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Metal bis zum Live-Bewindeln

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Maximal unspektakuläre Show, maximale Erheiterung: Der erste Heavy-Metal-Lieferservice der Welt, das Duo Malmzeit, feierte im Oktober in Stuttgart seinen 15. Geburtstag. Fürs neue Jahr gibt es bereits große Pläne. Und selbst das Pflegealter macht den beiden keine Angst.

Das irgendwann in den 1970ern dem Hardrock entwachsene musikalische Genre Heavy Metal wird ja gemeinhin mit einer gewissen Maßlosigkeit in Verbindung gebracht: der Lautstärke, der Posen, des Drogenkonsums. Nicht so beim Duo Malmzeit, dem ersten Heavy-Metal-Lieferservice der Welt. Jochen Neuffer und Jörg Scheller alias Sumatra Bop und Earl Grey absolvierten auch den Jubiläumsgig zu ihrem 15-jährigen Bestehen, am 13. Oktober im zum Theater Rampe gehörenden Club Rakete, maximal unspektakulär: auf einem Sofa sitzend und zwischen den Songs immer wieder eine gute Tasse Tee trinkend.

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“Make Metal small again!“

Ausgabe 393, 10.10.2018
Von Oliver Stenzel

Brachiale Klänge frei Haus: Der Heavy-Metal-Lieferservice Malmzeit macht's möglich. Vor 15 Jahren von den Stuttgarter Musikern Jörg Scheller und Jochen Neuffer gegründet, hat er schon jede Menge Vernissagen, Privatpartys und Firmenfeiern beschallt. Und beinahe auch Angela Merkel.

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Headbangen und Tee trinken, könnte man sagen. Wobei, von Headbangen und ähnlich ekstatischen Gefühlsausbrüchen rieten die beiden Musiker, getreu ihrem Motto "Make Metal small again", dem Publikum ab. Jenes, größtenteils in einem Alter, in dem die Nackenmuskulatur ihren Zenit schon überschritten hat, wird es ihnen gedankt haben. Statt der Nackenmuskeln schmerzte indes bei manchen schon während des Auftritts das Zwerchfell, was an Schellers ungeheuer komischen Zwischenansagen und dem ausufernden Powerpointvortrag zur Bandgeschichte lag. Dokumentiert darin unter anderem: Treffen mit Metal- und Punk-Heroen wie Lemmy Kilmister (Motörhead) und Winfried Kretschmann (Grüne).

Schellers Ausführungen drehten sich natürlich auch um das textliche Hauptthema der Band, das Wetter, und um Nachhaltigkeit. In Bezug auf das Klima – durch Verzicht auf ausuferndes Equipment und damit auf große Trucks ist Malmzeit bekanntlich eine annähernd CO2-neutrale Band – und auf die Bandzukunft. "Viele Metal-Bands haben das Problem, dass sie mit 70 nicht mehr moshen, nicht mehr über die Bühne rennen können", erzählte Scheller. Unter diesem Druck stünden Malmzeit mit ihrer von vornherein sehr bewegungsökonomischen Show nicht. "Wir können unsere Performance fortsetzen, bis der Pflegedienst einschreitet und man während des Sets neu bewindelt werden muss." Aber auch das sei problemlos machbar. Geriatric Metal, here we come! 

Bis dahin wird aber wohl noch so manche Tasse Tee die Kehlen von Earl Grey und Sumatra Bop hinunterfließen. Für 2019 wollen sie eine Bandbiografie verfassen. Die SWR-Landesschau will im Januar eine Reportage über Malmzeit bringen (nichts zu danken, liebe Kollegen). Und natürlich steht die ein oder andere Lieferung an. Zwei Buchungsanfragen von Privatpersonen hätten sich aufgrund des Kontext-Artikels eingestellt, darunter wäre auch eine Premiere: "Eine Gartenparty im kommenden Sommer, das hatten wir tatsächlich noch nie" so Scheller.

Und womöglich wird ein Musikvideo gedreht, von Shaotong He, Student an der Stuttgarter Kunstaka. Der hat einen ganz formidablen Zusammenschnitt der Jubelshow erstellt (s. u.), in dem auch eine so schnell wohl nicht wiederkehrende Konstellation dokumentiert ist. Das mittlerweile sagenumwobene dritte Mitglied des Duos, früher auch als "der polnische Bär" angekündigt, war einmalig wieder dabei: Maciek Lubieniecki, der in den Nullerjahren seine Tätigkeit als Leiter des Danziger Kosakenchors für ein Germanistikstudium in Stuttgart unterbrochen und dabei die beiden Malmzeit-Musiker kennengelernt hatte. Wie in den Anfangstagen war er für die Konserven-Beats zuständig, nur nicht mehr wie damals als CD-Player-Player, sondern, dem rasanten technischen Fortschritt Rechnung tragend, erstmals als Smartphone-Player. Von Lampenfieber keine Spur: Wenn Lubieniecki die Songs durch präzises Tippen aufs Display einläutete und danach auf seinem Barhocker dezent mit dem rechten Fuß wippte, bewies er ein ums andere Mal, dass er von seiner Souveränität nichts verloren hatte. 


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