KONTEXT:Wochenzeitung
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Gerhard Seyfried

"Ich war Lückenfüller"

Gerhard Seyfried: "Ich war Lückenfüller"
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Zum Kontext-Fest kommt Zeichnerlegende Gerhard Seyfried (74) für einen Workshop mit Illustrations-Studierenden nach Stuttgart. Ein Gespräch über seine wechselvolle Karriere, das Renommee von Comics und Karikaturen in Deutschland und Tipps für junge Zeichner:innen.

Lieber Gerhard, was rätst du heute jungen Leuten, die dir sagen, dass sie Comiczeichnerin oder Karikaturist werden wollen?

Da habe ich noch dieselbe Antwort wie früher schon: Geht zur Bundeswehr! Da verdient man mehr. Erheblich mehr.

Ein Weg, den du bekanntlich nicht gegangen bist. Vor gut 50 Jahren hattest du deine ersten politischen Karikaturen veröffentlicht, in der Frankfurter Satirezeitschrift "pardon" und im Münchner Stadtmagazin "Blatt".

Ja, das war so 1971. Allerdings hatte es eigentlich angefangen damit, dass sie in der Werbeabteilung von JoPa, das war eine große Eiscremefirma in München, mein Talent entdeckt haben. Da war ich etwa 16, also 1964. Ich hatte da eine Lehre als Industriekaufmann gemacht, und als Lehrling wurde ich auch in die Werbeabteilung versetzt – und da haben sie mich dann ein ganzes Jahr gelassen. Es gab dort einen sehr netten jungen Grafiker, Hans Bauer, von dem ich eine Menge gelernt habe über Gebrauchsgrafik, Werbegrafik. Und der hatte darauf bestanden, dass ich bleibe. Auf seine Empfehlung hin bin ich 1967 an die Akademie fürs Graphische Gewerbe gegangen, einem Zweig der Münchner Kunstakademie. Weil ich kein Abitur hatte, bin ich mit einer Sonderklausel "wegen besonderem Talent" aufgenommen worden. 1969 haben sie mich dann mit der Begründung "mangelndes Talent" rausgeschmissen, nachdem ich zum Streik gegen die Notstandsgesetze aufgerufen hatte.

Was neben dem grafischen Talent schon bei deinen ganz frühen Sachen auffällt, ist die Verbindung mit dem besonderen Sprach- und Wortwitz. Wo kommt das her?

Da bin ich von Karl Valentin beeinflusst.

Münchner Wurzeln also. Wann hast du begonnen, beides zu verbinden?

Ich hatte eine Tante, die beim Reden immer vor Eile gesprudelt hat und die die tollsten Versprecher gemacht hat, zum Beispiel der "Schnalzburger Sellzug", der eigentlich der Salzburger Schnellzug war. Solche Dinge hab ich immer aufgefangen. Und dann natürlich Valentin, mit seinem Begriffe-Wörtlich-Nehmen. Darüber muss ich auch immer lachen.

Im großen Stil Karikaturen veröffentlicht hast du aber erst beim "Blatt" in München?

Ja, aber nicht absichtlich. Beim "Blatt" habe ich erst nur das Layout gemacht, was alle 14 Tage stattfand. Da habe ich den Satz ausgeschnitten und mit Fixogum auf die Seiten geklebt, und dabei gab es oft furchtbare Lücken. Die habe ich dann zugezeichnet. Ich war also erst Lückenfüller.

Aber irgendwann wurden dann die Lücken vorausgeplant für dich und du hast auch Titelbilder gezeichnet.

Es waren dann interne Aufträge, nach dem Motto: Schau mal, was da passiert ist, kannst du dazu nicht etwas zeichnen? Das "Blatt" war eine anarchistische Zeitschrift, da habe ich auch kleine Artikelchen geschrieben. Zum Beispiel, dass es eine fürchterliche Sauerei ist, wenn man französische Ein-Franc-Münzen benutzt, die genau die Größe von einem Eine-Mark-Stück haben und in Fahrschein- und Zigaretten-Automaten passen, aber nur 30 Pfennig wert sind. Das war typisch fürs "Blatt", dass wir solche "Ratschläge" gegeben haben. Und die waren so gefasst, dass die Staatsanwaltschaft, die uns ja immer im Nacken saß, nichts machen konnte.

