KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Mord verjährt doch!

Mord verjährt doch!
|

Datum:

In dem Drama "Der Fall Collini" ist der "Fack ju Göhte"-Star Elyas M'Barek als junger Anwalt zu sehen, der einen vom Ur-Django Franco Nero gespielten Mann verteidigt. Die Geschichte führt zurück in die NS-Zeit – und diese Filmkritik in einen Exkurs über ein fatales Gesetz.

Während der nun, in wenigen Sekunden, zum Mörder werdende ältere Mann (Franco Nero) durch einen Berliner Hotelflur stapft, arbeitet sich der junge Anwalt Caspar Leinen (Elyas M'Barek), der ihn später verteidigen wird, als Hobbyboxer ab. Das Opfer ist Hans Meyer (Manfred Zapatka), ein 84-jähriger Industrieller, den der Täter nicht nur mit Schüssen niederstreckt, sondern dem er auch noch das Gesicht mit Tritten verwüstet. Danach geht er ins Foyer, hockt sich in einen Sessel und sagt lapidar zu einer Hotelangestellten: "Er ist tot." Und nun wird dieser stoisch wirkende Mann, ein italienischer Gastarbeiter namens Collini, eine lange Zeit nichts mehr sagen, nur dasitzen und Caspar mit unbewegtem Granitgesicht anschweigen. Der Fall ist ja auch, jedenfalls was die Identität des Täters betrifft, klar. Bloß das Motiv bleibt rätselhaft.

Das Hauptproblem in diesem im Jahr 2001 spielenden Film ist zunächst, dass der Jungjurist Caspar erst nach seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger erfährt, wer das Opfer ist. Nämlich der Mann, der für ihn eine Art Ziehvater war, in dessen Villa er ein- und ausging und in dessen Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara) er sich verliebt hatte. "Ich verteidige den Mörder von Hans", gesteht er, auch wenn die Gefühle von damals gleich wieder aufflammen, seiner Jugendliebe. Johanna aber empört sich: "Du kannst so jemanden nicht verteidigen!" Doch Caspar, schon durch sein Box-Hobby als Kämpfer geschildert, geht es um das Rechtssystem. Die letzten Zweifel an seinem Auftrag räumt schließlich der an das Berufsethos appellierende Starverteidiger Mattinger (Heiner Lauterbach) aus.

In Marco Kreuzpaintners prominent besetzter Adaption des gleichnamigen Ferdinand-von-Schirach-Romans täuschen Caspars Verwicklungen in den Fall allerdings nur Komplexität vor, tatsächlich sind sie ein dramaturgischer Kniff, wie er etwa in deutschen TV-Krimis schon lange Methode geworden ist. Dieser Film hat Angst, dass es dem Zuschauer nicht genügen könnte, einem Profi bei der Arbeit zuzusehen, er strapaziert deshalb die Wahrscheinlichkeit und zerrt Caspars Privatleben in eine Geschichte hinein, die dadurch leider nichts gewinnt. Im Gegenteil: Die Rückblenden in Hans Meyers Villa und in Caspars Jugendjahre bleiben seltsam blass, sie lenken nur ab vom tatsächlichen Kern des Films. Viel zu lange zögert der Regisseur nämlich die Antwort auf die Frage hinaus, warum Collini gemordet hat. Und als endlich soweit ist, ist es fast schon zu spät.

Ein ungeheuerlicher Paragraf

Und doch ist dies, wenn schon kein guter, so doch ein wichtiger und interessanter Film, der in seinem zweiten Teil zum Gerichtsdrama wird und dabei auch an Spannung und Dichte zulegt. Der junge Anwalt Caspar, der von den gestandenen Juristen zunächst etwas herablassend behandelt wird, stöbert in der SS-Vergangenheit seines Ziehvaters Hans Meyer herum und stößt dabei endlich auf das, was Collini zu dessen Mörder gemacht hat.

Nun ist der Ruf eines berühmten Mannes bedroht, und sogar Mattinger, der als Nebenkläger auftritt, warnt Caspar vor weiteren Nachforschungen: "Lassen Sie's, mein Junge!" Dieser arrogante Jurist, mit dem Caspar sich im Gerichtssaal Verbalduelle liefert, war in dieser Fiktion auch beteiligt an einem im Jahr 1968 real in Kraft getretenen Gesetz, das zu einer De-facto-Amnestie für viele Nazitäter führte. In "Der Fall Collini" wird es mal knapp zusammengefasst und als Dreher-Gesetz bezeichnet, benannt nach Eduard Dreher, der im Bundesjustizministerium Karriere gemacht hatte.

