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TV-Serien "Ku'Damm 63" und "Die Zweite Heimat"

Auf in die Sechziger!

TV-Serien "Ku'Damm 63" und "Die Zweite Heimat": Auf in die Sechziger!
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Das ZDF blickt mit seiner "Ku'Damm"-Serie, in der sich drei Töchter in repressiven Zeiten von ihrer rigiden Mutti emanzipieren wollen, auf die Frühzeit der Bundesrepublik zurück und stellt sie in aufgeräumten Bildern nach. Intensiver hat Edgar Reitz diese Zeit mit seiner ARD-Serie "Die Zweite Heimat" erfasst.

Der Braten brennt an, der Weihnachtsbaum fällt um: In überklarer Symbolik lässt der TV-Dreiteiler "Ku'Damm 63" mal wieder die Familienharmonie zusammenbrechen. Es muss eben schnell gehen, keine Zeit also, erst mal Stimmung aufzubauen, weil sich die nächsten Probleme ja schon in der Warteschlange drängeln. Und alle, alle Probleme kommen in dieser Erzählung von der Tanzschulbetreiberin Caterina Schöllack (Claudia Michelsen) und ihren drei unglücklich verheirateten Töchtern auch dran: Kaum ist Monika (Sonja Gehrhardt) von ihrem Fabrikbesitzer-Erben schwanger, folgt schon die Fehlgeburt; kaum hat die unter ihrem schwulen Staatsanwalts-Gatten leidende Helga (Maria Ehrich) eine Affäre mit einem Tango-Lehrer, wird dieser von Mutti geschasst; und kaum hat sich Eva (Emilia Schüle) von ihrem gewalttätigen Gatten, einem Psychiatrieprofessor, emanzipiert, steigt sie in wenigen kurzen Szenen von der mondänen Galeristin zur Parkbankschläferin ab.

Gestriges abgehakt im Schnelldurchlauf

Die von Annette Hess erdachte und in der dritten Staffel von Marc Terjung inszenierte Serie arbeitet einerseits als Reiseveranstalter, sie transportiert den Zuschauer, so wie schon die Vorgänger "Ku'Damm 56" und "Ku'Damm 59", sozusagen als Touristen zurück in die frühen Jahre der Bundesrepublik. Und sie fungiert andererseits als Speditionsunternehmen, das im Express-Tempo Inhalte und Botschaften ausliefert. Von einem aufgeklärten heutigen Standpunkt aus werden die repressiven, restaurativen und patriarchalen Strukturen von gestern im Schnelldurchlauf abgehakt, der Effekt ist ein bisschen wie beim Betrachten von Werbefilmen jener Zeit, in der sich vorgespielte zeitgenössische Fröhlichkeit als harte Ideologie abgelagert hat: zum Lachen, zum Weinen und gleichzeitig zum Schwelgen in Nostalgie.

Diese so kondensiert und kolportagehaft voranhetzende "Ku'Damm"-Story, in der jede Sequenz funktional eingesetzt ist und das Schicksal im Minutentakt zuschlägt, staffiert nämlich die Vergangenheit – von den Kleidern über die Möbel bis hin zu den Autos – wie ein sauber aufgeräumtes, blitzblank geputztes und ziemlich steriles Deutschland-Museum aus. Nichts ist hier individuell, alles ist stellvertretend. Auch die Figuren passen sich der Kulissenhaftigkeit an, entwickeln kein Eigenleben, sind nur vollgestopfte Problembehälter. Der Barbesitzer Freddie (Trystan Pütter) etwa ist hier nicht nur jüdisch, sondern Jude an sich, und wenn ihm Neonazis ein Hakenkreuz vor den Tresen kleben, hat "Ku'Damm" das Thema Antisemitismus behandelt. Ambivalenzen sind nicht erlaubt, entsprechend agieren die Schauspieler: mit gut ablesbarer, also eindeutiger Gestik und Mimik.

