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Phantom-Polizisten

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Die Polizei hat acht Jahre lang zwei Zeugen des Nagelbombenanschlags in Köln verborgen gehalten. Der NSU-Ausschuss erfährt erst jetzt, dass zwei Zivilpolizisten vor Ort waren.

Alles Zufälle? Beim Mord in Kassel an dem deutsch-türkischen Betreiber eines Internetcafés im April 2006 war ein Beamter des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz zur Tatzeit am Tatort. Die von Beate Zschäpe gemietete Garage, in der im Januar 1998 Sprengstoff sichergestellt wurde, gehörte einem Polizeibeamten aus Jena. Und beim Nagelbombenanschlag in Köln-Mülheim am 9. Juni 2004 waren zwei Polizeibeamte unmittelbar in der Nähe.

In der von Migranten bewohnten und mit vielen kleinen Läden besiedelten Keupstraße detonierte eine mit Hunderten Nägeln bestückte Kofferbombe und verletzte über 20 Menschen zum Teil schwer. Es war der Tag vor Fronleichnam, viele Menschen machten ihre Einkäufe. 

Mehr als acht Jahre nach dem Anschlag und fast ein Jahr nach Beginn seiner Tätigkeit erfährt der NSU-Untersuchungsausschuss von diesen zwei Polizisten. Wie das? Die Rekonstruktion in der Ausschusssitzung am 25. April ergibt folgendes Bild: Am 8. November 2012 strahlte der WDR einen Fernsehbeitrag über den Anschlag aus. Darin kommt Ali Demir zu Wort, der die Interessengemeinschaft Keupstraße vertritt. Am 9. Juni 2004 saß er dort in seinem Büro. Als er kurz nach der Explosion nach draußen ging, bemerkte er einen Polizeibeamten, der mit Absperrmaßnahmen beschäftigt war. Dann einen zweiten. Laut Demir in Zivil, doch an der Waffe erkannte er sie als Beamte. Die alarmierte Polizei und Feuerwehr kamen erst später. 

Der Fernsehbeitrag wurde, wie man von einer WDR-Redakteurin erfährt, vom Kölner Polizeipräsidium kritisiert. Am selben Tag, dem 8. November, erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und drei weitere Personen. Der Zeuge Demir teilte seine Beobachtung auch der Karlsruher Behörde mit. Der NSU-Untersuchungsausschuss erfuhr von dem Zeugen Demir. Er befragte weitere Bewohner der Keupstraße, und einige bestätigten die frühe Anwesenheit von Beamten. Bekannt wird außerdem, dass Demir schon vor Jahren Drohbriefe erhalten hatte, zugeschickte Zeitungsberichte über die sogenannten Dönermorde und über V-Leute.

Am 22. November 2012 trat Fritz Behrens (SPD), im Juni 2004 Innenminister von Nordrhein-Westfalen, vor dem Ausschuss auf. Von möglichen verdeckten Ermittlern vor Ort wüsste er nichts, erklärte er. Behrens war selber nie am Tatort und hat nie mit Opfern gesprochen.

Ende Januar 2013 bat der Ausschuss das Land Nordrhein-Westfalen, die Namen der "mutmaßlichen Zivilpolizisten mit Schulterholster" mitzuteilen. Das geschah, und der Ausschuss lud die Beamten als Zeugen für den 25. April vor: Polizeikommissar Stefan Voß, heute Mitglied des Mobilen Einsatzkommandos (MEK), damals Streifenpolizist, und Polizeihauptkommissar Peter Baumeister, Hundeführer, mit dem Auftrag, Sonderstreifen gegen Drogenkriminalität zu fahren. Noch bevor sie in Berlin aussagten, wurden sie nun im März 2013 kriminalpolizeilich vernommen – erstmals überhaupt.

Die Zeugen wurden nie vernommen

Am 9. Juni 2004 traten sie etwa um 14 Uhr ihren Streifendienst an – in einem Zivilfahrzeug und gekleidet mit Spezialoveralls. Ab etwa 15 Uhr hielten sie sich in Köln-Mülheim auf. Als um 15:55 Uhr die Bombe zündete, waren sie dort in der Schanzenstraße in unmittelbarer Nähe der Keupstraße. Voß sagt, sie hätten einen lauten Knall gehört und seien dann direkt in die Richtung gefahren, aus der er kam. Laut Baumeister hingegen seien sie von der Leitstelle der Polizei über eine vermutliche Gasexplosion informiert worden und dann in die Keupstraße gefahren. Sicher ist, dass sie etwa zwei, drei Minuten nach der Tat dort ankamen. Sie verschafften sich einen Überblick, machten Meldung und begannen mit Rettungsmaßnahmen.

