung zu verwechseln.

In der Tat: Regionalität muss nicht Sonja Faber-Schrecklein sein.

Ich habe vorher von unserer dokumentarischen Kompetenz gesprochen, und dazu gehört auch der investigative Journalismus. Was spricht dagegen, wenn beides auf die Region bezogen wird? Wir müssen stärker investigativ arbeiten und mit neuen, auch schrägen Formen experimentieren, den Mut zum Aufbruch haben.

Dazu brauchen Sie die Leute, und die Leute brauchen die notwendige Rückendeckung.

Das Potenzial an Autoren ist da. Nehmen Sie nur die Truppe um Kai Henkel, die für "betrifft:" arbeitet, oder Thomas Leif, der für Investigation steht. Sie können mehr als Nachrichtenjournalismus, und das macht letztlich den Unterschied aus zu dem, was andere liefern. Wenn es uns gelingt, hier ein paar Mal im Jahr Akzente zu setzen, dann sind wir einen großen Schritt weiter. Von mir jedenfalls können sie ein breites Kreuz erwarten.

Andererseits wollen Sie Leifs Talk-Sendung "2+Leif" killen.

Es gibt zu viel Talk und zu wenig Investigation. Deshalb wollen wir Thomas Leif stärker mit seinen Qualitäten als investigativer Journalist einsetzen. Er soll mehr Dokus für die Primetime produzieren. Das SWR Fernsehen wird trotzdem genug Foren für die aktuelle politische Diskussion bieten.

Kann es sein, dass Ihnen die Medienforschung zur Absetzung von "2+Leif" geraten hat? Deren Chef Klingler galt zumindest zu Nellessens Zeiten als heimlicher Programmdirektor.

Unsere Medienforschung hat eine wichtige Servicefunktion. Sie muss Zahlen analysieren und aufbereiten, aber die Schlüsse daraus müssen wir schon selbst ziehen. Sie ist weder Programmplaner noch Programmentwickler noch Programmstratege. Das ist unser Job. Und um auch das klarzustellen: Die Kernfrage ist für mich nicht die Quote, sondern das Profil. Bei meinem Amtsantritt habe ich gesagt, dass die Quote nicht das Ziel, sondern das Ergebnis eines guten Programms sein muss. Ich habe lange genug bei Arte gearbeitet, um zu erkennen, dass Quote nicht alles ist.

Ihre Zuschauer müssen also künftig nicht mehr die Flucht in die schwäbisch-badisch-pfälzische Folklore antreten?

Wir werden die Zuschauer ernst nehmen, und das heißt in erster Linie: nicht langweilen.

 

Christoph Hauser (57), war von 2005 bis 2012 Programmdirektor des deutsch-französischen Kultursenders Arte. Ende vergangenen Jahres hat er die Nachfolge von SWR-Fernsehdirektor Bernhard Nellessen angetreten. Der gebürtige Hamburger ist Germanist und promovierter Historiker.


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5 Kommentare verfügbar

  • Lefty
    am 09.10.2013
    Antworten
    Hier ein Highlight aus dem zwangsabgabengemästeten ÖRR:
    https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=QhSfHwrF3ho
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