Wie gesagt: Die Geschichte, die dieser Film um dieses Gesetz herum erzählt, entwickelt zu wenig Eigenleben und ist oft nur Vehikel, um auf einen Skandal aufmerksam zu machen. Aber es ist ein Skandal, der damals fast unbemerkt blieb, vielleicht absichtlich ignoriert wurde und auch heute kaum bekannt ist. Deshalb ein kleiner und von diesem Film angeregter Exkurs.

Heribert Prantl hat 2018 in der Süddeutschen Zeitung geschrieben: "Das Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz war ein Versteck. Der ungeheuerliche Paragraf tarnte sich mit ungeheuerlicher Harmlosigkeit. Er führte dazu, dass die Strafen für Mordgehilfen zwingend gemildert werden mussten. Als bloße Mordgehilfen galten nach damals herrschender Rechtsprechung fast alle Nazi-Verbrecher – außer ein paar Spitzennazis wie Hitler, Himmler und Heydrich. Für Mordgehilfen trat also nun aufgrund des neuen Paragrafen an die Stelle einer bisher lebenslangen Freiheitsstrafe (die gemildert werden konnte) eine höchstens 15-jährige Freiheitsstrafe; die bisherige bloße Möglichkeit einer Strafmilderung war nämlich nun in eine Pflicht zur Strafmilderung verwandelt worden. NS-Straftaten mit einer Höchststrafe von 15 Jahren waren aber schon seit 8. Mai 1960 verjährt."

Sühne nicht mal im Film – Sant'Anna lässt grüßen

Dass sich das Gesetzt so auswirkte, wurde zunächst als Panne angesehen, tatsächlich war es bewusste Manipulation. Das Bundesjustizministeriums hat den Fall viel, viel später untersuchen lassen. "Die Welt" schreibt dazu im Jahr 2016: "Die Unabhängige Wissenschaftliche Kommission des BMJ (...) hat Indizien für Drehers Manipulation gefunden, die überzeugend sind. Ihre beiden Leiter, der Potsdamer Historiker Manfred Görtemaker und der Erlangener Strafrechtler Christoph Safferling, kommen zum Ergebnis, der Unterabteilungsleiter sei der "Einzige, der ein Motiv, die Mittel und die Gelegenheit besaß", die Gesetzgebung zu manipulieren. Und sie können sogar das Tatwerkzeug benennen: eine Randnotiz auf einem Vermerk." Eduard Dreher war ein Jurist, der unter anderem als Ankläger eines NS-Sondergerichts in Innsbruck viele Todesurteile beantragt hat, etwa wegen Lebensmitteldiebstahls und unbefugter Verwendung eines Fahrrads.

Von den Entnazifizierungsbehörden wurde Dreher nach dem Krieg nur als Mitläufer eingestuft. Er arbeitete danach in einer Stuttgarter Anwaltskanzlei und wurde 1949 beim hiesigen Landgericht zugelassen. Von 1951 bis 1969 machte er dann, so wie viele andere NS-Juristen, beim Bundesjustizministerium Karriere. Die DDR hat 1965 ein so genanntes "Braunbuch" veröffentlicht, in dem auch Eduard Drehers Karriere in der NS-Zeit geschildert wird. Das westdeutsche Justizministerium ging damals daran, so noch einmal Heribert Prantl, "sich selbst ein Bild zu machen und ließ sich die Innsbrucker Akten kommen. Die Prüfung blieb folgenlos. Ministerialdirektor Josef Schafheutle, der Drehers NS-Vergangenheit prüfte, war im Reichsjustizministerium Referatsleiter für politisches Strafrecht gewesen."

Und so kam es, dass etwa SS-Massaker in Italien, die – Ende des Exkurses und zurück zum Film! – im "Fall Collini" eine Rolle spielen, ungesühnt blieben. Und sich nur in der Fiktion ein alter Mann aufmacht, den Mord an seinem Vater außergerichtlich zu verfolgen.


Marco Kreuzpaintners "Der Fall Collini" ist ab Donnerstag, 18. April, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt, <link https: www.kino-zeit.de film-kritiken-trailer external-link-new-window>sehen Sie hier.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 17.04.2019
    Antworten
    Mord verjährt nicht! Wie?
    Ganz einfach: Ein Gesetz das verfassungswidrig ist, das erlangt keine Rechtswirkung – Grundgesetz Artikel 100 [Verfassungswidrigkeit von Gesetzen],
    Art. 21 [Parteien] Abs. 2 „²Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“!!!
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!