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"Und morgen die ganze Welt"

Den Rechten auf die Fresse?

"Und morgen die ganze Welt": Den Rechten auf die Fresse?
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In ihrem Film "Und morgen die ganze Welt" erzählt Julia von Heinz die Geschichte einer jungen und wohlbehüteten Frau, die sich der Antifa anschließt und sich dabei in gewalttätige Aktionen verstrickt.

"Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist." So steht es in Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes, aus dem der Film im Vorspann zitiert. Und so sehen die ersten Bilder des Films aus: Eine junge und aufgewühlte Frau läuft am Waldrand entlang, sie trägt ein Jagdgewehr, und sie wirft dieses schließlich, als wäre es toxisch, ins Feld. Es ist eine Sequenz, die vorausschaut und irgendwann von der Erzählung eingeholt werden muss. Zunächst ein Rückblick: Die junge Frau heißt Lisa (Mala Emde), sie kommt, wie man so sagt, aus gutem Haus, genauer gesagt aus einer adligen Familie, studiert im ersten Semester Jura, und als sie ihren Eltern sagt, sie wolle aus dem ländlichen Anwesen aus- und in eine WG in der Stadt ziehen, da lächeln Papa und Mama nachsichtig, geben also ihren Segen und, zumindest leihweise, das große Auto dazu.

In der WG und der assoziierten Antifa-Gruppe, in die sie von ihrer Schulfreundin Batte (Luisa-Céline Gaffron) eingeführt wird, hat Lisa keinen so leichten Stand. Nachts beim Containern ist das noch einfach, jung sein und dabei das Gefühl genießen, Renitentes und Gutes zugleich zu tun. Aber in den sperrmüllartig möblierten und mit Plakaten, Bäppern und Graffiti dekorierten Antifa-Kellerräumen kann sie ihre Herkunft nicht ganz verbergen, wird zunächst schweigend ignoriert oder misstrauisch beäugt, schaut deshalb eher vom Rande her zu, wie Recherchen über die rechte Szene präsentiert oder Störaktionen gegen eine Partei vorbereitet werden, die hier Liste 14 genannt wird und natürlich die AfD meint.

Erzählung mit Distanz

"Bitte friedlich!", so wünscht es sich ein Teil der Gruppe. Aber dies ist ein frommer Wunsch, die Antifa ist nun mal militant. Und die eng befreundeten Anführer dieser als divers gezeichneten Antifa oder zumindest diejenigen, die das Sagen haben, nämlich der Stratege Lenor (Tonio Schneider) und der Kampfsportler Alfa (Noah Saavedra), die sind es auch – und noch ein bisschen mehr als die andern. Spürt Lisa, deren Gesichtszüge so weich und ein bisschen verschwommen wirken, einen Rechtfertigungsdruck, will sie sich beweisen, um von Alfa und Lenor gesehen zu werden? Jedenfalls stürzt sie sich, nachdem die ersten Farbeier und eine Torte geflogen sind, ins Getümmel und klaut einem brutalen Ordner das Handy, dessen ausgelesene Daten später den Ort eines rechtsextremistischen Zentrums verraten. Nun ist Lisa anerkannt und die beiden Männer scheinen ein bisschen in sie verliebt.

"Und morgen die ganze Welt" lief 2020 im Wettbewerb von Venedig, im Oktober dann coronabedingt nur wenige Tage im Kino und ist jetzt auf Netflix zu sehen. Der Film erzählt die Geschichte einer Radikalisierung, und weil die 1976 geborene Regisseurin Julia von Heinz in ihrer Jugend selber in der Antifa agierte, kann man ihren Film wohl auch als die Geschichte einer Aussteigerin lesen. So nahe die bewegliche Kamera den Protagonisten auch kommt: Die Erzählung selber wahrt von Anfang an eine gewisse Distanz. Schon die ersten Bilder zeigen ja das, was droht. Und wenn die Zerstörung von Autos ("Ist das laut? Reifen zerstechen?") noch in schnellen Schnitten als rauschhafte Aktion inszeniert ist, wird diese gleich gewalttätig überdehnt, weil Alfa, anders als abgesprochen, auf die Fahrer warten und ihnen "auf die Fresse" geben will. So kommt es, dass Lisa sich mit einer hasserfüllten Frau konfrontiert sieht, die ihr mit einer abgebrochenen Flasche zu Leibe rückt.

