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Die Stimme erheben

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Für ihre "kreative, öffentlichkeitswirksame Reaktion auf eine AfD-Kampagne gegen ausländische Künstler" hat der Bundesverband deutscher Pressesprecher die Stuttgarter Staatstheater ausgezeichnet. Thomas Koch, Kommunikationsdirektor der Oper, gibt Auskunft.

Herr Koch, der AfD-Chefideologe Marc Jongen will die Kultur "entsiffen". Wie positionieren Sie sich dazu?

Die AfD-Anfrage im Juni zur Staatsangehörigkeit der Künstler war für uns ein Weckruf. Wir wollten uns aber nicht nur empören, das hätte sich schnell erschöpft, sondern mit einer entsprechenden Hintergrundrecherche arbeiten: zunächst für uns selbst, dann aber auch für die Öffentlichkeit, um damit die vermeintliche Harmlosigkeit der Anfrage zu enttarnen und Bezüge herzustellen: zum Grundsatzprogramm der Partei, aber auch historisch. Schon 1930 stellte der damals einzige württembergische NSDAP-Abgeordnete Christian Mergenthaler eine Kleine Anfrage zur Uraufführung von Ossip Dymows "Schatten über Harlem": wie es sein könne, dass in deutschen Theatern "Negermusik" gespielt werde.

Das haben Sie recherchiert aufgrund der AfD-Anfrage?

Man braucht ja Anhaltspunkte. Unser Anhaltspunkt war eine von dem Historiker Hannes Heer erstellte Ausstellung 2008 im Staatstheater unter dem Titel "Verstummte Stimmen". Da ging es um die von den Nationalsozialisten vertriebenen, verfemten, ermordeten oder zur Emigration gezwungenen Künstlerinnen und Künstler, aber auch Mitarbeiter. In der Dokumentation, eine Broschüre unter dem Titel "Sie brauchen nicht mehr zu kommen", ist dieser Fall sehr gut dokumentiert, also auch die Entwicklung vor 1933. Das ist entscheidend: Wir wissen, was ab 1933 passiert ist. Aber wie hat sich das aufgebaut?

Und dann haben Sie das Kultusministerium darauf aufmerksam gemacht?

Genau. Und wir haben gemeinsam gesagt: Wenn wir jetzt nicht stark reagieren, dann ermutigt das nur zu Weiterem. Unsere andere Recherche ging ja in die Tiefen der AfD-Strategie von Jongen und Hans-Thomas Tillschneider, dem Landtagsabgeordneten aus Sachsen-Anhalt. Auf Tillschneiders Website steht: Ein starkes Theater braucht eine identitäre Bewegung. Wenn man das liest, wird sofort klar, dass die Anfrage nicht so unschuldig war, wie der Abgeordnete Rainer Balzer in Stuttgart behauptet hat. Diese Unschuld ist nur Schein. Einerseits zu hinterlegen, dass die Anfrage der AfD Teil eines größeren strategischen Puzzles ist, und gleichzeitig zu zeigen, dass diese Strategie zwar nicht identisch ist, sich aber auf jeden Fall herleitet von der Strategie, die damals von den Nationalsozialisten erfolgreich angewandt wurde, war schon ein wichtiger Punkt.

Ausgezeichnet kommuniziert

Der BdP-Award des Bundesverbands deutscher Pressesprecher wird in diesem Jahr zum zweiten Mal vergeben. Die Jury begründet die Vergabe des Sonderpreises 2019 damit, dass das Staatstheater Stuttgart "seit Jahren in seiner Kommunikationsarbeit immer wieder auf großartige Weise zivilgesellschaftlichen Einsatz und politische Haltung" zeige, und erinnerte an die 2018 gestartete Solidaritäts-Kampagne "#FreeKirill" für den Regisseur Kirill Serebrennikov, der in Russland unter Hausarrest stand. Jetzt würdigte der BdP die "überaus kreative und öffentlichkeitswirksame Reaktion" auf eine parlamentarische Anfrage der AfD zur Offenlegung der Staatsbürgerschaft von Künstlern. "Haltung zeigen durch Kommunikationsarbeit – das verdient Anerkennung und eine besondere Würdigung." (dh)

Was haben Sie damit angefangen? Haben Sie eine Pressemitteilung herausgegeben?

