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"Blow up" auf Arte

Spiel mir das Lied vom Kino

"Blow up" auf Arte: Spiel mir das Lied vom Kino
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Die Reihe "Blow up" präsentiert kleine Filme rund ums Kino. Eine cineastische Wundertüte, prall gefüllt mit Ausschnitten, die wie Appetithäppchen montiert sind und Lust auf die Originale machen.

Grunz! Quiek!! Oink!!! Jawohl, das Schwein darf zurecht jubeln, es wurde mit der Silbermedaille ausgezeichnet. Oder, um es sachlicher zu formulieren: Die 18-minütige Collage "Das Schwein im Film" hat es im "Top 5"-Ranking der Blow-up-Reihe auf Platz zwei geschafft. Und was ist die Blow-up-Reihe? Nun, das ist eine nach dem Kultfilm von Michelangelo Antonioni benannte Rubrik in der Arte-Mediathek, die seit etwa zehn Jahren mit immer neuen Beiträgen zum Kino gefüllt wird – inzwischen sind es weit über vierhundert. "Wir frischen ihr filmisches Gedächtnis auf", so verspricht der Sender, und zwar mit einem "originellen, informativen und schrägen Blick."

Kein Platz also für langatmig-spröde Dokumentationen. Aber sonst ist Blow up für vieles offen, wenn es sich nur irgendwie ums Kino dreht. "Wir zappen durch einen Kultfilm", so heißt eine Hoppla-Hopp-Rubrik, in der es etwa auf eine Reise mit den "Blues Brothers" geht. Zwischen zwei und gut zwanzig Minuten kurz sind die Beiträge, sie wirken immer komprimiert-kompakt und sind durchsetzt von einem cineastisch-euphorischen Geist. Das Kino der Autoren, der Independent-Film oder der Blockbuster sind in dieser Reihe genauso Thema wie Italo-Trash, zum Beispiel "Casanova Frankenstein" mit Aldo Maccione in der Hauptrolle, der in diesem Beitrag auch noch in einem Pasolini-Film entdeckt wird. Blow up ist ein Schatzkästlein des Kinos, besser noch: eine Wundertüte.

So viele Porträts von Schauspielern ("Worum ging's bei Elizabeth Taylor?") und Regisseuren (Bunuel, Truffaut, Tarantino usw.), oft zusammengestellt von Luc Lagier, immer prall gefüllt mit Filmszenen und gern übersprochen von einem leicht ironisierenden Kommentar, der lobt und preist, aber zuviel Ernst oder gar Pathos vermeiden will. Hier wird auch nicht tief gegründelt, hier wird mit dem Kino gespielt. Man könnte auch sagen: Die Blow-up-Crew demonstriert zwar immer ihre Liebe zum Film, zeigt aber nicht unbedingt größten Respekt. Wer sich bei den angebotenen Themen ("Hotels im Film"; "Regen im Film"; "Der Brief im Film" etc.) etwa "Oper im Film" aussucht, der erhält keine Erklärung zum Verhältnis zwischen den beiden Gattungen, sondern einen exzellent montierten Kurzfilm über eine Aufführung von "La Wally", entnommen dem Kunst-Thriller "Diva" und besucht von Woody Allen, Julia Roberts, Al Pacino oder Orson Welles. Das Kino schaut sich in solch verspie(ge)lten Collagen quasi selber zu!

Spielerisch-lustvolle Kurzfilm-Schubladen

Aber nochmal zurück zur Musik im und zum Film. Sie ist, von James-Bond-Abenteuern bis hin zu Porträts von Komponisten wie Gabriel Yared oder Ennio Morricone, eine Blow-up-Domäne. (Die Nummer eins im Ranking der Reihe widmet sich David Bowie!) Wem ist vorher schon aufgefallen, dass in so vielen Filmen Erik Saties Werke "Gnosiennes" oder "Gymnopédies" zu hören sind? Die Arte-Reihe, die auch einen Filmauftritt von Satie höchstpersönlich ausgegraben hat (in "Entr'acte" von René Clair aus dem Jahr 1924), zählt sie auf – respektive führt die Szenen vor, in denen diese melancholischen Klaviertöne eine Stimmung kreieren oder verstärken. In Louis Malles "Das Irrlicht" zum Beispiel, bei der Zigarette danach. Oder in einer neuen Netflix-Serie, nämlich dem Überraschungserfolg "Das Damengambit".

An dieser Serie können Arte-Mediathek-NutzerInnen gleich dranbleiben: "Das Damengambit" spielt nämlich auch mit im Beitrag "Schach im Film", in dem Humphrey Bogart in "Casablanca" allein vor dem Brett grübelt, in dem Bauern und Könige im Raumschiff Enterprise hin- und hergeschoben werden, in dem sich Kevin Spacey als ränkeschmiedender Held der Serie "House of Cards" auf 64 Feldern ausprobiert. Zum Film mit der allerbesten Schachsequenz wird "Die Thomas Crown Affäre" gekürt – eine erotische Sequenz mit Faye Dunaway und Steve McQueen, die das Spiel schließlich vom Brett ins Bett verlagern. Dass Blow up bei aller Vielfalt den Schwerpunkt auf das US- und das französische Kino legt beziehungsweise, patriotischer formuliert, dass das deutsche Kino eher marginal auftaucht, zeigt sich in diesem Beitrag auch: Gerd Oswalds Verfilmung von Stefan Zweigs "Schachnovelle" fällt unter den Tisch.

Insgesamt aber ist der Besucher der Blow-up-Reihe schier überwältigt von der Menge des zusammengetragenen Materials. Eine unbändige Lust am Sammeln ist hier spürbar, eine Lust auch, diese Szenen unter einem Rubrum zusammenzubringen und vorzuführen. Wobei es, wie gesagt, nicht so sehr um eine genaue Analyse geht, manchmal begnügt sich die Reihe mit purer Addition. Und immer versteht sie die aufgespürten Filmschnipsel als Spielmaterial, reiht sie aneinander oder montiert sie – siehe "Oper im Film" – auch neu. In der Rubrik "Collisions" vermischt sie sogar Filme oder erfindet sie quasi neu, so dass etwa David Hemmings im 1966 entstandenen (und wie erwähnt zum Reihentitel gewordenen) Film "Blow Up" am Ende Musik von Radiohead hört.

Die Videokünstlerin Johanna Vaude, so erklären die Blow-up-Macher zu einer anderen Rubrik, "schneidet für uns die Bilder des Klassikers 'In the Mood for Love' neu zusammen". Zu sehen sind nun stilprägende Szenen aus diesem Werk von Wong Kar-Wai, sieben Minuten lang in- und übereinandergeblendet, ohne dass klar ist, wo genau Johanna Vaude eingegriffen hat. Soll das wirklich ein eigenständiges Kunstwerk sein? Schmückt sich die Künstlerin da nicht mit fremden Federn? Andererseits: Wer diese Bearbeitung sieht, bekommt Lust, sich wieder mal das Original anzusehen. So wie man überhaupt bei vielen Beiträgen Lust auf den Originalfilm bekommt. Die Blow-up-Beiträge sind eben nicht das Kino selber und auch kein Kino-Ersatz. Sie eignen sich aber sehr gut als Vorfilme oder Trailer: Appetithappen, welche die Sehnsucht nach mehr wecken. Eine Sehnsucht, die am Ende nicht nur Ausschnitte will, sondern auch eine Erzählung, ein sinnvolles Ganzes. Einen richtigen Film eben.


Alle Kurzfilme der Reihe "Blow up" kann man hier in der Arte-Mediathek nachschauen.


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