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Koloniales Erbe

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Am 16. März öffnet das Linden-Museum in Stuttgart seine neue Ausstellung zum afrikanischen Kontinent. Sandra Ferracuti, die neue Leiterin der Afrika-Abteilung, und die Museumsdirektorin Inés de Castro im Gespräch über Provenienz, Raubgut und die Repräsentation eines Kontinents.

Frau de Castro, Frau Ferracuti, am 16. März eröffnet Ihre neue Ausstellung zum afrikanischen Kontinent. Von wann stammte eigentlich die vorige?

Inés de Castro: Mitte der Achtzigerjahre ...

Sandra Ferracuti: ... von meinem Vor-Vorgänger Hans-Joachim Koloss ...

De Castro: ...dessen Nachfolger Hermann Forkl den Katalog geschrieben hat, der bereits die Kolonialzeit thematisiert und die Verbindungen zur modernen Kunst aufgezeigt hat.

Im Zentrum stand eine Gruppe von Maskentänzern aus Oku in Kamerun. Dahinter steckt die Vorstellung, man könne andere Kulturen über Objekte und menschliche Figuren darstellen. Adolf Bastian, der Gründer des Berliner Völkerkundemuseums, wollte von diesen Kulturen retten, was noch zu retten sei, bevor sie verschwinden.

De Castro: Das hätte auch ein Ausspruch unseres Gründers von Linden sein können.

Heute müssen wir eine andere Perspektive einnehmen.

Ferracuti: Die neue Ausstellung versucht, eine Sammlung darzustellen, nicht "eine Kultur" oder "die Kulturen Afrikas". Was wir zeigen möchten, ist auch die Rolle des Museums selbst und verschiedene Beziehungen zwischen Personen und Objekten: Die ersten kolonialen Beziehungen zu Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aus denen der größte Teil der Afrika-Sammlung stammt, wie auch die der Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Hans-Joachim Koloss hat zum Beispiel viele Jahre in Oku, Kamerun, geforscht und gesammelt. Forscher und Kuratorinnen haben ihre eigenen, subjektiven Ansichten, ein Geschlecht, ein Alter. Ich versuche, kritische Museologie und reflexive und dialogische Anthropologie in der Ausstellung zu verankern. Somit wird die Ausstellung auch den eigenen Anteil des Museums und seiner Kuratoren an der Geschichte darstellen.

Sie haben dazu ein Beratungsgremium, das Advisory Board for the Representation of African Collections (ABRAC) ins Leben gerufen. Was verbirgt sich dahinter?

Ferracuti: Es sind zehn Personen.

Afrikaner, die in Stuttgart leben?

De Castro: Stuttgarter mit afrikanischen Wurzeln, würde ich eher sagen. 

Wie haben Sie sie ausgewählt?

Ferracuti: Ich war im Forum der Kulturen und habe mich nach entsprechenden Vereinen erkundigt. Ich habe Personen kennengelernt, die in den aktuellen Diskussionen über Sammlungen aus Kamerun, Nigeria, Kongo und Mosambik engagiert sind, denn das sind die Länder, aus denen die meisten Objekte unserer Ausstellung stammen. Es ging auch darum, dass sie Interesse an diesen Diskussionen haben, denn diese Störung, die der Kolonialismus gebracht hat, ist in ihrem Alltag nach wie vor sehr präsent.

Es gibt ja auch noch andere Kriterien: Wissen zum Beispiel.

Ferracuti: Wissen heißt ja nicht nur Bücherwissen. Auch das mündlich weitergegebene Wissen meiner Mutter oder meines Großvaters ist eine große Ressource. Wir können viel aus Biografien lernen. Olimpio Alberto und Afonso Manguele, die Mitglieder des ABRAC sind, wurden zum Beispiel beide in Mosambik geboren, einem sozialistischen Staat. Sie verbrachten in ihrer Jugend viele Jahre in der DDR. Ich habe daher von ihnen viel über deutsche Geschichte gelernt.

Die Sammlung stammt überwiegend aus der Kolonialzeit?

De Castro: Sprechen wir jetzt über die gesamte Sammlung oder über die Afrika-Abteilung?

Verhält es sich in den anderen Sammlungsgebieten denn anders?

De Castro: Wie groß der Anteil an Objekten aus den verschiedenen europäischen Kolonialgebieten ist, kann ich nur schätzen. Die Sammlung ist auf sehr unterschiedlichen Wegen zusammengekommen. Es ist die Hauptaufgabe der Provenienzforschung, die wir aktiv seit 2016 betreiben, die unterschiedlichen Erwerbungskontexte auszumachen. Aus den Ländern, die während der Kolonialzeit unter deutscher Herrschaft standen, ist der Großteil der Objekte vor 1920 ins Museum gekommen.

