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"Rechtsradikalismus beginnt im Kinderzimmer"

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Wie entwickeln sich Kinder, deren Eltern und Großeltern Nazis sind? Der Dokumentarfilm "Kleine Germanen" befasst sich damit auf sehr unkonventionelle Weise. In dieser Woche läuft er beim Stuttgarter Trickfilmfestival. Ein Gespräch mit Regisseur Mohammad Farokhmanesh.

Als Kind liebt Elsa, 1974 geboren, ihren Großvater. Das allein ist noch nichts Ungewöhnliches. Aber was sie liebt, sind auch seine Geschichten aus dem Dritten Reich, sind ihre gemeinsamen Spiele – sie als Wehrmachtssoldat, die ihn als Rotarmist immer besiegt und dafür Orden verliehen bekommt "für Führer, Volk und Vaterland". Elsas Großvater ist ein strammer Nazi, die liebevolle Zuwendung ist kombiniert mit ideologischer Indoktrination, mit der Ermahnung zu Disziplin und Härte gegenüber sich selbst, und mit Hass auf die überall lauernden Feinde der Rasse und der Heimat. Elsa darf keine US-Serien anschauen, sie muss Hitlers "Mein Kampf" auswendig lernen, sie hat panische Angst vor Juden, obwohl sie noch nie einem begegnet ist. In ihren Alpträumen wird sie manchmal von einer riesigen jüdischen Ratte angegriffen, die sie nur mit Mühe besiegen kann.

Elsas Geschichte wird in Mohammad Farokhmaneshs und Frank Geigers Dokumentarfilm "Kleine Germanen" in animierten Sequenzen erzählt, und nicht nur in der Alptraum-Szene zeigt sich die Stärke dieses Ansatzes. Teils war er auch pure Notwendigkeit: Elsa gibt es wirklich, aber sie heißt nicht so, und nicht einmal die Filmemacher wissen, wie sie aussieht. Im Jahr 2000 ist sie aus der rechten Szene ausgestiegen, nachdem sie lange mit einem Neonazi verheiratet war und mit ihm zwei Kinder hat. Das Umdenken begann, sehr langsam, mit der Geburt ihres zweiten Kindes Hermann, einem Jungen mit geistiger Behinderung. Elsa wurde aus ihrem geschlossen rechten Umfeld immer wieder nahegelegt, ihn in ein Heim zu geben. Doch der Ausstieg war ein langer, schmerzhafter Prozess – denn er bedeutet auch den kompletten Bruch mit ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld.

Die Familie als prägender Faktor für rechte Orientierung – diesem Thema gehen Farokhmanesh und Geiger aber nicht nur in Animationsfilmsequenzen nach, sie kontrastieren diese mit Interviews mit Vertretern der Neuen Rechten, etwa dem Publizisten Götz Kubitschek und seiner Frau (und ebenfalls Publizistin) Ellen Kositza oder der ehemaligen NPD-Politikerin Sigrid Schüßler, die ihre Vorstellungen von Volksgemeinschaft, der Rolle der Familie und der Kindererziehung darin zum Besten geben. Es sind Gedankengebäude voller Paranoia und der festen Überzeugung vom Vorhandensein eines germanischen Wesens, das es zu verteidigen gilt. "Unsere Kinder sind so sicher gebunden", sagen Kositza und Kubitschek irgendwann, "es ist nicht vorstellbar, dass eines von ihnen bei der Antifa landet". 

Weil er zur Hälfte Animationsfilm ist, läuft "Kleine Germanen" diese Woche beim Internationalen Trickfilmfestival in Stuttgart, am Freitag, den 3. Mai. Schon einen Tag vorher hat der Film im Stuttgarter Atelier-Kino Deutschlandpremiere, bundesweiter Kinostart ist am 9. Mai.

Herr Farokhmanesh, wie und wann sind Sie und Ihr Co-Regisseur Frank Geiger auf das Thema von "Kleine Germanen" gekommen?

