KONTEXT:Wochenzeitung
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Von wegen ganz Gallien

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Sie sind die beiden gallischen (Zeitungs-)Dörfer direkt vor den Toren der Landeshauptstadt. Sowohl bei der "Ludwigsburger Kreiszeitung" (LKZ) als auch bei der "Eßlinger Zeitung" (EZ) werden immer noch eigenständig komplette Tageszeitungen gemacht. Der Fokus liegt dabei allein auf dem Lokalteil. Und der ernährt beide immer noch gut. (Teil IV unserer Serie über Zeitungsverlage in Baden-Württemberg.)

Gerhard Ulmer reibt die Seite drei zwischen seinen Fingern, er nickt, blättert die ersten Seiten durch, schlägt auch mal mit der flachen Hand drauf, raschelt mit dem Papier. Es fühlt sich gut an. Alles seins. Ulmer, 50, ist geschäftsführender Gesellschafter der "Ludwigsburger Kreiszeitung", im Impressum steht er als Herausgeber. Die LKZ geht auf das 1818 erstmals erschienene "Ludwigsburger Wochenblatt" zurück, 2018 wird sie 200 Jahre alt. Und ist immer noch selbstständig: wird von vorn bis hinten in der eigenen Redaktion gemacht und in der eigenen Druckerei gedruckt. "Wir sind das gallische Dorf", sagt Ulmer. Und er will es bleiben.

Das ist nicht einfach. Auch die LKZ hat heftig an Leserschaft verloren, fast ein Fünftel in den vergangenen 15 Jahren. Und die Auflage – zurzeit bei 41 300 – steuert unaufhaltsam auf die magische 40 000-Grenze zu, von der es in der Branche heißt, dass es sich drunter nicht mehr rechnet. Jedenfalls nicht für Zeitungen, die alles selber machen wollen. Und dann noch dieses Verbreitungsgebiet: "Der Kreis Ludwigsburg ist der zeitungsreichste Europas", weiß Ulmer, um die LKZ herum gibt es zehn Konkurrenzblätter. Und: Der Kreis ist inhomogen, kein klares Zentrum, viele starke Mittelzentren, sehr städtisch, sehr ländlich.

"Es ist schwierig, in den Dörfern präsent zu sein und exklusive Großstadtgeschichten zu haben", sagt ein LKZ-Redakteur. Der Landkreis hat eine niedere Arbeitslosen- und eine hohe Ausländerquote, viele Singles. Die LKZ hat nur vier Prozent ausländische Leser bei 25 Prozent ausländischen Bewohnern des Kreises. Aber damit trotzdem "mehr als andere Zeitungen", sagt Ulmer. Singles sind für die Tageszeitungen ein Problem, sie surfen eher im Netz als sich zu einem Abo zu verpflichten.

Ulmer hat die Tageszeitungsleser im Kreis erforschen lassen. So weiß er, dass von den 225 000 Haushalten im Landkreis 48 die "Frankfurter Rundschau" lesen, jeweils etwa 500 die "Frankfurter Allgemeine" und die "Süddeutsche", 172 die "taz". Politisch teilen sich die LKZ-Leser auf wie der Kreis: Freie Wähler, CDU und Grüne ziemlich gleich, die SPD dahinter. Die LKZ wird dafür kritisiert "zu weit links oder zu weit rechts zu sein", sagt Ulmer, der das als "gutes Zeichen" versteht. Drei Viertel seiner Leser gehen online, die Steigerungsraten werden flacher, "wir werden 80 Prozent erreichen", tippt Ulmer. Die Onlinenutzer machen Bankgeschäfte, mailen, sind bei Facebook, kaufen ein, vor allem Bücher, Konzertkarten und buchen Reisen.

Drei Viertel der Leser lesen online – umsonst

Auf die Onlinepräsenz der LKZ legt Ulmer dennoch "keinen großen Wert, weil damit kein Geld zu verdienen ist". Drei Prozent seiner Abos sind E-Paper, damit erlöst er allerdings nur ein Prozent. "Ein Prozent ist ein Witz", sagt Ulmer. Ulmer sieht Online als Vertriebskanal. Er will im Netz keine exklusiven Geschichten verkaufen. Ulmers Geschäftsmodell ist ein anderes: "Wir stellen Heimat dar!" Die LKZ-Leser gucken sich als Erstes die Traueranzeigen an, dann die Beiträge im "Magazin". So heißt bei der LKZ, was bei anderen Zeitungen das "Vermischte" ist. Befüllt werden diese Seiten, wie eigentlich der ganze Mantel, mit Agenturmeldungen. Das ist preiswert, aber eben auch das Gegenteil von exklusiv.

