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Worüber reden wir hier?

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Kunst interessiert nicht, woher ihr kommt, wie ihr aussieht oder mit wem ihr ins Bett geht. Kunst bleibt viele, Kunst bleibt frei. Heißt es im Theater Rampe. Die Rede der Intendantin im Wortlaut.

Die Anfrage der AfD rührt an eine große Selbstverständlichkeit in der Kunst: sie ist international oder auch transnational. Gerade in Oper und Ballett, Orchester und Tanz. Daran besteht gar kein Zweifel. Und es ist wenig überraschend und auch nicht besonders, das ist die Realität unserer Gesellschaft. Sie ist divers und multikulturell und vielsprachig.

Schützt die Kultur

Anfang Juni stellte die AfD-Fraktion im Landtag eine kleine Anfrage. Die Abgeordneten Rainer Balzer und Klaus Dürr wollten wissen, welche Staatsangehörigkeit die Künstler an staatlichen Kultureinrichtungen in Stuttgart haben – an Oper, Theater, in Orchester und Ballett. Stuttgarts Kulturschaffende reagierten am vergangenen Samstag mit der Kundgebung "Schützt die Kultur vor den Rechten" im Stuttgarter Schlossgarten. Wir dokumentieren die Redebeiträge von Martina Grohmann, Hans D. Christ und Joe Bauer. (red)

Durch solche kleinen Anfragen verschieben sich große Themen. Denn worüber sprechen wir hier? Worüber müssen wir hier sprechen? Wir hätten da eigentlich andere Probleme zu diskutieren, als Staatsangehörigkeiten. Man könnte über den Abbau von musischer Bildung an Schulen sprechen, über wachsenden ökonomischen Druck, über kulturelle Teilhabe und Zugänge zur Kunst, über Antidiskriminierung, Gleichstellung und wie Kunstinstitutionen entsprechend noch diverser und inklusiver werden können. Und in diesem Zusammenhang könnte man auch über sozialen Ausgleich und die Weiterentwicklung der Demokratie sprechen, und darüber, wie sich eine politische Kultur weiter entwickelt, nicht populistisch, sondern im Sinne einer Gestaltung von Gesellschaft und Zukunft.

Mit dieser kleinen Anfrage werden große Kapazitäten von Landtag, Ministerien oder Kunstinstitutionen strapaziert und Statistiken eingefordert, deren Aussagekraft selbst fragwürdig ist. Es verschieben sich nicht nur Themen oder Aufgaben, die unsere Gesellschaft zu bearbeiten hätte, sondern es verschieben sich durch solche Strategien auch Umgang und das Miteinander in einer diversen Gesellschaft. Das ist im öffentlichen Raum, auf offener Straße, genauso zu beobachten, wie im digitalen Raum – und das kann von der Aggression dann in pure Gewalt umschlagen, wie wir in Kassel gesehen haben.

Diese kleine parlamentarische Anfrage ist also groß, so perfide und durchschaubar sie ist, sie hat eben auch Strategie.

2018 initiierten Staatstheater, Hochschulen, Museen, aber auch freischaffende Künstler*innen in Berlin die Kampagne, die VIELEN. 28 000 Unterzeichner*innen haben mittlerweile deutschland- und österreichweit Erklärungen der VIELEN unterzeichnet. Sie treten darin für eine offene Gesellschaft ein und verpflichten sich zu Solidarität, wenn diese angegriffen wird, auf mehr oder auch weniger subtile Weise. Eigene Strategien zu entwickeln, die auch heißen können, Stellung zu beziehen, öffentlich zu werden wie hier und weiter an dieser offenen Gesellschaft zu arbeiten, an Demokratie zu arbeiten. Durchaus auch im eigenen Arbeitsumfeld und in den eigenen Strukturen.

Und diese VIELEN haben es einstimmig vielstimmig schon in ihren Erklärungen auf den Punkt gebracht: Kunst kennt keine Grenzen. Die Kunst bleibt frei.

Dass heute hier nicht nur die Kunstschaffenden stehen, sondern auch Politiker*innen, Bürger*innen und Freund*innen, viele Initiativen Solidarität zeigen, ist wichtig und muss weitergehen und noch weiter in die Gesellschaft getragen werden, noch diverser werden, noch vielstimmiger und neben allen Gesten des Protests auch zu Räumen des Austauschs und der gemeinschaftlichen Arbeit an Gesellschaft führen.

Das alles ist eigentlich selbstverständlich: Am Theater Rampe würden wir es einstimmig vielstimmig so formulieren: Wir leben längst ganz klar in einer postmigrantischen, hybriden, queeren Gesellschaft. Kunst interessiert nicht, woher ihr kommt, wie ihr aussieht oder mit wem ihr ins Bett geht. Kunst bleibt viele, Kunst bleibt frei.


Martina Grohmann leitet seit 2013 zusammen mit Marie Bues das Stuttgarter Theater Rampe.


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