Am Ende ihre Schicht fertigten sie, wie sie erklären, einen kurzen Bericht über das Geschehen in der Keupstraße. 

Und dann beginnen die Merkwürdigkeiten: Im zwanzigseitigen Einsatzbericht der Polizei kommen die zwei nicht vor. Sie wurden nie vernommen. Die Videoaufnahmen, die die beiden mutmaßlichen Täter zeigen, wurden ihnen nie vorgespielt. Eine Kamera des Fernsehsenders Viva hatte die Täter in der Schanzenstraße, über die die Polizeibeamten fuhren, mehrmals erfasst. Das erste Mal gegen 15:10 Uhr, als die beiden, möglicherweise Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die Schanzenstraße in Richtung Keupstraße gingen. Eindeutig identifiziert sind sie nicht. Einer schob zwei Fahrräder, der andere das Rad mit der Kofferbombe.

Vor der Keupstraße drehten sie wieder um, weil sich dort ein Fahrzeug des Ordnungsamts befand, und gingen die Schanzenstraße zurück. Die Viva-Kamera erfasste sie ein zweites Mal. Etwa 40 Minuten hielten sie sich an dem Ende der Schanzenstraße auf, durch das die beiden Polizeibeamten Voß und Baumeister in ihrem Zivilfahrzeug kamen. Gegen 15:50 Uhr machten sich die Täter erneut auf den Weg zur Keupstraße und wurden ein drittes Mal von der Viva-Kamera festgehalten. Nach der Explosion trennten sich die Männer. Einer floh Richtung Süden, der andere, möglicherweise Mundlos, auf dem Fahrrad über die Schanzenstraße, wo er ein viertes Mal den Kamerabereich passierte. Die Polizisten, die genau auf diesem Weg zur Keupstraße fuhren, müssen ihm begegnet sein. 

Den Beamten fehlt die Erinnerung

Die Beamten Voß und Baumeister erklären, sie könnten sich nicht an zwei Männer mit Fahrrädern oder an einen entgegenkommenden Radfahrer erinnern. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn man ihnen frühzeitig die Videoaufnahmen gezeigt hätte. Voß und Baumeister wurden im März 2013 im Polizeipräsidium Köln von Kriminalhauptkommissar Markus Weber vernommen, und zwar im Auftrag der Bundesanwaltschaft. Der Name Weber kommt den Ausschussmitgliedern bekannt vor. Ist das der Beamte, der 2004 die Ermittlungen zur Keupstraße leitete, erfolglos, wollen sie wissen. Der Vertreter des Landes NRW, Frank Matthias, der im Anschlagsjahr 2004 bereits im Innenministerium tätig war und der jetzt im Ausschussrund in zweiter Reihe sitzt, sagt: Er wisse es nicht. Doch Stefan Voß, der Polizeibeamte, klärt auf: Ja, es handelt sich um denselben Mann. Den Abgeordneten verschlägt es die Sprache.

Denn Markus Weber saß selber schon mal als Zeuge vor ihnen, am 3. Juli 2012. Damals erwähnte er mit keinem Wort, dass zwei Polizisten unmittelbar nach dem Anschlag am Tatort waren. Für Petra Pau von der Linksfraktion stellt sich damit die Frage der "Verfahrensbeeinflussung" gegenüber dem Ausschuss. Und auch das Verhalten des NRW-Vertreters Matthias passt dazu. Er instruiert die beiden Polizeibeamten vor ihrer Vernehmung. Zu Voß sagt er: "Lassen Sie sich nicht einschüchtern, bleiben Sie bei Ihrer Version!"


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1 Kommentar verfügbar

  • lowandorder
    am 03.06.2013
    Antworten
    Mit mehr als 15 Jahre Dienstrecht auf dem Buckel,
    bin ich dennoch über das scheinbar ewige Schema im
    polizeilichen Denken erstaunt: ' nur ja sich nicht in die
    Karten gucken lassen; nur zu Protokoll geben, was ohnehin
    klar ist.'

    Ich weiß, daß das exakt nicht gegeben ist,
    aber es hat alles…
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