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Wanderer, kommst du nach Stuttgart

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Der schwäbische S-21-Laokoon sitzt stabil, jetzt baut Peter Lenk das Wolkenkuckucksheim. Kontext hat nachgeschaut, wer es bewohnt und dabei eine schwarze Mamba entdeckt. Unklar ist nun nur noch, wo das Denkmal seinen Platz findet. Stuttgarts OB Fritz Kuhn ist dabei stumm wie ein Fisch.

Weil er ein Meister des vorläufig Verborgenen ist, verrät Lenk nicht, wer die Figuren sind, die künftig im Wolkenkuckucksheim, dem Ort der Wünsche und Sehnsüchte, wohnen werden. Wir schauen genauer hin und denken, der eine links könnte der Teufel sein, der andere rechts Mappus, den der Künstler immer "Schnappus Krokodilus" nennt, und jene in der Mitte, leicht nach hinten versetzt, die "Schwarze Mamba", bürgerlich Tanja Gönner, die nach Lenks Eindruck "verantwortungsbewusst schielt".

Aber wie gesagt, er legt sich da nicht fest und überlässt es der Vorstellungskraft des Betrachters, der an einem Sonntagnachmittag an sein Atelier in Bodman am Bodensee klopft. Wieder einmal, da in Kontext stehen soll, wie es um das Werk und seinen Schöpfer bestellt ist. Schritt für Schritt. Der "skandalumwitterte Bildhauer" (SWR) arbeitet, wie er das schon immer tut. Sieben Tage die Woche. 72 Jahre alt ist er und bisweilen ein bisschen erschöpft, weil er mit einem "gigantischen Denkmal" (nochmals SWR) kämpft: dem schwäbischen Laokoon, der mit einem ICE in Schlangenform ringt. Tonnenschwer und zehn Meter hoch, weil das Wolkenkuckucksheim noch Luft nach oben braucht. Es könnte sein, sagt der auch nicht jünger Werdende, dass es sein letztes großes Werk wird.

Darüber ist in den vergangenen Monaten viel berichtet worden. In einem langen Stück hat Josef Kelnberger, Reporter der "Süddeutschen Zeitung", erzählt, was der Lenk für einer ist und warum er dem Milliardenprojekt S 21, das der Journalist "tragisch-komisch" nennt, partout ein Denkmal setzen will? Weil da alles drin ist. Mieser Kapitalismus, pharisäerhafte Politik, religiöser Furor, unverhohlene Volksverdummung. Ein Anarcho erträgt es eben nicht, wenn ihm von Staats wegen ein Bahnhof untergejubelt wird, dessen Sinn sich ihm nicht erschließt beziehungsweise dessen Sinn ein ganz anderer ist, als ihn Leute vorgeben, die eingangs erwähnt worden sind. Diese Leute schickt der Eulenspiegel vom See, ganz im Sinne der Kunst, die gegen die Ordnung ist, ins Wolkenkuckucksheim. Als Putten, die ihre nackten Popos in die Höhe recken.

Die Pharisäer schickt der Anarcho ins Wolkenkuckucksheim

Irgendwo wird er dabei auch noch den Spruch von Friedrich Schiller unterbringen, den früher alle in der Schule lernen mussten: "Wanderer kommst du nach Sparta, verkünde dorten, du hättest uns hier liegen gesehen, wie es das Gesetz befahl". Sparta will er durch Stuttgart ersetzen, und schon weiß der Bildungsbürger, dass der staatsbürgerliche Gehorsam nichts Gutes verspricht (dazu ein Artikel aus der "Neuen Zürcher Zeitung", als sie noch liberal war).

Ὦ ξεῖν’, ἀγγέλλειν

Im Sinne der bildungsbürgerlichen Akkuratesse sei ergänzend darauf verwiesen, dass der Spruch mit den Spartanern nicht von Friedrich Schiller stammt, sondern von diesem nur in seiner berühmtesten Variante ins Deutsche übersetzt wurde. Das altgriechische Original, ein Distichon im Hexameter, hat indessen der Lyriker Simonides von Keos ca. 450 v. Chr. verfasst:

Ὦ ξεῖν’, ἀγγέλλειν Λακεδαιμονίοις ὅτι τῇδε κείμεθα τοῖς κείνων ῥήμασι πειθόμενοι. (min)

Auch die Blätter im Baden-Württembergischen sind erstaunlich freundlich, geradezu verständnisvoll. Die Ulmer "Südwestpresse" reibt sich schon mal die Hände, dass "sich die Mächtigen im Lande freuen" dürfen, der Konstanzer "Südkurier" spricht von einem Denkmal für die "Irrfahrt" von Stuttgart 21, und alles liest sich ein wenig so, als hätten die Projektgegner schon immer recht gehabt. Früher haben die genannten Blätter unter Bahnhof nur Fortschritt verstanden. Aber es ist ja auch nur Kunst, und der Künstler einer, der sich die Freiheit nimmt, zu sagen, was er denkt.

Matthias Gastel, der verkehrspolitische Sprecher der Bundesgrünen, muss sich keine Wankelmütigkeit vorhalten lassen. Er war schon immer gegen die tiefgelegte Haltestation und jüngst am Bodensee, um zu erkunden, wie weit die Denkmalpflege gediehen ist. Lenk hat ihm die Skulptur natürlich nicht gezeigt, weil geheim bleiben muss, wer der schwäbische Laokoon ist.