Eine Pressemitteilung nicht, aber wir haben ausgewählte Journalisten angeschrieben.

Und die Reaktion?

Wichtig war uns, zu zeigen, dass die Stellungnahme vom Theater als Ganzem kommt. Unser geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks wurde so zur Stimme und zum Gesicht in den Medien. Das führte zu Interviews, auf 3Sat, Deutschlandradio, Deutsche Welle. Meine Kontakte bei der New York Times und der Financial Times zeigten ebenfalls Interesse und berichteten ja auch groß. Journalisten beider Zeitungen  sind nach Stuttgart gekommen. Sie haben mit Rainer Balzer gesprochen, mit den staatlichen Stellen und anderen. Dann hat auch die Lokalpresse das Thema noch einmal aufgegriffen. Ich glaube wahrzunehmen, dass  sich seither ein anderes Bewusstsein gegenüber der AfD herausgebildet hat und sie jetzt als rechtsextrem bezeichnet wird und man sich fragt, ob sie nicht ein Prüffall für den Verfassungsschutz sein könnte.

In der Anfrage ging es um die Opernstudios. Was ist das überhaupt?

Das Opernstudio ist eine Art Postgraduiertenprogramm für junge Sänger: ein Zwischenschritt zwischen der Hochschule und dem Weg in die gehobene professionelle Tätigkeit. Man wird für ein Jahr aufgenommen mit Option auf Verlängerung, bekommt Meisterkurse und wird gleichzeitig integriert in die Ensemblearbeit. Wir sind daran interessiert, dass die Teilnehmer an anderen großen Opernhäusern unterkommen – oder auch bei uns selbst.

Es heißt "internationales Opernstudio". Die Bewerbungen kommen aus aller Welt?

Wir haben in der Regel um die 500 Bewerbungen auf sechs bis acht Positionen, die aber nicht immer alle besetzt werden. Um die 150 laden wir ein und hören sie uns alle an. Das Ziel ist eine internationale Zusammensetzung von Frauen und Männern. Aktuell haben wir eine deutsche Sängerin, eine Kubanerin, die in den USA ausgebildet wurde, einen Niederländer, einen Kanadier …

Opernstudios gibt es aber an vielen Orten, auch international?

Das gibt es in Brüssel, Paris, Hamburg ... Man hat festgestellt, dass es für die Opernhäuser nicht unbedingt einfach ist, jemanden direkt nach dem Studium sofort zu übernehmen. Natürlich kann man auch fragen, warum die AfD nur nach Orchester, Ballett und Opernstudio fragt und nicht nach dem Staatsopernchor oder dem Solistenensemble, die genauso international zusammengesetzt sind. Wir haben Solisten aus den USA, Brasilien, Japan, Deutschland, Island, Kroatien, Moldawien und anderen Ländern. Matthias Klink kommt zum Beispiel aus Fellbach, hat in Stuttgart studiert, dann eine internationale Karriere gemacht und ist nun wieder nach Stuttgart zurückgekehrt. Die Künste waren nie durch nationale Grenzen definiert.

Auch die Stadtgesellschaft ist international. In einer Stadt wie Stuttgart hat ungefähr jeder Zweite Migrationshintergrund. Die Kulturpolitik fordert, sie mehr einzubinden. Wie geht das?

