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Der Mann fürs Grobe

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In der Komödie "Das perfekte Geheimnis" haben Freunde eigentlich nichts voreinander zu verbergen – bis sie ein Spiel spielen, bei dem alle ihre Handynachrichten öffentlich werden. Der Stoff: ein italienischer Exportschlager, im deutschen Remake plump inszeniert.

Lehnen Sie sich entspannt zurück, suhlen Sie sich in Schadenfreude, schämen Sie sich unbeschwert fremd! So könnte die Gebrauchsanweisung für Bora Dagtekins Komödie "Das perfekte Geheimnis" lauten, in der eine Freundesclique beim Dinner auf die Idee kommt, sich "ehrlich" zu machen. Was hier heißt: Alle sieben Handys auf den Tisch, Textnachrichten sofort vorlesen, jeden Anruf auf "Laut" stellen. Die alten Peinlichkeits-Partyspiele sind also angekommen in unseren digitalisierten Zeiten, und dies grenzüberschreitend.

Denn dieser Film ist das Remake der italienischen Komödie "Perfetti Sconosciuti", die seit ihrer Kinopremiere im Jahr 2016 schon in mehr als einem Dutzend Länder adaptiert wurde, darunter auch in Südkorea und China. In seiner Fassung allerdings, so sagt der Regisseur Dagtekin stolz, hätten einige Figuren "ganz neue Konflikte, es gibt neue Szenen und viele neue kleine Ideen, dialogisch sind wir pointierter." Ein deutscher Mehrwert also, eine Wir-können-es-noch-besser-Zusatzleistung.

Aber jetzt hinein in diese Geschichte, in welcher der Schönheitschirurg Rocco (Wotan Wilke Möhring) in seiner Luxuswohnung die Gäste erwartet und in der Küche – ein Gemüseberg wie arrangiert für den Fotografen des Hochglanz-Food-Magazins "Teuer, aber selbst gekauft" – eifrig herumdilettiert. Außerdem kabbelt er sich mit seiner Frau, der dogmatisch-strengen Therapeutin Eva (Jessica Schwarz), die sich wiederum anlegt mit der ausgehfertigen Tochter, bei der sie eine Packung Kondome gefunden hat. Nun treffen ein: der frustrierte Hausmann Leo (Elyas M'Barek) und seine Karrierefrau Carlotta (Karoline Herfurth); der mit nicht gelingenden Geschäften beschäftigte Taxifahrer Simon (Frederick Lau) mit seiner wesentlich jüngeren Verlobten Bianca (Jella Haase); und der geschiedene Lehrer Pepe (Florian David Fitz), der seine neue Freundin krankheitshalber zu Hause lassen musste.

Kein Gespür für Timing

So, jetzt ist alles angerichtet, das Spiel kann beginnen. Ein Spiel der Mittelschicht in mittlerem Alter, wenn man von der jüngeren und als Tiertherapeutin firmierenden Bianca mal absieht.

Wer kriegt da den Anruf, dass der OP-Termin für die neuen Brüste jetzt feststehe? Wer kriegt die Nachricht vom Koks-Dealer? Wer ruft da wen an und stöhnt orgiastisch herum? Wer textet da wem, er wolle sofort vögeln? Wer ist von wem schwanger? Und wer … Aber genug jetzt. Das sei nämlich ein Film, so schreibt die PR-Abteilung, in den die Zuschauer "besser eintauchen und dessen Emotionalität erfahren, wenn sie nicht vorher schon alles darüber lesen konnten. Die konkreten großen Geheimnisse oder Entblätterungen der Figuren sollten nicht verraten werden." Also gut, dann verraten wir eben nur ganz allgemein, dass das wie von einem Algorithmus generierte Drehbuch eine Völlerei mit Themen, Problemen und Affären betreibt, mit denen dann die Anwesenden vollgestopft werden. Die bleiben trotzdem – oder gerade deshalb! – bloße Behauptungen, bleiben beliebig hin- und hergeschobene Spielfiguren ohne Eigenleben.

Könnte ja dennoch ganz lustig werden als Boulevard-Typen-Komödie, wenn der Regisseur ein Gespür für Eskalation und für Timing hätte. Hat er aber nicht. Hier werden hektisch Bilder aneinandergeschnitten, hier wird pausenlos gequatscht, hier hat also nichts Platz zwischen den Sätzen, kann sich nichts entfalten und, weil die Reaktionszeit fehlt, kaum eine Pointe zur Wirkung kommen. Dass Rocco als Koch versagt und immer wieder Ungenießbares serviert, wird auch nicht richtig ausgespielt, und selbst die Szenen von einer Mondfinsternis verdichten sich nie zur Metapher.

Der Regisseur Bora Dagtekin, dem mit "Fack-Ju-Göthe" eine gut gelaunte Krawall-Komödie gelungen ist, zeigt sich hier erneut, nun aber an der falschen Stelle, als Mann fürs Grobe. "Das perfekte Geheimnis" ist ein Konversationsstück wie "Der Vorname" oder "Der Gott des Gemetzels", es kann nur funktionieren, wenn es "erwachsen" durchgespielt wird und ein Minimum an Identifikationsmöglichkeiten bietet.

Dass "Das perfekte Geheimnis" sehr weit von der Perfektion entfernt ist, liegt also nicht am Stück, sondern an dessen Inszenierung. Man kann dies überprüfen, wenn man den Film zum Beispiel vergleicht mit der französischen Version "Nichts zu verbergen", die unter anderem beim Streaming-Dienst Netflix zu sehen ist. Ein paar Themen weniger werden hier aufgetischt, und so kann sich dieser Film auch mal Zeit lassen, kann sich auf lebendige Charaktere konzentrieren, kann atmen und Atmosphäre aufbauen. Auf einen plump bejohlten Penis-Gag wie jenen, in dem Bianca das Teil ihres Ex-Lovers mit ausgebreiteten Armen vorstellt wie ein Fischer seinen Fang, verzichtet "Nichts zu verbergen", er bliebe in dieser trotz aller Intimitäten diskret-eleganten Inszenierung auch, nun ja, ein Fremdkörper. Und was sagt man zu diesem dreist aufgepappten Schluss, wie ihn sich Dagtekin leistet? Der sollte wegen erzählerischer Willkür abgemahnt werden. Was hiermit geschieht.


Bora Dagtekins "Das perfekte Geheimnis" ist ab Donnerstag, 31. Oktober in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.


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