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Alle mal wegschauen!

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Die Komödie "Monsieur Claude und seine Töchter" war Teil jenes französischen Kinos, das sich als Integrationsmaschine versteht. In der Fortsetzung "Monsieur Claude 2" kommt diese Maschine nun schwer ins Stottern.

Im Jahr 2014 hat sich Monsieur Claude vom bigotten Bourgeoisie-Spießer zum Laissez-faire-Vater gewandelt und, wenn auch ein wenig grummelnd, seine aus Algerien, Israel, China und der Elfenbeinküste stammenden Schwiegersöhne nach einigen Reibereien endlich akzeptiert. Mehr als zwölf Millionen Franzosen (und immerhin vier Millionen Deutsche) haben ihm dabei zugesehen und sich amüsiert, als die Ethnien, Nationalitäten, Religionen und Kulturen in Klischeeform zunächst heftig aufeinanderprallten und sich am Ende doch alles in Wohlgefallen auflöste. Na also! Geht doch, jedenfalls mit ein bisschen gutem Willen. So hat es der Regisseur Philippe de Chauveron in "Monsieur Claude und seine Töchter" jedenfalls vorgeführt und seinen Film eingereiht in jene französischen Komödien, die das Kino als gut gelaunte Integrationsmaschine laufen lassen.

In Chauverons Fortsetzung "Monsieur Claude 2" aber kommt diese Maschine schwer ins Stottern. Sie hat ja auch vorher nur mit dem Wissen des Zuschauers funktioniert, dass die Probleme in der Realität natürlich komplexer sind als in diesem Feel-Good-Kino, und nur mit dessen Einverständnis, dass es trotzdem schön ist, wenn wenigstens auf der Leinwand alles gut ausgeht. Aber es sind inzwischen, nachdem Monsieur Claude seine Familie und damit die Grande Nation erfolgreich zum befriedeten Multi-Kulti-Land ausgeweitet hat, doch einige Dinge passiert. Die islamistischen Charlie-Hebdo- und Bataclan-Anschläge im Jahr 2015 beispielsweise. Die Präsidentschaftskandidatur von Marine Le Pen im Jahr 2017. Oder die andauernde Revolte der Gelbwesten. All dies ignoriert der neue Film jedoch auf eine Art, die weit über die optimistische Wunscherfüllung seines Vorgängers hinausgeht: "Monsieur Claude 2" kann mit der Realität nun gar nichts mehr anfangen, er flüchtet sich blind und selbstgefällig in eine Parallelwelt.

Vergebliche Suche nach einem Plot und einem Problem

In dieser Welt aber gibt es für den Provinz-Patron Monsieur Claude (Christian Clavier) eigentlich nichts zu tun. Er ist jetzt ein reicher Rentner, hat mit seiner Frau die Heimatländer seiner Schwiegersöhne besucht und erzählt am großen Esstisch in seiner Villa nun davon, dass ihm in China hundertjährige Eier vorgesetzt wurden oder dass es in Algerien sehr heiß war. Man spürt bei diesem öden Aufguss touristisch-folkloristischer Szenen aus längst vergangenen Zeiten: Dieser Film ist auf der Suche nach einem Plot und nach einem Problem. Die Töchter helfen da nicht weiter, sie werden vom Drehbuch völlig vernachlässigt. Ebensowenig wie Marie (Chantal Lauby), die Frau von Monsieur Claude, deren Nordic Walking-Aktivitäten (Chantal Lauby) der Film lustig finden will. Und dass sich die Schwiegersöhne, der ängstliche Banker Chao (Frédéric Chao), der angeberische Möchtegern-Entrepreneur David (Ary Abittan), der frustrierte Anwalt Rachid (Medi Sadoun) und der erfolglose Schauspieler Charles (Noom Diawar) wieder mit Religions- und Kultur-Klischees beharken, nein, auch das trägt nicht lange.

So bastelt sich dieser Film schließlich mühsam eine Geschichte zusammen, in der die Schwiegersöhne sich in Frankreich doch nicht mehr wohl fühlen und auswandern wollen. Was den einstigen Nörgelbürger Monsieur Claude dazu bringt, ihnen mit gekauften Akteuren "la douce France" vorzuführen, ein vor gelungener Integration nur so strotzendes Land, in dem schwarze Winzer Edelweine herstellen und selbst windige Geschäftsleute Kredit kriegen. Ach ja, der herrische Vater von Charles (Pascal Nzonzi) rückt auch wieder an aus Afrika und wiederholt seine augenrollenden Zornesauftritte aus dem ersten Film. Bis auch er nachgeben und – Achtung, Spoiler! – der lesbischen Verbindung seiner eigenen Tochter zustimmen wird. So dass also das erfüllt ist, was der Regisseur so formuliert: "Wenn es eine Botschaft geben muss, dann wäre es diese: wir leben alle im gleichen Land, umso mehr sollten wir versuchen, dass alles gut geht und jeder hier glücklich sein kann!"

Das klingt gut, aber eben auch ziemlich banal. In der bieder-plumpen Ausführung, in der die Darsteller laut und eindeutig agieren wie in einem Kinderfilm, sieht es sich dann an wie eine große Lüge. Oder doch nicht? Da stellt Marie für den Park rund um die Villa ja einen afghanischen Flüchtling an! Dann kommt es sogar zu verdächtigen Aktivitäten im Schuppen, die ... Na ja, es klärt sich natürlich alles auf. Diese nationale Parallelgesellschaft, die man auch als die unter französischer Leitkultur vereinigte Internationale der gehobenen Mittelschicht bezeichnen könnte, darf also unbeirrt weiter machen mit ihrer wohlfeilen Toleranz. Und wegen der Löhne oder wegen der Benzinpreise werden weder Monsieur Claude noch seine Töchter noch seine Schwiegersöhne jemals auf die Straße gehen. Warum auch? Der Schlusssatz von Marie lautet doch: "Wir haben es so gut!"


Philippe de Chauverons "Monsieur Claude 2" ist ab Donnerstag, 4. April, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt,
<link https: www.kino-zeit.de external-link-new-window>sehen Sie hier.


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