Das war 2011, wir hatten diesen Gerichtsfall in Niedersachsen mitbekommen: Ein Ehepaar stand vor Gericht, dessen Tochter im Alter von drei Jahren gestorben war. Sie hatte Diabetes, die Eltern aber haben sie nicht behandeln lassen, sie waren Anhänger der neuen germanischen Medizin. Von diesen Menschen wird die Schulmedizin als etwas "Jüdisches", etwas Feiges erachtet, die immer versucht, das Schwache am Leben zu erhalten. Wir wollten am Anfang nur eine kurze Dokumentation fürs Fernsehen machen und haben dann festgestellt, dass es zu dem Thema, wie Kinder mit rechtsextremer Ideologie erzogen werden, gar nichts gibt – weder Filme noch Literatur oder Internetseiten. Deshalb mussten wir erst einmal mehrere Jahre recherchieren und selber Experten werden.

Wie lange haben Sie an dem Film gearbeitet?

Wir haben über vier Jahre daran gearbeitet, weil wir so lange recherchieren mussten. Das Thema war eine Forschungslücke. Mittlerweile gibt es seit kurzem auch ein Buch dazu, "Erziehung prägt Gesinnung" von Herbert Renz-Polster, das sich sehr gut mit dem Film ergänzt, und das ich jedem empfehlen würde. Aber zu Beginn unserer Recherchen gab es das noch nicht.

Hatten Sie von Anfang an vor, den Film zum Teil mit Animationssequenzen zu machen?

Die Idee ist nach und nach entstanden, weil wir festgestellt haben, dass es unmöglich war, in diesen Familien zu filmen und Kinder zu interviewen. Und wir wollten die Kinder ja auch nicht bloßstellen. Der zweite Grund, warum wir uns für Animation entschieden haben, ist, dass wir auch Kinder und Jugendliche erreichen wollen. Wir können damit das Innenleben und die Sicht der Kinder im Film besser emotional rüberbringen. Die Kinderjury der Filmbewertungsstelle FBW hat "Kleine Germanen" schon empfohlen, neben Filmen wie zum Beispiel "Ostwind".

Basiert Elsas Geschichte auf den Erfahrungen einer Person oder ist sie aus mehreren zusammengesetzt?

Nein, es ist die wahre Geschichte von Elsa. Wir haben sie natürlich kürzen müssen und manches aus dramaturgischen Gründen zusammengefasst, aber wir haben sie nicht aus unterschiedlichen Figuren zusammengesetzt.

Im Film wechseln sich die Animationssequenzen ab mit realen Interviews mit mehreren Vertretern der Neuen Rechten, darunter der Publizist Götz Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza, die Ex-NPD-Politikerin Sigrid Schüßler und Martin Sellner von der Identitären Bewegung Österreichs. Was fanden Sie gruseliger: Die Schilderungen Elsas oder das, was Leute wie Kubitschek oder Schüßler über ihre Familienvorstellungen erzählt haben?

Beides hat mich richtig fertig gemacht, so dass ich während der Interviews teilweise fast nicht zuhören konnte. Es hat mir wehgetan. Als Familienvater und auch wegen der Tatsache, dass man in einem Land wie Deutschland, wo es Demokratie gibt, wo man die Möglichkeit hat, sich zu entfalten, trotzdem in so eine Familie hineingeboren werden kann und dort aufwächst. Ohne die Chance zu bekommen, sich frei zu entwickeln. Ich komme ursprünglich aus dem Iran und bin dort bis zum 22. Lebensjahr sozialisiert worden – in einem Land, das eine Diktatur war. Freiheit und Demokratie sind Werte, die man mit allen Mitteln verteidigen muss.

Bei vielen der Porträtierten wirkt es so, als würden sie die Werte einer pluralistischen Demokratie als etwas "Ungermanisches" sehen.

Bei den Familien mit rechtem Gedankengut wird immer mit den gleichen Methoden gearbeitet: Man geht an die Urängste ran, alles, was man nicht kennt und was fremd ist, wird sofort als Bedrohung von außen dargestellt, vor der man sich schützen muss. Ob man rechtsradikal ist oder in einer IS-Familie aufwächst, es sind die gleichen Methoden.

Im Gegensatz zum Inhalt ihrer Worte wirken die von Ihnen interviewten Personen oft freundlich und fröhlich, es sind keine polternden Klischee-Nazis. Hatten Sie Befürchtungen, dass sie zu sympathisch rüberkommen könnten?

