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Große Bühne für kleine Verlage

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Zum vierten Mal findet am Samstag im Literaturhaus Stuttgart der Sommermarkt unabhängiger Verlage statt. Weit mehr als eine Verkaufsveranstaltung, bietet "Wetterleuchten" den ganzen Tag über ein umfangreiches Programm – in einer Zeit, in der nicht nur kleine Verlage immer stärker unter Druck geraten.

May Ayim, Lyrikerin, Pädagogin und Aktivistin, ist eine der wichtigsten Identifikationsfiguren der jungen Afrodeutschen-Bewegung. Aufgrund ihrer Schriften und Aktivitäten entdeckten Deutsche mit afrikanischen Eltern oder einem afrikanischen Elternteil ihre gemeinsame strukturelle Benachteiligung in einer von offenem oder verstecktem Rassismus geprägten Mehrheitsgesellschaft. Sie begannen, ein politisches Bewusstsein zu entwickeln und ihre Anliegen zu artikulieren. Ayim schied 1996 durch Freitod aus dem Leben. Seit 2004 gibt es einen May Ayim Award, den "ersten Schwarzen Deutschen Internationalen Panafrikanischen Literaturpreis". Seit 2010 ist ein Stück des Spreeufers in Berlin-Kreuzberg nach ihr benannt.

May Ayims Gedichtbände "Blues in Schwarz-Weiß", "Nachtgesang", "Weitergehen", ihre Essays unter dem Titel "grenzenlos und unverschämt" sowie die publikumswirksame zweite Auflage ihrer Diplomarbeit "Farbe bekennen" sind ebenso wie eine Publikation zum ersten May-Ayim-Award im Orlanda Verlag erschienen – und heute leider zumeist vergriffen. Der 1974 in Berlin gegründete Verlag ist auf Frauenthemen spezialisiert. "Die Welt, in der wir leben, muss sich neu sortieren", steht auf der Verlags-Website: "Wir wollen dem Diskurs für eine positive Weiterentwicklung der Welt ohne Vorurteile und vorgefertigte Meinungen eine freie Bühne geben – über Ethnien, Weltbild, Geschlecht und Hautfarbe hinweg. Unsere Autor*innen leisten dazu ihren kostbaren Beitrag."

Orlanda ist einer von 47 Verlagen, die am kommenden Samstag am "Wetterleuchten", dem Sommermarkt der unabhängigen Verlage im Literaturhaus Stuttgart beteiligt sind, Orlanda-Autorin Natasha A. Kelly wird dort aus ihrem Buch "Millis Erwachen" lesen. Und es ließe sich endlos fortfahren, was ohne diese oft sehr kleinen Unternehmen fehlen würde: Ohne den Nautilus-Verlag etwa, ebenfalls 1974 gegründet und benannt nach dem U-Boot aus Jules Vernes Roman "20 000 Meilen unter dem Meer", wäre das Werk von Franz Jung heute nahezu unauffindbar. Jung war einer der herausragenden Autoren deutscher Sprache überhaupt, der in der Zeit des Expressionismus und Dadaismus außergewöhnliche Prosatexte verfasste und ein abenteuerliches Leben führte. Er starb 1963 in Stuttgart.

Auch vor der Haustür viel zu entdecken

Ohne die Verlage Peter Hammer und Das Wunderhorn wäre afrikanische Literatur auf dem deutschen Markt beinahe überhaupt nicht vertreten. Ein ganz eigenes Profil hat der Konkursbuchverlag in Tübingen. Der Name versteht sich als Antwort auf Hans-Magnus Enzenbergers "Kursbuch", das längst von der Bildfläche verschwunden ist – der Konkursbuchverlag aber nicht. Von Claudia Gehrke und dem Japanologen Peter Pörtner gegründet, widmen sich die Konkursbücher jeweils einem Thema, aber quer durch alle Genres. Daneben gibt es seit 1982 das Erotik-Jahrbuch "Mein heimliches Auge". Zu den Autor*innen des Verlags zählen Berühmtheiten wie Yōko Tawada.