Aber es gab einen Comic von dir, auch zum Thema Automaten-Betrug, der dich sogar vor Gericht brachte.

Ja, der war auch so angelegt in diesem Ratschlag-Sinne. Damals kamen die ersten Fahrkartenautomaten auf, und irgendjemand hat entdeckt, dass, wenn man "Kalkfrei" in den Geldschlitz spritzt, das eingeworfene Geld wieder rauskommt. Das habe ich dann als Comic im Donald-Duck-Stil gezeichnet. Vor Gericht ist damals auch F.W. Bernstein als Kunstsachverständiger geladen worden und hat zumindest mich aus der Klemme befreit. Während der Redakteur, glaube ich, zu 3000 oder 4000 Mark Strafe verurteilt wurde.

Aber du bist ohne Vorstrafen wegen zu Verbrechen anstiftenden Zeichnens davon gekommen.

Das durften sie ja auch nicht, das wäre ja Beschränkung der künstlerischen Freiheit gewesen.

Von München bist du 1976 nach Berlin gezogen, deine gesammelten "Blatt"-Karikaturen erschienen 1978 in dem Band "Wo soll das alles enden?" Wo hast du vor und nach der "Blatt"-Zeit Karikaturen und Cartoons veröffentlicht?

In "pardon" habe ich ziemlich viel veröffentlicht, bevor wegen interner Streitigkeiten viele Mitarbeiter gegangen sind und 1979 "Titanic" gegründet haben. Für die habe ich dann auch noch ein bisschen gezeichnet, und dann verlor sich das alles allmählich. Für die taz habe ich nie politische Karikaturen, nur zwei- oder dreimal ein seitengroßes Plakat gemacht, wenn die ein Jubiläum hatten, die 50. Ausgabe zum Beispiel. In dieser Zeit war ich sehr viel in den USA, bei Gilbert Shelton und Paul Mavrides, den "Freak Brothers"-Zeichnern, bis mir das Geld ausging. Die amerikanischen Zeichner haben mich sehr beeinflusst. Ich hatte mich ja, bis ich das erste Mal in Amerika war, gar nicht als Künstler empfunden. Sondern einfach als irgendwer, der nebenbei zeichnet. Aber dort war es ein richtiger, anerkannter Beruf, das hat mich sehr bestärkt und mir auch ein Selbstbewusstsein als Zeichner gegeben.

Wie ging es danach weiter?

Eigentlich habe ich eine ganz gute Karriere gemacht und auch ganz gut verdient - bis 1990, dem Jahr der Wiedervereinigung. Danach habe ich eigentlich nichts mehr verdient. Der letzte wirklich nennenswerte große Auftrag kam vom "Zeit-Magazin", als Michael Sontheimer dort Chef war, es muss noch in den 1980ern gewesen sein. Der hat mich als Reporter nach England geschickt, damit ich eine Reportage über die Puppentrick-Satire-Serie "Spitting Image" mache. Nach 1990 gab es noch ein paar kleine Aufträge von der "Welt", und dann war Sense. Ich bin buchstäblich verarmt nach dem Mauerfall.

Woran lag das?

Schwer zu sagen. Das Interesse ging verloren von potenziellen Auftraggebern. Und dann habe ich fast nur noch von Plakat-Aufträgen gelebt, hauptsächlich von der Linken, auch von den Grünen anfänglich.

Für den grünen Bundestagsabgeordneten Hans-Christian Ströbele hast du ja viele Wahlplakate gezeichnet…

Ja, das war noch mein Highlight. Einer der wirklich wenigen Politiker, vor denen ich Respekt habe. Allgemein verachte ich Politiker grundsätzlich (lacht). Aber Ströbele ist ein guter Mann, war auch immer gegen Krieg.

Du hast aber nicht nur Plakat-Aufträge gemacht, sondern immer wieder auch Comic-Bände und seit 2003 auch vier historische Romane veröffentlicht.

Inzwischen begreife ich mich als Historiker. Geschichte hat mich sehr interessiert und interessiert mich immer noch. Es war so gedacht, dass diese Bücher, falls ich mal eines Tages nicht mehr zeichnen kann, mein "Ersatzberuf" sind. Und ich bin jetzt tatsächlich durch das lange Jahr 2021 ganz aus dem Zeichnen rausgeraten, weil durch einen Unfall und mehrere Operationen meine Handmotorik beschädigt ist.