Könnte es sein, dass Lisa in einen Spiegel schaut und in ihren Antifa-Aktionen plötzlich jene der anderen, also der Rechten, erkennt? Sicher ist es nicht die Absicht der Regisseurin, die Grenzen zwischen Links und Rechts zu verwischen, dass diese Gefahr allerdings besteht, hat damit zu tun, dass ihr Film Taten sprechen lässt und kaum politisch argumentiert. Es ist nur zu verständlich, dass sie sich nicht auf einen Diskurs mit der Rechten einlässt, dass sie also nicht mit Rechten reden will. Dass sie sich politisch aber auch in Sachen Antifa zurückhält und zum Beispiel nicht zeigt, ob Lisa sich nur irgendwie vom Elternhaus abnabeln will oder es noch andere Motive gibt, öffnet die Tür für Erklärungen, die vielleicht gar nicht intendiert sind.

Konkret: Wenn Lisa sich mit Alfa und Lenor in einer Dreiergruppe wiederfindet, die zu einer Art Dreierbeziehung wird – eng umschlungen aufwachen und in die Morgensonne blinzeln! –, und schließlich ein Bezug hergestellt wird zwischen Aktion und, nachdem der eifersüchtige Lenor sich verabschiedet hat, endlich Sex mit Alfa, dann wird die Politik ganz von der Psychologie verdrängt.

Das Nürnberger Projekt31 war skeptisch

Kleiner Exkurs: Der Film spielt in Mannheim, er zeigt oft Hafen- und Industriegebiete, aber natürlich nie den schönen Park am Wasserturm. Für die Innenaufnahmen des Antifa-Zentrums jedoch wurde mal das Nürnberger Projekt31 angefragt, das sich allerdings, nachdem die Filmer ihr Vorhaben vorstellten, den Dreharbeiten verweigerte. Nach Ansehen des Trailers fühlten sich die Sprecher des Projekt31 in ihrer Skepsis bestätigt: "Wir stellten uns die Frage, warum eine typisch klischeehafte, heteronormative Liebesgeschichte als Ausgangspunkt für das radikale politische Engagement einer jungen Frau dienen muss." Hier geht's zur ausführlicheren Begründung.

Zurück zum Film: Zumindest die Frage, wie weit man gehen darf, bleibt immer virulent. Gar keine Gewalt? Nur Gewalt gegen Sachen? Oder doch auch gegen Personen? Es dürfe "keine bleibenden Verletzungen der anderen" geben, so sagt einer der Gruppe, denn: "Das ist es doch, was uns von denen unterscheidet." Der zum Krankenpfleger gewordene Polit-Action-Veteran Dietmar (Andreas Lust), der die lädierte Lisa mal zusammentackert, befindet kurz und knapp: "Quatsch, was ihr da macht!" Und setzt hinzu, solche Gruppen wären schon damals "eine Bühne für Selbstdarsteller" gewesen.

In seinen kleinen Sätzen und Szenen ist dieser Film überzeugender als im Großen und Ganzen. Wobei auch sie manchmal dazu beitragen, dass Themen angerissen, dann aber nicht weiterverfolgt werden, die Geschichte sich also verzettelt. Dramaturgisch ist dieses Ratlose und Unschlüssige unbefriedigend, aber man kann das auch, weil es wohl die tatsächlichen Diskussionen und Widersprüche abbildet, positiv sehen. Wer sich also lieber Fragen ausgesetzt sieht als Antworten zu erwarten, der sollte sich "Und morgen die ganze Welt" zumuten.


Julia von Heinz' "Und morgen die ganze Welt" lief 2020 beim Filmfestival Venedig im Wettbewerb, kam im Oktober 2020 für vier Tage ins Kino und ist jetzt bei Netflix zu sehen und auf DVD zu haben.


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1 Kommentar verfügbar

  • Tanja Tasche
    am 25.05.2021
    Antworten
    Danke für die Rezension. Den Film will ich mir unbedingt ansehen, weil er Fragen zur Motivation der Aktivisten aufwirft, die mich immer mal wieder gedanklich beschäftigen. Sind gewaltbereite Aktivisten wirklich davon überzeugt, dass die gewalttätige Aktion das beste Mittel darstellt, um ihrem…
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