In Wirklichkeit passiert da ja schon viel. In der jungen Generation liegt der Anteil viel höher, in manchen Schulen bei 70 bis 80 Prozent. Wir sehen das auch in unserer Arbeit. Vor 22 Jahren, unter Klaus Zehelein, haben wir die Junge Oper gegründet: einer der am schnellsten wachsenden Bereiche unserer Arbeit, in der wir die gesamte so genannte Vermittlungsarbeit steuern. Angefangen mit Sitzkissenkonzerten für Zwei- bis Vierjährige, über Kindergärten und Schulen bis hin zu Programmen für Jugendliche wie dem "Antigone-Tribunal" nach Texten von Slavoj Žižek, ein Auftrag von uns an den Komponisten Leo Dick. Da geht es um Fragen von Gerechtigkeit und der politischen Ordnung. Im vergangenen Jahr ist die Junge Oper umgezogen in die Spielstätte Nord. Und hat sich umbenannt in "Join". Dieses Akronym heißt ja: mach mit!

Was hat sich durch den Umzug geändert?

Wir haben Partnerschaften mit drei benachbarten Schulen. Oder im Projekt "Kultur pflanzen" mit Gärtnern der Wilhelma: Buddeln und Kultur pflegen, ein Urban-Gardening-Projekt. Die Schüler ziehen die Pflanzen groß, die dann den Weg in die Oper markieren. Dann gibt es das Projekt "Impuls", in dem alle Sparten der Staatstheater zusammenarbeiten und wir – wie sagt man heute? – auf besonders herausfordernde Kinder eingehen, früher hieß das Brennpunktschulen. Das sind Kinder aus Kontexten, die zunächst mal gar nichts mit Kunst zu tun haben. Es geht also von vornherein interdisziplinär zu.

Wie klappt die Zusammenarbeit mit den Schulen?

In manchen Klassenstufen ist es schwieriger. Manche Lehrer sind eher dafür zu haben als andere. Aber eigentlich ist es eine Riesen-Erfolgsgeschichte. Wir waren das erste Projekt dieser Art in Deutschland, inzwischen gibt es das eigentlich an jedem Haus.

Das zweite neue Projekt der Ära Zehelein, das Forum Neues Musiktheater – ein weltweit einzigartiges Zentrum für neues, experimentelles Musiktheater jenseits der Oper – musste nach drei Jahren wieder schließen. Warum?

Ich kann nicht sagen, was da schiefgelaufen ist. Es gab eine dreijährige Förderung der Landesstiftung. Als die dann ausgelaufen ist, bin ich ja mit Zehelein an die Theaterakademie in München gegangen.

Thomas Koch, Direktor für Strategische Kommunikation der Staatsoper Stuttgart, hat nach früheren Tätigkeiten für Reader’s Digest und als Pressesprecher des US-Generalkonsulats und des Amerika-Hauses bereits unter Klaus Zehelein, von 1995 an, die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Stuttgarter Opernhauses geleitet. 2006 ging er mit Zehelein an die Bayrische Theaterakademie August Everding nach München. 2014 kehrte er unter Intendant Jossi Wieler nach Stuttgart zurück. (dh)

Aber seither hat es keine Versuche mehr gegeben, daran anzuknüpfen?

Jeder Intendant hat seine eigenen Prioritäten. Viktor Schoner ist dem Neuen gegenüber sehr aufgeschlossen und an internationaler Zusammenarbeit und an Koproduktionen interessiert. Wie im Projekt "Sing out!" mit dem Orpheus-Institut im ersten Halbjahr nächsten Jahres. Das ist ein Projekt von Johannes Müller und Philine Rinnert aus Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Opernballett Flandern, das in verschiedenen Formaten innerhalb und außerhalb des Opernhauses die Stimme thematisiert.

"Sing out!" ist der Name des wichtigsten amerikanischen Folk-Music-Magazins. Gemeint ist auch, seine Stimme zu erheben.