Die Entscheidung, den Mantel, also den überregionalen Teil, selbst zu produzieren, und ihn nicht etwa in Stuttgart bei den "Nachrichten" oder in Ulm bei der "Südwest Presse" zu kaufen, hat sich Ulmer gut überlegt: "Ich wundere mich, dass viele mittelständische Verlage den Mantel einkaufen. Wenn man gute Redakteure hat, ist die Mantelproduktion kein Problem und günstiger. In den Siebzigerjahren gab es den Trend, den Mantel einzukaufen, jetzt läuft der Trend eher umgekehrt." Ulmer, ganz der Gallier, ist sogar der Meinung, "dass die Bedeutung des Mantels abnimmt, man seine Bedeutung aber heben kann, wenn man ihn selber macht".

Das werden sie nicht gern hören bei der Südwestdeutschen Medien-Holding (SWMH) in Stuttgart-Möhringen, wo sie mit Zeitungsaufkäufen dem Konkurrenten in Ludwigsburg seit Jahren immer mehr auf die Pelle rücken. Mit der "Marbacher Zeitung" von Westen aus, mit der "Kornwestheimer Zeitung" von Süden aus, mit der "Stuttgarter Zeitung" und ihrer täglichen Lokalausgabe "Strohgäu Extra" von Südosten aus. Geändert hat das an den Kräfteverhältnissen nicht wirklich was, denn auch die Mantelzeitungen verlieren beständig Leser.

Großstadtzeitungen wie die "Stuttgarter Zeitung" seien in ihrem Bestand sogar gefährdeter als Lokalzeitungen wie die LKZ, glaubt Ulmer, weil sich der Leser fragt, was er in seiner Zeitung lesen kann, das er noch nicht gehört, gesehen oder woanders gelesen hat. "In Bezug auf was kann das die 'Stuttgarter Zeitung' von sich behaupten?", fragt Ulmer und antwortet: "In Bezug auf den VfB Stuttgart und die Stadt, sonst dünn."

Den Zusammenbruch des Anzeigenmarkts führt er darauf zurück, "dass sich niemand mehr selbstständig macht, es keine Konkurrenz zwischen den Einzelhandelsgeschäften mehr gibt. Es wird nicht deshalb nicht annonciert, weil wir als Zeitung nicht attraktiv sind, sondern weil es keinen Grund für Anzeigen gibt." Von Untergangsszenarien will Ulmer nichts wissen, da winkt er ab. Bei Radikalkuren auch, er ist vom Nutzen des Tarifvertrags überzeugt. "Tendenziell müssen die Löhne sinken", meint er, weiß aber auch: "Gute Redaktionen kosten Geld." Er hat einigen Ressorts Sparvorgaben gemacht, 20 Prozent der Honorare für Freie einzusparen. Es wird Ressorts geben, die das nicht schaffen. Da hilft dann nur eines: noch mehr Agenturmeldungen.                      

                                      ∗∗∗

Am Kopfende im Konferenzraum der "Eßlinger Zeitung" (EZ) sitzt Werner Schumacher, 57 Jahre alt, kein Gallier, sondern Westfale, Mann mit Humor. Den braucht er auch als angestellter Geschäftsführer. Denn die "Eßlinger Zeitung", gegründet 1868, gehört seit 1995 nicht mehr allein der alteingesessenen Verlegerfamilie Bechtle. Damals musste Otto Wolfgang Bechtle, der die Zeitung seit 1949 geführt hatte, seinen Bruder Friedrich auszahlen. Seither gehört die EZ zu knapp einem Viertel der Südwestdeutschen Medienholding (SWMH) in Stuttgart, ein paar weitere Prozente hält die Verlegerfamilie Gottlieb, die den "Teckboten" in Kirchheim/Teck betreibt. Seither ist das Geschäft kompliziert geworden, denn: "Die Gesellschafter", sagt ein Insider, "sind ein zerstrittener Haufen."

So zerstritten, dass sich die Suche nach einem neuen Chefredakteur seit bald einem Jahr hinzieht. Kandidaten gibt es, nur keinen, auf den sich alle Beteiligten einigen könnten. Eine Lösung der Lähmung ist nicht in Sicht. So wenig wie bei notwendigen Investitionen in die Druckerei.

Geschäftsführer Schumacher müsse deshalb immer sehen, "dass er die Ansprüche der Gesellschafter und die der Redaktion unter einen Hut bringt", sagt unser Insider. Schumacher hat den Gesellschaftern klargemacht, besonders denen in Kirchheim, dass sie mit weniger Rendite zurechtkommen müssen. Gute zwei Millionen Euro sind 2012 übrig geblieben, nicht schlecht, aber eben auch nicht so viel wie früher. "Wir sind ein gesundes Unternehmen", sagt EZ-Redakteur Klaus Harter, 56, "wir sind eine relativ gute Lokalzeitung mit Luft nach oben."