Klöpfer und Meyer, ebenfalls aus Tübingen, gibt oder gab es seit 1991. Bis vor kurzem dachte der übrig gebliebene Gründer Hubert Klöpfer noch ans Aufhören (Kontext berichtete), nun hat sich mit der Familie Narr ein neuer Partner gefunden und der Verlag nennt sich jetzt Klöpfer, Narr. Eines der neuesten Projekte: Am 1. Juli trafen sich im Literaturhaus die Landtagspräsidentin Muhterem Aras und der Vater der empirischen Kulturwissenschaft Hermann Bausinger zu einem Gespräch unter dem Titel: "Heimat, kann die weg?" Noch im Juli soll dieses Gespräch nun bei Klöpfer, Narr erscheinen.

Unter den am diesjährigen "Wetterleuchten" beteiligten Verlagen finden sich bekannte Namen wie Wagenbach, Dieterich oder die Büchergilde Gutenberg. Aber auch Ein-Personen-Betriebe wie Ulrich Keicher aus Warmbronn, der seit 1983 kleine Raritäten in Erstausgabe veröffentlicht und auch außerhalb des Sommermarkts die Vitrine im Foyer des Literaturhauses bestückt. Vor der eigenen Haustür in Stuttgart gibt es interessante Dinge, die nicht jeder kennt, wie den Griot Hörbuchverlag oder die aus Ausstellungen in einer Privatwohnung hervorgegangenen Prima.Publikationen für Künstlerbücher, die inzwischen in Basel einen zweiten Standort haben. Oder die Édition totale éclipse von Natalie Wolff und Matthias Bumiller. Am Tag der Sonnenfinsternis 1999 gründeten sie ihren Verlag unter anderem für Daumenkinos und Fotopostkarten und geben einmal im Jahr ein Künstlerbuch heraus.

Blitzgewitter mit großem Programm

Das "Wetterleuchten" möchte "einem Blitzgewitter am Himmel gleich den unabhängigen Verlagen eine Plattform bieten", sagt Stefanie Stegmann, die Leiterin des Literaturhauses. Vor vier Jahren entstand die Idee in kleiner Runde – neben Stegmann waren Manfred Metzner vom Verlag Das Wunderhorn aus Heidelberg sowie Reinhilde Rösch vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels beteiligt – "aus der überraschenden Erkenntnis heraus, dass es hier eine weiße Landkarte gibt." In Berlin, Hannover, München gab es längst solche Sommermärkte, in Baden-Württemberg bis dahin nicht. Die Verlage brauchen Aufmerksamkeit, gerade auch von ökonomisch nicht interessierter Seite. "Eine große Bühne für die kleinen Verlage", sei das "Wetterleuchten", so Stegmann.

Es sei nicht einfach eine Buchmesse auszurichten, betont sie, also keine rein wirtschaftliche Veranstaltung. Die Verlage sucht das Literaturhaus aus und begibt sich dabei selbst auf eine Entdeckungsreise. Es sind nicht immer dieselben, auch wenn etwa Das Wunderhorn als Mitinitiator auch diesmal nicht fehlen darf. Dazu gibt es – eine Stuttgarter Besonderheit – ein umfangreiches Programm mit 15 Lesungen und Gesprächen, Angeboten für Kinder, vier Ausstellungen, eine davon im Paternoster, sowie unter anderem einem Buchbindeworkshop. Von 11 Uhr an ist grob im Halbstundenrhythmus immer irgendwo etwas los.

Wichtig war Stegmann dabei auch, dass die Buchläden in der Region den Sommermarkt nicht als eine Konkurrenzveranstaltung betrachten. Denn kleine, inhabergeführte Buchhandlungen stehen unter dem Druck der großen Ketten, die sich überall ausbreiten, aber für das Besondere, für die Nische, für spezielle Angebote wie Frauenthemen, noch nicht so bekannte AutorInnen auch aus ferneren Ländern oder politische Literatur wenig Gespür und wenig Interesse aufbringen. Deswegen waren Buchhandlungen eingeladen, für "Wetterleuchten" aus dem Angebot der beteiligten Verlage je zwei Bücher zu empfehlen, wovon elf auf der Ankündigungs-Website des Literaturhauses Gebrauch machen.