Es heißt, in manchen Gegenden haben die Menschen gar keinen Zugang mehr zu solchen Objekten, weil sie alle in europäischen oder amerikanischen Sammlungen verschwunden sind. Gibt es denn dort überall Museen?

Ferracuti: Natürlich gibt es Museen! Das Spannende ist, dass sie sich verändern und Wissensmodelle hinterfragen. Nehmen wir zum Beispiel das immaterielle Kulturerbe: Sind Objekte wichtiger als Performances und Beziehungen? Wenn wir dieser Frage folgen, könnten Museen auch als eine Art von Theater gedacht werden.

De Castro: Es ist nicht leicht, etwas so flexibles und prozesshaftes wie Kultur in eine stetige Ausstellung zu übertragen. Wir laufen Gefahr, die Kulturen erneut "einzufrieren". Die Ausstellung "Wo ist Afrika?" sehe ich als Experiment – der erste Versuch, die verschiedenen Diskurse zu Kolonialismus, Provenienzforschung, Mehrstimmigkeit oder Partizipation zu integrieren. Und dabei von der Idee einer objektiven Wissensvermittlung wegzukommen. Wir möchten unsere Interpretationshoheit zurückfahren und anderen eine Stimme geben.

Auf dem afrikanischen Kontinent sieht es längst nicht mehr so aus, wie wir es uns früher nach Besuch eines Völkerkundemuseums vorgestellt hätten. Die meisten Menschen leben in Mega-Städten.

De Castro: Das Bild von Afrika ist noch sehr stark von kolonialen Sichtweisen beeinflusst. Unsere Aufgabe ist es nun, dieses Thema in die Gesellschaft hineinzutragen und darauf aufmerksam zu machen, welche Sichtweisen und Narrative aus der Kolonialzeit noch heute bestehen. Dazu kann diese Ausstellung, denke ich, einen Beitrag leisten.

Ist das ethnologische Museum eine Art historisches Museum?

De Castro: Die Sammlungen sind zum großen Teil historisch, aber es geht uns vor allem um die Bedeutung der Sammlungen für die Menschen heute. Auch kaufen wir weiterhin Objekte, wie zum Beispiel das Motorrad, das wir in Kamerun für die Ausstellung erworben haben.

Ferracuti: Es ist ein besonderes Motorrad, das ein Zeichen ist für die Kreativität und die Bewegung, die dort überall zu finden ist.

Als Sie vor drei Jahren <link https: www.kontextwochenzeitung.de kultur _blank external-link>mit der Provenienzrecherche angefangen haben, war das noch Neuland?

De Castro: Provenienzforschung zur Kolonialzeit, das war 2016 neu, auch wenn die Kuratoren schon immer an den Erwerbskontexten gearbeitet haben. Wir haben zunächst die Sammlungen aus Namibia, Kamerun und vom Bismarck-Archipel angeschaut und nach einer Systematik für die Provenienzforschung gesucht. Wir haben jetzt mit Mitteln der Kulturstiftung des Bundes und des Landes Baden-Württemberg zwei Provenienzforscher am Haus, <link https: www.lindenmuseum.de fileadmin user_upload images fotogalerie presse__veranstaltungskalender schwierigeserbe_provenienzforschung_abschlussbericht.pdf _blank external-link>die diese Arbeit fortführen.

Foto: Shawn van Eeden

Foto: Shawn van Eeden

Hendrik Witbooi

Am 28. Februar hat eine baden-württembergische Delegation unter der Leitung von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne) dem Staat Namibia die Familienbibel (Foto) und Peitsche des Nationalhelden Hendrik Witbooi zurückerstattet. Witbooi war Anführer der Nama, die zusammen mit den Herero gegen die deutsche Besatzung kämpften. Bibel und Peitsche wurden 1893 von den deutschen Kolonialtruppen erbeutet und sind nun die ersten Objekte, die an ein afrikanisches Land restituiert werden. (dh)

Anders als beim jüdischen Raubgut kennt man in der Regel keine individuellen Vorbesitzer.

De Castro: Bei der Witbooi-Bibel könnte man es anders sehen. Aber sonst haben Sie recht: Die Informationen, die wir haben, sind sehr lückenhaft. Es ist eine schwierige Aufgabe, die Erwerbskontexte zu rekonstruieren. Und in unseren Inventarbüchern stehen meistens nur diejenigen, die die Objekte ans Museum übergeben haben, und nur sehr selten, in welchen Zusammenhängen sie beschafft wurden.