Der Grüne Gastel sichert Lenk seine Unterstützung zu

Aber Gastel war auch nicht zum Spionieren da, sondern um Lenk seine Unterstützung zuzusichern. "Ich freue mich auf das Kunstwerk", sagt er, und er gehört damit zu den wenigen Grünen, die eine klare Position beziehen. (Immerhin: Auch die Stuttgarter Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle hat sich als Fan geoutet). Für Gastel ist die Skulptur ein Symbol der Zeitgeschichte, ein Ausdruck der "langen Kämpfe um S 21, bis hin zu den Wasserwerfern", an die noch in 50 Jahren erinnert werden sollte. Und das Denkmal muss für ihn dorthin, wo es hingehört: an den Hauptbahnhof.

Das wird schwierig. Die Bahn hat bereits Nein gesagt, der Oberbürgermeister bisher nichts. Fritz Kuhn weiß seit Monaten von dem Plan und bleibt stumm wie ein Fisch. Warum ist unklar, und nur mit der Sorge des Grünen zu erklären, sich festlegen zu müssen. Das tut er nämlich nur, wenn er die Dinge, vom Ende her betrachtet, zu einer voll ausbalancierten Entscheidung verdichten kann. Aber wer weiß, wo bei S 21 Schluss ist? Deshalb schweigt er zum "Ergänzungsbahnhof" von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), der ihm Bauflächen wegnehmen und Baubürgermeister Peter Pätzold (Grüne) sowie die vereinigte Immo-Branche auf den Hals hetzen würde. Und deshalb passt ihm das Lenksche Denkmal nicht, das natürlich auch ein Mahnmal ist. Eine ständige Erinnerung daran, betont Gastel, wie "zwischen Größenwahn und Teilhabe" changiert wurde.

Davon ist auch der ehemalige S-21-Gegner Kuhn nicht befreit, auch nicht durch den steten Verweis auf den Gemeinderat, der mehrheitlich zur Tiefhaltestelle steht. Wie sagt doch Gastel: "Verantwortung endet nicht dort, wo man eine Mehrheit hatte". Er appelliert an den Parteifreund, sich doch "aufgeschlossen" zu zeigen, zumal Lenk auch noch eine Probezeit anbietet. Zwei Wochen wäre das Werk zu besichtigen. Bei Nichtgefallen würde er es zurücknehmen und an den Bodensee verfrachten, wo sie inzwischen ganz narrisch sind auf die Exponate. Seitdem die Konstanzer "Imperia" zu einem superberühmten Wahrzeichen geworden ist, ist so ziemlich jeder See-Schultes ein Lenk-Fan.

Auch Edzard Reuter trägt zum Spendenerfolg bei

Aber das geht natürlich nicht. Weg von der Stadt, die dem Projekt den Namen gegeben hat. "Der Lenk muss nach Stuttgart", sagt Edzard Reuter, "er gehört vor den Bahnhof". Dorthin, wo die Schlachten geschlagen wurden, wo diese "unglaubliche Volkstäuschung" ihren Ausgang genommen hat. Der ehemalige Daimler-Chef hat immer wieder Stellung bezogen gegen Stuttgart 21 (etwa hier und hier), weil er es für ein demokratiezerstörendes Projekt hielt und hält ("Das raubt mir den Schlaf").

Ehrensache deshalb für ihn, den Freund auch in dieser Angelegenheit zu unterstützen. Sein eigenes Denkmal hat er ja schon, im Lenkschen Skulpturengarten mit einem schmucken Mercedes-Stern auf dem Kopf. Er wünschte sich mehr von der Sorte, die mit dem Schalk hinter den Ohren für das Ernste kämpften, sagt Reuter. Für die Aktion, die von Christine Prayon, Volker Lösch, Gerhard Raff, Jürgen Resch und Walter Sittler mitgetragen wird, hat er schon mal 2000 Euro gestiftet.

Die Spendensammler um Kontext-Autor Winfried Wolf, dem unermüdlichen Streiter gegen Stuttgart 21, haben jetzt das Zwischenziel erreicht. Fast 60 000 Euro sind beisammen, 100 000 Euro braucht Lenk, um wenigstens seine Materialkosten zu decken. Alles andere ist Ehrenamt oder wie er es formulieren würde: "Freiheit oder Stundenlohn". Im Frühjahr nächsten Jahres soll der Laokoon stehen. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn das nicht zu schaffen wäre. In Stuttgart.


Der Autor gehört zu den Erstunterzeichnern der Kampagne "Lenk in Stuttgart".


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4 Kommentare verfügbar

  • Kornelia
    am 13.09.2019
    Antworten
    Ganz in echt: da ist eine Widerstandsbewegung, die Millionen an Gelder, Millionen an Arbeitsstunden, Augenlichter und Anderes opfern musste, um den Versuch zu wagen, den Blinden, Gehörlosen, Gehirnlosen und geistig Verarmten mit Fragen, mit Fakten, mit Antworten.... und dann auch noch -kostenlos-…
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