Zum einen geht es der EZ gut, weil ihr die Druckerei gehört, in der auch die "Bild"-Zeitung gedruckt wird. Zum anderen, weil die Auflage sich zwar auch bedrohlich jener 40 000er-Schwelle nähert (verkaufte Auflage derzeit: 41 800), der Sinkflug aber deutlich langsamer verläuft: Nur 3,3 Prozent Abonnenten hat die EZ seit 2007 verloren. "Das ist nicht viel. Wir sind gut", sagt Werner Schumacher. Nein, das ist sogar sehr gut – verglichen mit nahezu allen Wettbewerbern.

Drei Viertel ihrer Auflage verkauft die EZ in der Stadt Esslingen, die eben einiges größer als beispielsweise Ludwigsburg ist. "Unser überschaubares Verbreitungsgebiet ist ein Vorteil", sagt Marketingleiter Dieter Meyer. Dazuhin wird auf allen Kanälen um Abonnenten geworben. Es gehe darum, die "Leute an ein Produkt zu bringen, das nicht mehr selbstverständlich ist", sagt Vertriebsleiter Wolfgang Schenk.

Die erste Paywall, gleichzeitig mit der "New York Times"

30 Redakteure stellen sechsmal die Woche dieses Produkt auf die Beine. 20 machen den Lokalteil, zehn den ganzen Rest, den auch die "Cannstatter Zeitung" übernimmt, die seit 1960 zur EZ gehört. Auch die "Eßlinger Zeitung" lebt so überwiegend von Agenturmaterial, exklusiv ist nur das Lokale. Immer schon, seit sich die Stuttgarter in Esslingen eingekauft haben, gab es deshalb Gerüchte, der Mantel würde bald von den "Nachrichten" kommen. Doch da sind sie in der Esslinger Zeppelinstraße seit nunmehr 18 Jahren ganz gallisch geblieben: "Wir sind Wettbewerber, wir fischen im gleichen Teich", sagt Schumacher und fügt hinzu: "Die eigene Mantelproduktion gibt uns die Möglichkeit, deutlich mehr lokale Themen auf die Eins zu stellen, als wenn wir den Mantel kaufen würden."

Auch als in diesem Jahr eine Unternehmensberatung im Haus war, gegen den Willen Schumachers übrigens, war davon wieder die Rede. Verglichen mit der auf Wochenblatt-Niveau heruntergesparten "Schwäbischen Zeitung", sahen die Berater angeblich das Potenzial, zehn Redakteure zu entlassen. Am Ende wurden zwei Zeitverträge nicht verlängert, ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen, ein Redakteur scheidet 2014 altershalber aus. "Schlimm genug", findet Harter.

"Online first"? Nicht in Esslingen. Mit der EZ als E-Paper wurde gerade erst angefangen. Schumacher sieht alle Onlineaktivitäten unter einem ökonomischen Aspekt: "Das verursacht mehr Kosten als Umsätze, also muss Online, was die Kosten anbelangt, im Rahmen bleiben. Wir wollen da ganz langsam wachsen." Mit der Paywall war die EZ dagegen schnell: "Da waren wir die Ersten, mit der 'New York Times' zusammen", sagt Vertriebsleiter Schenk. Bei der EZ wurde die Frage diskutiert: "Will ich mit der Paywall Geld verdienen oder meine Inhalte schützen?" Die EZ hat sich für den Schutz – vor allem wertvoller Inhalte – entschieden. Meyer: "Wir würden online nichts machen, was der Zeitung Schaden würde." So viele Klicks, wie die EZ bräuchte, um Umsätze zu machen, "so viele Leute leben hier gar nicht", sagt Schumacher. Für Online wird nichts extra produziert.

Online-Marketingleiter Steffen Koch bietet Werbekunden der EZ, die an einer Onlinepräsenz interessiert sind, ein Gesamtkonzept an: Zeitung, Online, Social Media. "Hast du noch keinen Facebook-Auftritt, dann machen wir das für dich", sagt Koch seinen Kunden. Zuletzt hat er das für die Stadtwerke Esslingen gemacht. Nur Anzeigen anbieten, sagt Meyer, "das gibt es noch, ist aber bald vorbei".


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5 Kommentare verfügbar

  • Waltraud Kässer
    am 21.09.2013
    Antworten
    Schön von Dir zu lesen. Weißt Du noch? Wir haben in Konstanz viel zusammen geredet, damals als wir für dasselbe Blatt arbeiteten. Du bist zu Hause längst wieder zurück in Ludwigsburg und glaubst an die Zukunft der gedruckten Zeitung. Ich glaube an die Zukunft der lokalen Blogs und dass das tote…
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