Einen gewissen Unterhaltungswert haben diese mit Schlagern, Beat- und Popmusik durchtönten, man könnte auch sagen versiegelten "Ku'Damm"-Geschichten dennoch. Und dass eine Schauspielerin wie Claudia Michelsen Spaß an ihrer Rolle als jederzeit opportunistische und töchterverkuppelnde Mutti hatte, die Moral durch Manieren ersetzen will, merkt man ihr an. Man darf dieses routinierte TV-Entertainment-Stück nur nicht vergleichen mit einer anderen Serie, besser: mit einem großen Werk, nämlich mit Edgar Reitz' "Die zweite Heimat". Die wurde in den frühen Neunzigern gedreht, spielt aber wie "Ku'Damm 63" in den Sechzigern. Wir vergleichen natürlich trotzdem. Und staunen erneut, wie es Reitz in dieser Geschichte vom aufstrebenden Komponisten Hermann (Henry Arnold) und (s)einer Gruppe junger Avantgarde-Künstler in München schafft, nicht einfach auf Historie zurückzublicken, sondern in diese hinein zu inszenieren.

Bei Reitz kann sich alles mit der Zeit entfalten

Wie Reitz sich Zeit lässt, ja, wie er dem Zuschauer Zeit schenkt, ohne dass seine dreizehn jeweils etwa zweistündigen Filme an Spannung und Dichte verlieren! Wie sich alles entfalten kann und atmet! Dieses Gespür für Atmosphäre, für Umgangsformen, Bewegungen, Musik und Geräusche, für die Vielfalt von Dialekten, für die Stadt und wie sie sich verändert, für das Licht im Lauf des Tages, für die Jahreszeiten und das Wetter! Wenn es hier sturzregnet, fühlt man sich sogar als Zuschauer klatschnass. Und nicht zu vergessen: diese fantastische Kamera und der nie ganz vorhersehbare, aber immer stimmige Wechsel von Schwarzweiß und Farbe! Wir haben diese "Zweite Heimat" damals, nach der Erstausstrahlung im Fernsehen, gelobt, aber auch ein wenig kritisiert, vor allem deshalb, weil sie eben nicht einfach die Fortsetzung der grandiosen ersten "Heimat" aus den frühen 1980er-Jahren war, diesem Jahrzehnte umfassenden Porträt des Hunsrück-Dorfes Schabbach, in dem sich die ganze Welt spiegelte. An dieser Stelle und nach dem Wiedersehen müssen wir Abbitte leisten: "Die zweite Heimat" ist anders, aber nicht weniger grandios!

Zunächst schildert Reitz in dieser autobiografisch inspirierten "Chronik einer Jugend" die Lehrjahre des Hermann aus dem Hunsrück, der nach einer Enttäuschung der Provinz und der Liebe abgeschworen hat und sich nun mit großen, begierigen Augen die Stadt München aneignen will. Langsam findet sich ein Kreis von Gleichgesinnten, eine akademisch geprägte Boheme, die sich in der Villa der Erbin und Mäzenin Fräulein Cerphal (Hannelore Hoger) trifft. Die ist – ähnlich wie Mutti aus der "Ku'Damm"-Serie und filmisch doch ganz anders – eine große Verdrängerin und hat sich für die letzten zwanzig Jahre eine Amnesie gestattet. Fräulein Cerphals Villa, genannt Fuchsbau, hat übrigens mal Onkel Goldbaum gehört. Überhaupt lagert sich in dieser großen Erzählung nicht nur Schicht um Schicht an, es wird auch Schicht um Schicht entfernt, so dass unter den Fassaden immer mehr an düsterer deutscher Vergangenheit sichtbar wird.

So sehr diese junge Generation sich auch befreien will von ihrer Herkunft, von provinzieller Enge, familiären Abhängigkeiten, spießiger Kleinbürgerlichkeit oder kaltem Großbürgertum: Sie wird immer wieder zurückgestoßen auf das, was sie geprägt hat, also auch auf die Historie dieses Landes. Einmal sagt einer: "Mein Vater hat Guernica bombardiert." Und sehr spät taucht Esther Goldbaum (Susanne Lothar) auf, mit der dann eine Sequenz in Dachau verbunden ist. In der "Zweiten Heimat" will sich diese Boheme herauslösen aus der Dunkelheit und sich in die Kunst hinein emanzipieren, in die Neue Musik wie Hermann und seine sich ihm immer wieder entziehende Liebe Clarissa (Salome Kammer), in das neue deutsche Kino wie Reinhard (Laszlo I. Kish) und seine Freunde oder ins Entertainment und die Performance, wie dies ausgerechnet der schwäbelnden Renate (Franziska Traub) gelingt, die man lange für die Unbedarfteste dieser Gruppe gehalten hat.