Nein, denn es war ja genau die Fragestellung des Films: Wie kann es sein, dass sie so erfolgreich sind? Ich glaube nicht, dass die Neuen Rechten mit Stiefel und Baseballschläger unterwegs sind, sondern sie wirken sehr harmlos, sind nett, freundlich, und so können sie die Leute für sich gewinnen. Damit sind sie sehr erfolgreich, die AfD ist im Osten Nummer eins in den Umfragen. Aber darauf weisen wir auch hin: Hört zu, wie sie arbeiten, was sie sagen, damit man darauf reagieren kann. Wir sind der Meinung, dass man am Gedankengut dieser Leute nichts mehr ändern, keinen Einfluss mehr darauf nehmen kann. Wir müssen an die nächste Generation, müssen das als pädagogische Herausforderung sehen.

Sie haben gerade die AfD erwähnt – in dem Film sind keine AfD-Mitglieder unter den Interviewten Personen, wobei es welche gäbe, die vom ideologischen Spektrum durchaus passend gewesen wären; man denke nur an Björn Höcke.

Wir haben Björn Höcke auch gefragt, aber er hat nicht reagiert. Wir hätten gerne auch ein Interview mit ihm geführt, weil wir wissen, dass seine Kinder genauso erzogen worden sind, und weil wir auch wissen, dass Höcke mindestens einmal im Monat Kubitschek besucht, um dessen Philosophie zu verbreiten. Aber wir haben von AfD-Seite keine Antwort bekommen. Und letztendlich ist es auch nicht unsere Absicht gewesen, mit dem Finger auf wen auch immer zu zeigen, um zu beweisen, wie schlimm sie sind. Uns geht es um die Erziehung und um die nächste Generation, um die Kinder.

Erklärungsversuche von Rechtsextremismus sind häufig geprägt von der Annahme, dass dessen Vertreter aus einem schwierigen sozialen und finanziell schwachen Umfeld kommen. Das trifft auf die in Ihrem Film Gezeigten überhaupt nicht zu. Sie wirken wohlsituiert, ihnen geht es materiell sehr gut, und es ist eher das autoritäre familiäre Millieu, das prägt.

Rechtsradikalismus existiert bis in die Mitte der Gesellschaft hinein, er beginnt tatsächlich im Kinderzimmer. Die politische Gesinnung kommt von der Erziehung, sie ist unabhängig von Familieneinkommen oder Bildung. Bei der AfD sind ja auch Professoren. Entscheidend ist, egal ob man es mit armen oder reichen Familie zu tun hat, dass diese Menschen alle eine ähnliche Erziehung haben, dass sie autoritär erzogen wurden. Das heißt, sie mussten seit ihrer Kindheit immer aufpassen, ob sie etwas richtig oder falsch machen. Mit dieser Unsicherheit gehen sie ins Leben, und sie äußert sich immer dann, wenn von außen eine Bedrohung da ist oder etwas als Bedrohung dargestellt wird. Ob Wirtschaftskrise, Flüchtlingsproblematik oder was auch immer - wenn das Gefühl einer Gefahr von außen da ist, kommen diese Ängste hoch. Und das kann, Beispiel AfD, eine große politische Dimension bekommen.

Haben die Recherchen Ihren eigenen Blick auf Rechte verändert und die Entstehung rechter Gedankenstrukturen?

Ja, das war für mich sehr interessant, denn Rechtsextremismus ist ja nicht nur ein deutsches Thema, sondern ein weltweites. Ich habe jetzt einen anderen Blick darauf, was Erziehung mit uns macht und woher die Vorstellung kommt, die eigene Gruppe sei besser als alle anderen.

 

Mohammad Farokhmaneshs und Frank Geigers "Kleine Germanen" läuft diese Woche am Donnerstag, den 2. Mai, um 18 Uhr im Stuttgarter <link https: www.arthaus-kino.de _blank external-link-new-window>Atelier am Bollwerk (Deutschlandpremiere) und am Freitag, den 3. Mai, im Rahmen des <link https: www.itfs.de _blank external-link-new-window>Internationalen Trickfilmfestivals Stuttgart um 20 Uhr im Metropol 2. Ab 9. Mai ist er bundesweit in den Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, <link https: www.kino-zeit.de _blank external-link-new-window>sehen Sie hier.


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