"Der Chor der ZuschauerInnen bitte bereitmachen zum Betreten des Saals." Die Stimme klingt sachlich, wie eine Durchsage im Kaufhaus. Im Foyer des Theater Rampe warten die Besucher des Stücks "Dunkle Materie" auf Einlass. Sie haben ein weißes Leintuch angelegt bekommen, sind also nicht unbeteiligt. Plötzlich stürmt laut schreiend ein Mann, ebenso bekleidet, durch die Menge und verschwindet durch die Saaltür.
Es ist Ödipus, König von Theben, der sich soeben selbst geblendet hat. Er trägt, wie im antiken Drama üblich, eine Maske: in diesem Fall aus Pappe mit blutunterlaufenen Augen. Wild gestikulierend deklamiert er den Text des Sophokles: "O weh, o weh! Ach, ach, ich Unseliger! Wohin trägt mein Fuß mich, wohin ist die Stimme verweht, wohin hat mich mein Schicksal verschlagen?" Währenddessen gibt die Inspizientin mit neutraler Stimme Anweisungen: "Ruhe bitte beim Betreten des Zuschauerraumes. Der Chor der ZuschauerInnen begibt sich ruhig auf seine Plätze."
Vorne sitzt zwischen ionischen Säulenstümpfen die Bühnenbildnerin Nina Malotta und rührt in einem Farbeimer. Hinten produziert Rivkah Tenuiflora alias Rebecca Hennel mit geloopter Elektrogitarre, kleineren Instrumenten und "allerlei Krimskrams" einen zunehmend infernalischen Soundtrack. Links steht eine prismatische Raumkapsel aus einer früheren Produktion des O-Team, "Raumpatrouille 433". Hinter der Scheibe sieht man die Inspizientin auf- und abgehen. Wie von der Kanzel eines Krans aus wacht sie über die Bühne. "O Dunkelheit, umfasse diesen Körper!", ruft Ödipus aus, der seinen Vater getötet und seine Mutter zur Frau genommen hat: "Nie wird der Vorwurf enden."
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