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Das Schweigen im Osten

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Der Film "Und der Zukunft zugewandt" erzählt von einer deutschen Kommunistin, die aus sowjetisch-stalinistischer Lagerhaft entlassen wird und in der jungen DDR versucht, weiter an ihre politischen Ideale zu glauben. Ein Stück deutsche Geschichte, im Westen kaum bekannt und ein wenig aus der Zeit gefallen.

Das Jahr 1952, Arbeitslager Workuta in der Sowjetunion. Ein deutscher Gefangener schleicht sich nachts hinaus in die Kälte, kriecht über vereisten Boden, überwindet einen Zaun. Er will nicht fliehen, er will nur ins benachbarte Lager, um seine Frau und seine kleine Tochter zu sehen. Er schafft es auch, aber auf dem Rückweg wird er entdeckt, gestellt und trotz aller Erklärungsversuche erschossen. Seine letzten Worte: "Es lebe Genosse Stalin!" Nein, das ist nicht böse-ironisch gemeint. Auch wenn er und seine Frau Antonia (Alexandra Maria Lara), zwei deutsche Kommunisten im russischen Exil, in den späten 1930er Jahren Opfer der politischen "Säuberungen" wurden, auch wenn sie in den Denunziations- und Selbstzerfleischungsapparat der Partei und dann ins Lager gerieten, sind sie doch gläubig geblieben.

Und Antonia will auch im Jahr 1989 noch gläubig sein. Sie sitzt allein zu Haus – und dieses Zuhause ist in der DDR – und schaut mit skeptisch-müdem Blick auf Fernsehbilder von euphorischen Menschen beim Fall der Mauer. Ihr Telefon klingelt, anscheinend ein Anruf aus dem Westen, und sie sagt, ein bisschen defensiv, ein bisschen trotzig: "Willst du hören, dass du recht hattest?" Der Anrufer war Konrad, ein mit ihr befreundeter Arzt, der sie damals gefragt hatte, ob sie mit ihm nach Hamburg gehen wolle. Damals, das waren die frühen Jahre der DDR, als der Sohn des Staatspräsidenten Wilhelm Pieck sich dafür einsetzt, deutsche politische Gefangene aus der sowjetischen Lagerhaft zu entlassen. "Es sind unsere Genossen!"

Der Regisseur Bernd Böhlich, der mit seinen Geschichten vom dicken Wachtmeister Krause auf heimelig-verschmitzte Art vom deutschen Osten der Gegenwart erzählt, reicht nun mit seinem Film "Und der Zukunft zugewandt" einen Aspekt der DDR-Historie nach, der zumindest im Westen kaum bekannt sein dürfte. In der Bundesrepublik schafft es der Kanzler Konrad Adenauer etwa zur selben Zeit unter großem Jubel der Bevölkerung, deutsche Kriegsgefangene aus Sibirien zurück in die Heimat zu holen. In der DDR jedoch wird Antonia und ihrer Tochter zwar eine neue Wohnung in Fürstenberg zugeteilt, sie erhält Lebensmittelkarten und eine Arbeit als Organisatorin im Kulturbereich, aber sie muss einen Schweigevertrag unterschreiben. Was mit ihr und ihren Leidensgenossinnen passiert sei, das dürfe nie wieder passieren, sagt der Kulturfunktionär Silberstein (Stefan Kurt) und setzt hinzu: "Später können wir über alles reden, aber nicht jetzt." Tatsächlich will er auch später keine Rückschau halten, sondern immer nur die Zukunft sehen.

Öffentlich funktioniert Antonia – privat schweigt sie

Die DDR sieht sich in ihren frühen Jahren in schwer belagerter Verteidigungsposition. Es herrscht Kalter Krieg, das neu gegründete Land muss den Druck der USA und die Konkurrenz Westdeutschlands aushalten, es ist zudem extrem abhängig von der immer noch stalinistischen Sowjetunion. "Die Revolution ist kein Wunschkonzert", so formuliert das Silberstein. Oder so: "Wahrheit ist das, was uns nützt!" Deshalb hält auch die sehr ernste Antonia aus und durch, zieht sich zurück in ein öffentliches Funktionieren und in ein privates Schweigen, aus dem sie selbst mit dem Arzt Konrad (Robert Stadlober), der sie mal in einen Club mit Swingmusik führt, nur schwer herausfindet. Und mit dem ebenfalls um sie werbenden Silberstein, der ihr einen Fernseher in die Wohnung stellt, schon gar nicht.

Trotz allem bleibt die DDR für die Kommunistin Antonia ihr Land, auch wenn eine ihrer ehemaligen Mitgefangenen nun erklärt, sie sei keine Genossin mehr. Für Antonia ist das System an sich kein Fehler; was mit ihr passiert ist und weiter passiert, sind bloß Fehler im System. Auch Bernd Böhlich bemüht sich darum, der jungen DDR eine Chance zu geben, er hat zwar wenig Sympathie für ihre Funktionäre, aber doch ein gewisses Verständnis. Und so höhnisch die zum Filmtitel gewordene zweite Zeile der DDR-Nationalhymne inzwischen auch klingt: Der Regisseur hat diese Geschichte nicht im Rachemodus inszeniert, sein Rückblick lässt sogar die Frage zu, ob die DDR nicht doch mal eine Chance hatte. Vor allem aber will der 1957 in der Nähe von Dresden geborene Böhlich nicht, dass die filmische DDR-Geschichtsschreibung von Westdeutschen dominiert wird, dass also auch andere Sichtweisen ihre Berechtigung haben neben Florian Henckel von Donnersmarcks Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" (2006) oder Michael "Bully" Herbigs klischeehaftem Wir-frischen-den-Kalten-Krieg-wieder-auf-Thriller "Der Ballon" von 2018.

Andreas Dresen hat dieser West-Perspektive im selben Jahr seine differenzierte "Gundermann"-Biografie entgegengesetzt, in welcher der Titelheld sich im DDR-System verstrickt und gleichzeitig in der Kritik an diesem aufreibt. Auch Dresens Kollege Andreas Goldstein erzählt in seiner ebenfalls 2018 entstandenen, aber 1989 spielenden Ingo-Schulze-Verfilmung "Adam und Evelyn" aus der Ost-Perspektive und in melancholischer Gelassenheit von einem Mann, der in der DDR eine paradiesische Nische gefunden hat, und von dessen Frau, der diese Nische zu eng geworden ist. An beide Filme reicht "Und der Zukunft zugewandt" nicht ganz heran, auch wenn etwa Architektur, Kleidung und Möbel stimmiges DDR-Feeling verbreiten. Ein bisschen liegt das an der Hauptdarstellerin, die sich als verhärmte, aber ungebrochene Frau schwer tut, ein bisschen mehr aber an der Erzählung selbst, die nicht immer weiß, worauf sie ihren Fokus legen soll. Dennoch: Auch diesen Opfern der Historie, an die sich kaum mehr jemand erinnert, muss gedacht werden, selbst wenn deren Geschichte nun wie aus der Zeit gefallen wirkt. Im Film fragt Antonia schon 1989: "Wann hätte ich denn die Wahrheit erzählen sollen?"


Bernd Böhlichs "Und der Zukunft zugewandt" ist ab Donnerstag, 5. September in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, sehen Sie hier.


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2 Kommentare verfügbar

  • Philippe Ressing
    am 05.09.2019
    Antworten
    Zu den Vergessenen gehören auch die Kommunisten, die Stalin während des Hitler-Stalin-Paktes aus der Sowjetunion an Nazi-Deutschland ausliefern ließ.
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