Das steckt auf jeden Fall dahinter, ob Sie Folk Music hören werden, weiß ich nicht. In diesem Zusammenhang ist auch unser Frühlingsfestival im Februar und März unter dem Titel "Futur II" zu sehen. Die Frage lautet: Wer wollen wir gewesen sein? In der Urversion von Modest Mussorgskis "Boris Godunov" geht es zum Beispiel um die Frage der Thronfolge und der Legitimität der Macht. Dazwischen werden neue Kompositionen von Sergej Newski aus Moskau eingeschoben, der diese Frage aus dem Heute heraus beleuchtet. Newski, der mit Kirill Serebrennikow befreundet ist, verwendet Texte der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch. Das ist etwas, das wir jetzt immer weiter betreiben werden: das Inbezugsetzen zur Gegenwart, die Antizipation zukünftiger Verhältnisse.

So außergewöhnliche Orte wie das Stuttgarter Bahnpostamt sind aber in der kommenden Spielzeit nicht vorgesehen?

Schauen wir mal. Wir sind da durchaus offen. Wichtig sind auch neue Handschriften in der Regie: Bei den fünf Neuproduktionen haben wir diesmal vier Frauen. Mit dem neuen Generalmusikdirektor Cornelius Meister wächst eine neue Generation heran, die ihre eigenen, heutigen Themen einbringen.

Ich sehe hier aber vor allem klassische Oper. Neue Musik füllt eben nicht das Opernhaus, oder?

Bei der Kammeroper "Jakob Lenz" von Wolfgang Rihm 2014 war das für Jossi Wieler durchaus ein Wagnis, allein schon wegen der Akustik. Aber es klang hervorragend. Nach anfänglichen 60 bis 70 Prozent waren wir zum Schluss ausverkauft und haben die Vorführung sogar noch ins Kammertheater übertragen, um niemand nach Hause schicken zu müssen.

Aber in der Regel zieht heute komponierte Musik weniger Publikum an. Wäre da nicht manchmal ein kleinerer Raum von Vorteil?

Absolut. Das wäre sehr zu wünschen. Bei "Herzog Blaubarts Burg" war zum Beispiel das ehemalige Paketpostamt am Rosensteinpark mit 420 Plätzen die richtige Größe.

Zuletzt: Sie sind auch bei "Aufbruch Stuttgart"?

Ich war Gründungsmitglied. Es ging ja auch um unser Umfeld, gerade im Hinblick auf die Verkehrsschneise B14. Die Stärke von Aufbruch ist, dass viele Kultureinrichtungen auf der Leitungsebene eine andere Gesprächsebene gefunden haben. Die Verengung auf eine bestimmte Art der Opernsanierung konnte ich aber nicht vertreten. Ich bin jetzt nur noch einfaches Mitglied, hoffe aber, dass es zu einer Rückbesinnung auf breiter angelegte Themen kommt. Und ich glaube, das wird auch passieren.

Interim am Inneren Nordbahnhof?

Ob die Interimsspielstätte während der Sanierung des Stuttgarter Opernhauses nun an den Inneren Nordbahnhof kommt, wie zuletzt von der Task Force des Oberbürgermeisters Fritz Kuhn vorgeschlagen – diese Frage kann Thomas Koch, Kommunikationschef der Oper, auch nicht beantworten. Aber die Künstler der Wagenhalle und die Gärtner des Stadtackers haben sich dazu nun zu Wort gemeldet. In ihrem gestern vorgelegten Strategiepapier fordern sie, zunächst ein Konzept für das Areal zu entwickeln, in dem der Kultur und dem Urban Gardening eine wichtige Rolle zukommt. Das hatte auch das Büro asp als Gewinner des städtebaulichen Wettbewerbs gefordert und sprach dabei von einem "Impulsgeber für das neue Kreativquartier". Möglich ist dies aus Sicht der Künstler nur unter "Erhalt und dauerhafter Entwicklung der direkt anliegenden Freiflächen". (dh)


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2 Kommentare verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 25.09.2019
    Antworten
    Warum ist unser "Verfassungsschutz" eigentlich nicht fähig, rechtsextreme Prüffälle selbst zu erkennen?
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