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Hitler als Kopfgeburt

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In seiner für sechs Oscars nominierten Komödie "Jojo Rabbit" spielt der Regisseur Taika Waititi selber einen etwas kindischen Führer, der einem Hitlerjungen als Freund und Ratgeber erscheint. Darf man mit dem Nazi-Schrecken Scherz treiben?, fragt nicht nur unser Kritiker.

Er hat sich so gefreut auf das Camp im Wald, auf die Waffenübungen, auf die Geländespiele, bei denen es mal heißt: "Kinder, verbrennen wir ein paar Bücher!" Nun hat der zehnjährige Hitlerjunge Jojo Betzler (Roman Griffin Davis) die Chance, es allen zu zeigen. Er soll das Kaninchen töten, das ihm ein Ausbilder vor die Nase hält. Doch so sehr der blonde und fast immer uniformierte Jojo auch die Propaganda der Nazis aufgesogen hat, so sehr er auch für den Führer glüht: bei dieser Mutprobe versagt er. Er bringt es zu seinem eigenen Entsetzen nicht fertig, das kleine Tier abzustechen, erntet deshalb Hohn und Spott und einen Spitznamen: Jojo Rabbit. Einer aber hat Verständnis und tröstet ihn: "Lass die andern doch sagen, was sie wollen. Sie haben auch schlimme Sachen über mich gesagt." So stürzt sich Jojo mit neuem Mut in ein Handgranatenspiel, wird dabei verletzt und scheidet aus dem Camp aus.

Der Tröstende ist übrigens Adolf Hitler selbst. In voller brauner Montur taucht er neben Jojo auf, unterhält sich mit ihm, gibt Ratschläge und pflegt seine Eitelkeiten. Ein Freund und Vorbild für Jojo – und zwar nur für ihn. Denn der Führer ist hier eine Imagination des Jungen, hör- und sichtbar nur für diesen, also eine exklusive Projektion wie es mal die Humphrey-Bogart-Figur in der Komödie "Mach's noch einmal Sam" (1972) für den schüchternen Woody Allen war. Wie? Aber ja, es ist ein Unterschied, ob man sich Humphrey Bogart als Freund einbildet oder Adolf Hitler. Das weiß natürlich auch der "Jojo Rabbit"-Regisseur Taika Waititi, der selber den Führer spielt – und zwar als augenrollende Karikatur.

"Jojo Rabbit" ist für sechs Oscars nominiert worden, darunter den für den besten Film, und trotzdem wird er kontrovers diskutiert. Wie schon bei Chaplins "Großem Diktator" (1940), Lubitschs "Sein oder Nichtsein" (1942) und später bei Filmen wie Mel Brooks‘ "Frühling für Hitler" (1967), Roberto Benignis "Das Leben ist schön" (1997) oder David Wnendts "Er ist wieder da" (2015) wird die Frage aufgeworfen, ob man Nazis zu Figuren einer Komödie machen dürfe. Ob man also nicht, wenn man Hitler zum Lachen freigebe, Auschwitz verharmlose. Nachdem der Neuseeländer Taika Waititi, Sohn eines Maori-Vaters und einer Mutter mit jüdischen Wurzeln, sein Projekt dem "Guardian" vorgestellt hatte, erkannte er in der Miene des Interviewers "eine Art Konfusion, eine Art Angst, Abscheu und Zweifel". Er selber aber glaubt an die aufklärerische Kraft der Komödie und kontert Kritik unter anderem mit dem Argument, dass er nicht wirklich Hitler spiele, sondern "die Vorstellung eines Zehnjährigen von Hitler".

Ein Diskurs, der zum Exorzismus wird

Dieser Zehnjährige, dessen Vater im Krieg und dessen Schwester tot ist, gerät in Waititis Film in eine Glaubenskrise. Er entdeckt in einem Verschlag das etwa 14-jährige Mädchen Elsa (Thomasin McKenzie) dem Jojos Mutter (Scarlett Johansson) Unterschlupf gewährt hat. Ein jüdisches Mädchen! Natürlich will Jojo, treuer Hitler-Junge der er ist, das sofort melden. Dann wäre aber auch seine Mutter dran, droht die ernste und taffe Elsa in dieser Geschichte, die auch eine Hommage an Anne Frank ist, dem milchig-naiven Jungen. So dass es zu einem Deal kommt: Jojo verrät sie nicht, Elsa muss ihm dafür erklären, was denn Juden, die er für Monster hält, so treiben und wie sie so sind. Dass sie keine Hörner habe, das hänge mit ihrem Alter zusammen, sagt Elsa sarkastisch, die wüchsen erst im Alter von 21. Und wo Juden gern hausen? Elsa gibt ihm eine Zeichnung, auf der Jojo nur seinen eigenen Kopf erkennt. Doch, das sei schon richtig, sagt sie, genau dort würden seine Juden leben. "Jojo Rabbit" ist letztlich ein pädagogischer Film.

Und es ist ein Film der bewussten Ton- und Stilbrüche. Wenn man sich als Zuschauer gerade eingerichtet hat in einer Komödie, die an die Exzentrik einer Wes-Anderson-Geschichte ("Budapest Hotel") und an die hemmungslosen Klamotten der Monty-Python-Truppe erinnert, lässt Waititi auf dem Marktplatz der Kleinstadt plötzlich die Beine von Gehenkten ins Bild baumeln. Was diese Menschen mit den Verräter-Schildern um den Hals getan hätten, fragt Jojo seine Mutter. Sie antwortet: "Was sie konnten." Eigentlich kann es nach so einer Szene kein Zurück in die Albernheiten der Komödie geben. Aber der Regisseur lässt seinen kindischen Hitler weiter herumkindeln, setzt weiter auf Slapstickszenen oder verstrickt eine schwarzgewandete Gestapo-Schar in eine nicht enden wollende "Heil"-Begrüßungsorgie. Aber all dies ist jetzt grundiert: während die lustige Oberfläche das Pathos des Faschismus zersetzt, verweist der Untergrund auf blutigen Ernst.

Je mehr Jojo im Gespräch mit Elsa seine Nazi-Gewissheiten verliert, desto beleidigter reagiert sein Hitler-Über-Ich. Ein Diskurs, der zum Exorzismus wird, der also das Böse bannen und das Gute in Jojo freilegen will. "Sie werden nie gewinnen", sagt Jojos tatkräftig-selbstbewusste Mutter. Denn: "Liebe ist das Stärkste auf der Welt." Nein, ein politischer, besser: ein politisch argumentierender Film ist das nicht. Sondern ein mitunter herzzerreißender Aufruf gegen den Hass und ein Appell an das Herz. Am Ende seiner mit Anachronismen spielenden Geschichte lässt der Regisseur, nachdem er schon die Beatles auf Deutsch ("Komm gib mir deine Hand") zu Wort und Gesang kommen ließ, noch die elektronischen Gitarren eines David-Bowie-Songs in die bösen alten Zeiten hineinkrachen: "Heroes!" Das passt.


Taika Waititis "Jojo Rabbit" ist ab Donnerstag, 23. Januar in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.


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