Zeichnest du so langsam wieder?

Ich übe. Ich habe seit 2021 nichts mehr veröffentlicht außer einem Plakat für die Linke in Brandenburg. Für die Linke habe ich schon viel gemacht, die haben immer gut bezahlt und mir nicht reingemeckert. Das war bei Aufträgen für Privatfirmen oft ein großes Problem. Was mir auch die Lust verdorben hat, für Firmen zu arbeiten – obwohl ich das eh schon auf solche beschränkt habe, die ich gerade noch vor meinem Gewissen vertreten konnte. Ich würde zum Beispiel nichts für Banken machen.

Das ist ja bei vielen Zeichner:innen so, dass sie Aufträge für den Lebensunterhalt machen und daneben noch Comics und Karikaturen…

… mit denen man nichts verdient.

Wie sieht es mit dem Renommee von Comics und Karikaturen in Deutschland aus, hat sich da in den Jahrzehnten deiner Karriere etwas geändert?

Naja, die Verkaufszahlen meiner Comicbände gingen kontinuierlich in den Keller, nachdem "Wo soll das alles enden?" noch eine irrsinnige Auflage hatte, weit über 500.000. Der Fehler ist, wenn man in Deutschland bleibt als Zeichner. Das weiß ich jetzt. Deutschland ist ein ganz mieses Comicland. Wenn ich dagegen an Belgien und Frankreich denke, wo manche Zeichner Verdienstorden kriegen. Und Rente.

Dennoch ermutigst du immer wieder junge Leute, diesen steinigen Weg zu gehen. Du hast schon ziemlich viele Comic-Workshops gemacht…

In Namibia, in Moskau, in Kassel bei der Caricatura. Die meisten auf Englisch.

Und jetzt für Studierende der Stuttgarter Hochschule für Kommunikation und Gestaltung. Was ist nach deiner Erfahrung das, was man jungen Zeichnerinnen und Zeichnern – wenn sie dann doch nicht zur Bundeswehr gehen – am ehesten beibringen muss?

Mein eigentlicher Ratschlag ist immer: Lest alle möglichen Comics! Dann kristallisiert sich raus, was euch gefällt, und wozu ihr ein Talent habt. Das war bei mir so. Ich bin ja anfänglich von Donald Duck beeinflusst worden – wohlgemerkt nicht Micky Maus, den hielt ich immer für einen Bullenspitzel –, dann sehr stark von den "Freak Brothers" von Gilbert Shelton. So sehr, dass ich da hingefahren bin und die Leute alle kennengelernt habe.

Also: Comics lesen, Comics lesen, Comics lesen.

Ja. Und zwischendurch selber welche probieren.

Fällt dir spontan ein karikaturistisches oder Comic-Thema zu Stuttgart ein?

Na, da steht euer Bahnhof an erster Stelle (lacht).


Gerhard Seyfried hält am 12. Juni um 17 Uhr die Laudatio zur Ausstellung mit "Der Ökodiktator" von Björn Dermann und Peter Unfried und Karikaturen von Oliver Stenzel (Theaterhaus Stuttgart, oberes Foyer, Siemensstraße 11, 70469 Stuttgart). Gezeigt werden im Rahmen dieser Vernissage und nur an diesem Tag auch die besten Ergebnisse aus dem Comic-Workshop.

Die Ausstellung und der Workshop wurden ermöglicht mit Unterstützung der Wiedeking Stiftung.

Karten für das Fest "11 Jahre Kontext" erhalten Sie direkt über das Theaterhaus Stuttgart, online oder telefonisch unter 0711 4020720.


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2 Kommentare verfügbar

  • gerhard manthey
    am 08.06.2022
    Antworten
    Und wann wird Rainer Hachfeld mal wieder gedruckt. Da könnte Kontext das neue ND werden.
    Immerhin ist er ja ein Sohn Ludwigshafens. Hald vun driwwe- awwer en guder Kerl und Karikaturist. Was hat sich der rammelnde Strauss geärgert. Tempi perdu.
    Gibts noch politische Witze?
    Wenn der Nopper ein…
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