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Anfrage als Teil der Jagd

Anfrage als Teil der Jagd
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Wer ein freies Leben will, muss jetzt klare antifaschistische Kante zeigen, fordert der Geschäftsführer des Württembergischen Kunstvereins auf der Kundgebung "Schützt die Kultur vor den Rechten".

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Wo wollen wir anfangen? Bei dieser Anfrage, bei diesem Versuch an eine Liste zu gelangen, die die "heimischen" von den "ausländischen", den "eingebürgerten" Künstler*innen, den "Neubürger*innen", den "Doppelstaatsbürger*innen", den "Gastarbeiter*innen" trennen soll und die, was immer die Anfrager auch sonst noch von ihrer Motivlage behaupten, rassistisch ist? Sie ist rassistisch, da sie ein Profiling abruft, das die Herkunftsfrage mit der Frage nach den Kriterien der öffentlichen Kulturförderung und einem impliziten nationalistischen Kulturbegriff vermengt.

Schützt die Kultur

Anfang Juni stellte die AfD-Fraktion im Landtag eine kleine Anfrage. Die Abgeordneten Rainer Balzer und Klaus Dürr wollten wissen, welche Staatsangehörigkeit die Künstler an staatlichen Kultureinrichtungen in Stuttgart haben – an Oper, Theater, in Orchester und Ballett. Stuttgarts Kulturschaffende reagierten am vergangenen Samstag mit der Kundgebung "Schützt die Kultur vor den Rechten" im Stuttgarter Schlossgarten. Wir dokumentieren die Redebeiträge von Martina Grohmann, Hans D. Christ und Joe Bauer. (red)

Dieses wählbare Sammelbecken von Faschisten, das jetzt in allen Landtagen der Republik sitzt, überschüttet die Verwaltung der Landtage mit Anfragen, die keinerlei alltagspolitische Relevanz haben. Ein Verfahren, das von dem Volgelschissgeschichtsklitterer Gauland mit dem Satz angekündigt wurde: "Wir werden sie jagen!"

Die kleine Anfrage ist eine im demokratischen Verfahren verfügbare Größe und ist inzwischen Teil der Munitionierung dieser Jagd. Sie wird bis zur Lähmung der eigentlichen politischen Arbeit, also gegen jede Anstrengung Zukunftsfragen zu bearbeiten, massenhaft von diesen verbohrten, aber keineswegs strategisch dummen Zukurzgekommenen eingesetzt. Und diese kleinen ständigen, penetranten Anfragen speisen sich im Kern immer aus einer reaktionären, zukunftsunfähigen Geisteshaltung. Sie sind mit einigen Ausnahmen meist rassistisch, sexistisch, homophob und auf einen nationalistischen, völkischen Tenor ausgerichtet, der sich aus einer Vergangenheit speist, von der wir 1945 befreit worden sind. Das andere Element der kleinen Anfrage ist die Sammlung von Daten und damit auch die Sammlung von möglichen Zielen der Jagd, die man dann medial und mit zusätzlichen Falschmeldungen lanciert und an die der Partei im Geiste verbundenen Schlägertrupps vermittelt.

Historischer Exkurs

Ich konnte es mir nicht verkneifen und habe mir die Verwaltungsratsprotokolle des Württembergischen Kunstvereins aus den Jahren 1933 – 1934 zur Gleichschaltung durch das Propagandaministerium unter Goebbels angesehen. Die Protokolle triefen vor Angst und der Furcht, selber zum Ziel der neuen Machthaber zu werden. Schon in den Monaten vor der Machtergreifung werden jüdische Mitglieder angehalten, sich bei Bewerbungen um Ausstellungen zurückzuhalten. Wichtiger ist in unserem Zusammenhang allerdings die nach der Machtergreifung unmittelbar einsetzende Sammelwut in Bezug auf alle relevanten Daten, von der Finanzierung bis zu Personenlisten. Mit den Personenlisten war zudem immer, in einem Nebensatz versteckt, die Frage nach den nichtarischen Mitgliedern verknüpft. So wurden die Daten zunächst Enteignungslisten und spätestens ab 1941 Todeslisten.

Datenerhebung und Neoliberalismus

Wenn der Kapitalismus, sowie es eigentlich von keiner ökonomischen Theorie bestritten wird, ein System der Enteignung ist, dann ist der Evaluationswahn des neoliberal, digitalen Zeitalters eine unseren Alltag durchdringende Struktur, die sich aus Technologien des Faschismus und aus menschenverachtenden Wirtschaftsmodellen wie zum Beispiel des Taylorismus speist. Da sich spätestens seit den 1980er Jahren auch die öffentlichen Verwaltungen als betriebswirtschaftliche Entitäten betrachten (so benennt sich die Stadt Stuttgart selbst als Konzern), greift dieser Evaluierungswahn, das heißt die endlose Produktion von Listen zur Kontrolle von in der Politik entwickelten Rahmenstellungen, auch auf die Kulturinstitutionen zu. Erhebungen von Quantitäten werden ganz im Sinne neoliberaleren Gedankenguts vor Qualität gesetzt.