So empfiehlt etwa die Buchhandlung Fiehn aus Schwäbisch Gmünd den Roman "Ich bin Özlem" der gebürtigen Gmünderin Dilek Güngör, die um 18.15 Uhr auch zu einer Lesung erscheint. Sie beschäftigt sich mit Fragen der Identität – oder vielleicht sollte man eher von einer Zerrissenheit zwischen türkischen Zuschreibungen und dem Leben als Deutsche sprechen. Den Verbrecher Verlag, in dem ihr Roman erschienen ist, gibt es seit 1995. Der Verlagsleiter Jörg Sundermeier ist ein typischer Überzeugungstäter, der die Tagebücher Erich Mühsams herausgegeben hat und junge Talente fördern will.

Die Verlagsvielfalt ist bedroht

Unter Druck stehen aktuell nicht nur Buchhandlungen, sondern auch der Vertrieb. Erst im Februar hat Koch, Neff und Volckmar (KNV), der größte Buchgroßhändler mit mehr als einer halben Milliarde Euro Jahresumsatz, Insolvenz angemeldet (Kontext berichtete). Tausende Verlage sind betroffen. Zwar will das Logistikunternehmen Zeitfracht den Buchgroßhandel nun weiterführen. Doch der Online-Handel, insbesondere Amazon, setzt den Sortimenter, aber auch die Verlage mit Knebelverträgen unter Druck: Unterschreiben sie, verdienen sie am einzelnen Buch nur noch sehr wenig; tun sie es nicht, verlieren sie einen der wichtigsten Vertriebskanäle. Als global operierender Konzern, der keine Steuern zahlt, kann Amazon leicht seine Marktmacht ausspielen.

Stegmann verweist auf die Düsseldorfer Erklärung der unabhängigen Verlage. Nach vorangegangenen Diskussionen auf der Leipziger Buchmesse 2017 hatten sich im Februar 2018 in Düsseldorf 60 Verlage zusammengesetzt, um existenzsichernde Maßnahmen zu beraten. "Digitalisierung, Monopolisierungen und der Ausschluss unabhängiger Verlage aus dem Sortiment vieler Buchhandlungen führen dazu, dass die Vielfalt der Verlags- und Literaturszene bedroht ist", heißt es in der Erklärung. "Hinzu kommt das BGH-Urteil zur VG Wort, das den Wegfall der Ausschüttungen auslöste und zu Rückzahlungsverpflichtungen an die Verwertungsgesellschaften führte."

Worum es bei dem BGH-Urteil geht: Bisher hatten Verlage von der Verwertungsgesellschaft (VG) Wort einen Anteil an den Urheberrechtsvergütungen erhalten. Nun sollten diese den Autoren allein zugesprochen werden – und zwar rückwirkend, soweit die Autoren nicht freiwillig verzichteten. Dieses Urteil hat dazu beigetragen, dass etwa der Wasmuth Verlag aus Berlin und Tübingen, einer der ältesten und renommiertesten Architekturbuch-Verlage, wenige Monate nach der Erklärung Insolvenz anmelden musste. Mehr als ein Jahr stand der Verlag auf der Kippe, mittlerweile hat sich ein Teilhaber gefunden. Unter dem neuen Namen Wasmuth und Zohlen geht der Verlag nun seinem 150. Jubiläum entgegen.

Die Verlage fordern unter anderem eine Sichtbarkeitskampagne und einen eigenen Buchhandelspreis für kleine unabhängige Verlage, deren Jahresumsatz drei Millionen Euro nicht übersteigt. In anderen Ländern, etwa Österreich und der Schweiz, werden unabhängige Verlage bereits staatlich gefördert. Stegmann ist sich nicht sicher, ob dies der richtige Weg ist. Aber das "Wetterleuchten" wurde von Anfang an vom Ministerium für Wissenschaft und Kunst unterstützt – zunächst für drei Jahre, um zu sehen, ob sich das Format bewährt. Dies ist offenbar in den Augen des Ministeriums der Fall, denn die Förderung wurde nun verstetigt.


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3 Kommentare verfügbar

  • Dr. Dagmar Schultz
    am 28.07.2019
    Antworten
    In meinem ersten Kommentar ging ich auf die Verwirrung bezüglich der Verwendung des Verlagsnamens "Orlanda" ein, d.h. dass die Geschäftsführerin der nunmehr in Insolvenz gegangenen Orlanda Frauenverlag GmbH einen neuen Verlag mit anderer Geschäftsführung initiiert hat, der den rechtlich nicht…
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