Einer, der zur Sammlung des Linden-Museums beigetragen hat, war der Offizier Hans Glaunig aus Augsburg. Er unternahm von der Festung von Bamenda aus auch mehrere Expeditionen in den Nordwesten Kameruns. Wenn im alten Sammlungsführer steht: "Fassade des Königspalasts von Oku" – Gibt ein König freiwillig seine Palastfassade her?

De Castro: Die wurde eigens für das Linden-Museum hergestellt. Wir wissen auch, wer der Schnitzer war.

Ferracuti: Sie gelangte durch Koloss ans Museum. Es gibt drei Publikationen, die von seinen persönlichen Begegnungen in diesem Zusammenhang berichten. Auch diese Geschichte werden wir den Besuchern in der Ausstellung erzählen.

Das Hamburger Kunstgewerbemuseum zeigt gerade unter dem Titel "Raubkunst?" seine drei Benin-Bronzen und die Geschichte, wie sie durch eine britische "Strafexpedition" 1897 aus Benin, dem Königreich der Edo im heutigen Nigeria, nach Europa gelangten. Auch das Linden-Museum besitzt Werke der Edo. Raubkunst?

De Castro: Das Linden-Museum beteiligt sich an einem Dialog zwischen der Regierung des Bundesstaats Edo, dem Königreich Benin in Nigeria und verschiedenen europäischen Museen. Es geht um einen Austausch von Objekten für das neue geplante Palastmuseum.

Restitution

"Soll man die ethnologischen Museen räumen?" fragte jüngst die FAZ und zeigte dazu eine Elfenbein-Gürtelmaske aus der nigerianischen Stadt Benin im Besitz des Linden-Museums. Der Bestand aus Kamerun, mit 16 500 Objekten der größte der Stuttgarter Afrika-Abteilung, stammt zu 91 Prozent aus der Kolonialzeit und davon wiederum zu 41 Prozent aus militärischen Quellen. Am 13. März wollen nun die Kulturminister von Bund und Ländern erstmals über eine Restitution kolonialer Objekte beraten und dazu eine gemeinsame Position erarbeiten. (dh)

Ferracuti: Ein Vertreter des Königreichs wird am 9. April zu einem Vortrag nach Stuttgart kommen.

Wie beurteilen Sie die Empfehlungen von Felwine Sarr und Bénédicte Savoy in Frankreich, die sich für eine weitgehende Rückerstattung von Werken aus der Kolonialzeit aussprechen?

De Castro: Wir haben uns sehr darüber gefreut. Ich finde, dass sie mehr Dynamik in die Diskussion gebracht haben. Aber wir würden uns gerne nicht nur auf Afrika fokussieren ...

Ferracuti: ... auch weil wir auf diese Weise Stereotype reproduzieren.

Savoy und Sarr fordern, nicht die Unrechtmäßigkeit des Erwerbs müsste nachgewiesen werden, sondern dass ein Objekt rechtmäßig erworben wurde.

De Castro: Es ist ein interessanter Ansatz. Wir möchten jedoch zusammen mit den Herkunftsgesellschaften in einem partnerschaftlichen Dialog über die Sammlungen sprechen und mit ihnen zusammen entscheiden. Für viele Gesellschaften steht Restitution nicht an erster Stelle, ihnen ist auch ein respektvoller und transparenter Dialog, gemeinsame Projekte, die Anerkennung und gemeinschaftliche Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte wichtig.

Das frühere Frankfurter Völkerkundemuseum nennt sich heute Weltkulturen Museum, das in München Museum Fünf Kontinente. Das Linden-Museum muss sich nicht umbenennen?

De Castro: Doch, wir werden uns umbenennen, aber erst im geplanten Neubau. Wir möchten zuerst darüber diskutieren, wohin wir wollen, und dann den Namen festlegen.

Die Geschichte zeigt sich schon im Portal.

De Castro: Das Gebäude hat nicht nur extreme bauliche Defizite, es zeigt auch ein koloniales und elitäres Antlitz. Die Eingangstreppe und das Portal verweisen auf die hehre Kunst dort oben. Stadt und Land haben sich nun für einen Neubau ausgesprochen. Stuttgart ist die Stadt mit der höchsten Diversität in Deutschland. Ein neues ethnologisches Museum könnte hier einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten!


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1 Kommentar verfügbar

  • Kornelia ..
    am 06.03.2019
    Antworten
    Sie sollten dort bleiben, wo sie sind... und nicht die 'heimische' Bevölkerung auf 'enteignetes' Land kolonisieren!
    Denn eins müsste endlich 'begriffen' werden: Kultur, Seelenheil, Bildung werden als Sperrspitze der Mächtigen benutzt, strategisch eingebunden und 'feudal' interetiert!
    Die Zoos,…
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