Und viele Kulturinstitutionen haben bereitwillig geliefert, um mittels quantifizierbarer Daten ihren Anspruch auf Fördermittel nachzuweisen – der Württembergische Kunstverein, die Kammerspiele München und viele andere haben immer sehr bewusst nicht geliefert. Spätestens seit dem jetzigen Einzug der Rechtspopulisten in die Landtage ist klar, dass die scheinbar harmlose Neoliberalisierung des Kunstbetriebs Methoden etabliert hat, die eben auch dazu tauglich sind, rassistische, sexistische, homophobe, völkisch-nationale Kontrolle auszuüben. Wir müssen uns ergo auch an die eigene Nase packen und unsere politischen Strategien neu justieren. Es wäre zumindest angebracht, sich an längst und aus dem politischen Feld kommenden Kriterien, wie die Datensparsamkeit zu halten.

Demokratie und Europa

Es gilt auch darum nichts mehr zu relativieren oder jener Tendenz zu erliegen, dass unsere Demokratie schon irgendwie wehrhaft ist. Wenn dies "UNSERE" Demokratie ist, dann können wir dieses "UNSER" nicht an das partei-politische Feld delegieren, das sich in Teilen des konservativen Milieus schon längst auf völkische und nationale Rhetoriken zubewegt. Dies muss nicht mehr wie in den 1930er Jahren bedeuten, dass das besagte konservative Milieu zum Steigbügelhalter der Faschisten wird, sondern kann, wie wir in Ungarn beobachten konnten, den Wandel einer ehemals gemäßigten konservativen Partei durchleben, die im Europa des 21. Jahrhunderts längst einen durch und durch faschistischen Staat etabliert hat.

Wir sollten die Verwandlung Ungarns sehr ernst nehmen. Wir sollten wissen, dass die Kultur das erste Ziel war. Keine/r der Kolleg*innen, mit denen wir dort intensiv zusammengearbeitet haben, ist mehr im Amt. Direktoren wurden wegen falscher Gesinnung von Grundschulen entfernt. Professorenstellen werden nach dem richtigen völkisch-nationalen Gedankengut vergeben. Der Alltag ist längst von der Furcht durchdrungen, im falschen Kreis eine falsche Äußerung zu machen. Es ist der wesentliche Unterschied zu den 1990er Jahren, dass die Republikaner in Deutschland noch von einem Europa im Aufbruch umgeben waren. Die heutige Situation ist die eines Europas, das an allen Enden und Ecken durch reaktionäre, nationalistische Tendenzen in eine Vergangenheit nationalen, menschenverachtenden Protektionismus zurückgeworfen wird. Die Ursachen hierfür liegen auch in einem menschenverachtenden Neoliberalismus, der diesen Aufbruch von Menschen für seine Gewinnmargen instrumentalisiert hat, die extrem ungleich umverteilt wurden.

Rhetorik und Mord als Mittel der politischen Auseinandersetzung

Kommen wir zurück zu unseren politischen Gegnern im Nahbereich. Hier nur noch zwei Anmerkungen: Wenn Marc Jongen, der sich, falls es mit der politischen Karriere nicht klappt, erfolgreich auf eine unkündbare Stelle an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe eingeklagt hat, sich als kulturpolitischer Sprecher der Rechtspopulisten wie folgt äußert: "Es wird mir eine Freude sein, die Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen", dann müssen wir hier zwei Dinge ins Auge fassen: die Freude ist Ausdruck von einem tiefsitzenden Hass und der Begriff "Entsiffung" ist die Betrachtung anders Denkender als Ungeziefer, das ausgemerzt werden muss. Dies unterscheidet sich in keiner Weise von dem Verhalten des rechtspopulistischen Abgeordneten, der sich bei der Trauerbekundung im bayerischen Landtag für Walter Lübcke demonstrativ nicht vom Platz erhebt. In diesem Moment sendet dieser gewählte Mandatsträger das Signal an die ehemaligen und immer noch aktiven Mitglieder des Nationalsozialistischen Untergrunds, dass der Kopfschuss aus nächster Nähe ein legitimes Mittel zur Beseitigung politischer Gegner ist.

Schlussbemerkung

Wir, die Kulturschaffenden sind ebenso öffentliche wie politische Repräsentanten und wir sollten uns trotz aller wichtigen Unterschiede enger verbünden, um unsere Art und Weise des guten Lebens, des freien Lebens, des transnationalen Lebens, des gerechten Lebens, des Teilens, der Solidarität, aber auch der klaren antifaschistischen Kante in die politische Auseinandersetzung miteinzubringen. Wir müssen uns ändern, wir müssen gemeinsam politisch aktiver werden und mehr aufbegehren gegen diesen fatalen, rechtspopulistischen Stumpfsinn – auch und zu aller erst um den Ermordeten, den Opfer rechter Rhetorik im Gedenken gerecht zu werden.


Hans D. Christ ist seit 2005 Geschäftsführer des Württembergischen Kunstvereins. Er leitet die engagierte Einrichtung zusammen mit Iris Dressler.

Mit Musik geht alles besser – einen Eindruck von der Kundgebung gibt das kurze Video von Martin Storz:


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1 Kommentar verfügbar

  • Marla M.
    am 03.07.2019
    Antworten
    Spätestens seit Fischers Geschichtsverdrehung und -mißbrauch "nie wieder Ausschwitz", um damit Krieg zu ermöglichen, reagiere ich höchst empfindlich wenn..
    "Weil es in der NS-Zeit so und so war .... deswegen ist/wird/wehret den Anfängen!"
    argumentiert wird!

    Uihuih, die AfD will Daten... und…
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