Ins Unbehauste oder in die Bürgerlichkeit

Den anderen aber gelingt nicht so viel, jedenfalls nicht die große Utopie, von der sie einige Zeit als Gruppe zusammengehalten wurden. Was diese Generation erfährt, sind die Fröste der Freiheit: unglückliche Lieben, Depressionen, Verfehlungen und Vergeblichkeiten. Und ja, auch materielle Nöte oder so etwas Profanes wie repressive Untermietsverhältnisse: "Klodeckel hoch!" Edgar Reitz erzählt zwar von einer elitären Gruppe, die nach Höherem strebt, aber er selber erzählt davon eben nicht elitär, seine Filme sind geerdet durch Menschen wie den Kohlenverkäufer (Fred Stillkrauth), dessen Schuppen früher Gentrifizierung zum Opfer fällt. Oder durch die grausig triste Schilderung einer illegalen Abtreibung, die ein hüstelnder Arzt in seinem Einfamilienhauskeller vornimmt. Und wenn einer mit der Neuen Musik nicht viel anfangen kann? Auch dies ist bei Reitz erlaubt und legitim. Die Beatles, so lamentiert Hermann selber in einer Schaffenskrise, seien "tausend Mal" besser als er.

In den ersten Filmen der "Zweiten Heimat" findet sich auch, wenn etwa Anspruch und Wirklichkeit sich aneinander reiben, immer wieder Komisches. Wenn aber die Jahre vergehen, wenn die Gruppe zerfällt, wenn es um diese oft haltlos-labilen jungen Menschen kälter wird und sich hinter der Freiheit die Einsamkeit verbrigt, dann wird es verdammt ernst. Dann platzt auch Helga (Noemi Steuer) in die Szenen, die mal Dichterin sein wollte und von der sanft Frustrierten zur arroganten und kantig-scharfen Politpropagandistin geworden ist, der man alles zutraut. Reitz hat vorher mal, in einer Szene zu den Schwabinger Krawallen, den gewalttätig-repressiven Staat bei der Arbeit gezeigt. In der Radikalisierung der Gegenwehr, in dem also, was in den RAF-Terrorismus führen wird, sieht er aber auch keine Lösung.

Suizide und Suizidversuche, auch Unfälle, manche davon tödlich, und viel Resignation. Ja, die Freiheit ist schwer auszuhalten, sie führt manchmal ins große Unbehauste – oder zurück in die Bürgerlichkeit. Gegen Ende der "Zweiten Heimat" werden Ehen geschlossen und Babys geboren, und wenn Hermann nun nach Hause kommt zu Waltraud alias Schnüsschen (Anke Sevenich), die ihm von Schabbach aus nachgereist ist, dann findet er sich in einer engen Wohnung wieder und in Verhältnissen, denen er wohl entkommen wollte. Aber das ist in dieser Geschichte, die so viele Ambivalenzen zulässt, nicht nur ein Unglück. Reinhard, der Autor in dieser Gruppe, sagt mal: "Was mich beim Schreiben wahnsinnig macht: dass kein Gefühl eindeutig ist!" Das trifft auch zu auf Edgar Reitz' Heimat-Saga. Und ganz und gar nicht auf die "Ku'Damm"-Story.


"Ku'Damm 63" ist in der ZDF-Mediathek zu sehen und auch, so wie die Teile "Ku'Damm 56" und "Ku'Damm 59", als DVD erhältlich. Edgar Reitz' "Die zweite Heimat" ist als Mittelteil in der DVD-Edition der "Heimat"-Trilogie enthalten.


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3 Kommentare verfügbar

  • Peter Hermann
    am 01.04.2021
    Antworten
    Ja lieber Herr Koppold, man wird alt, gell? Leute, die mit richtigen Filmen aufgewachsen sind (die von richtigen Regisseuren gemacht wurden), tun sich halt schwer mit diesem "Popcorn für die Augen", das öffentlich-rechtliche Redaktionsbeamte heutzutage einkaufen, absegnen und dabei überdies im…
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