KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Killer mit Kühlhaus

Killer mit Kühlhaus
|

Datum:

In seinem brutalen Film "The House that Jack built" erzählt Lars von Trier von einem hochintelligenten Serienmörder, der seine Taten als Kunst versteht. Eine grauenhafte und manchmal grauenhaft-öde Geschichte, meint unser Kritiker.

00... Hmm?! ... Ob es jetzt mal los geht? Also gut. Lange genug auf das leere Blatt des Word-Programms gestarrt. Bringen wir's endlich hinter uns, schreiben wir also eine Kritik zu Lars von Triers Serienkillerfilm "The House that Jack built", der bei der Pressepremiere in Cannes sogar einem Teil der Profi-Zuschauer zuviel wurde. Hat diese rückblendende Szene zum Verlassen des Saals geführt, in welcher der junge Jack ein Entenküken aus dem See herausnetzt, ihm mit einer Zange ein Beinchen abzwickt und dann zusieht, wie es hilflos im Kreis zappelt? Oder war es schon die Szene zu Beginn, in welcher der von Matt Dillon gespielte Jack einer Frau (Uma Thurman), die ihn um Pannenhilfe gebeten hat und ihm dann mit ihrer aufgekratzten Plapperei auf die Nerven geht, einen Wagenheber ins Gesicht schlägt? Es ist dies der erste von fünf "Vorfällen", die Jack nun selber in allen Details schildern wird, nach eigenen Angaben zufällig ausgewählt aus einem Zeitraum von zwölf Jahren. Tatsächlich hat er mehr als sechzig Mal getötet. Er ist übrigens ein Killer mit eigenem Kühlhaus.

Aber wir müssen nicht nur über Jacks Fälle sprechen, sondern auch über den Fall Lars von Trier. Nach der Vorstellung seines Films "Melancholia" 2011 in Cannes hat er auf einer Pressekonferenz gesagt, er sei ein Nazi. Auch wenn bei diesem Regisseur nie ganz sicher ist, ob er mit einer sehr eigenen Art von Humor provozieren will oder ob er es wirklich ernst meint, wurde er vom Festival ausgeschlossen und erst in diesem Jahr wieder eingeladen. Mit eben jenem Serienkiller-Film, in dem der empathielose Jack sich im Spiegel "normale" Gestik und Mimik antrainiert, sich mit biedermännischer Chuzpe ins Haus einer älteren Frau hineinstottert, sie in quälend langen Szenen erwürgt, ersticht und dann auf einen Sessel drapiert und fotografiert. Denn dieser Jack, der in seine Erzählung immer wieder illustrierte Exkurse über Architektur, William Blake oder deutschen Eiswein einbaut, versteht sich als Künstler. Er ist also das, was Lars von Trier dem Zuschauer als Analogie selber aufdrängt: ein Alter Ego des Regisseurs.

Böse Bilder aus Lars von Triers Seele?

Schon in "Melancholia", in dem ein vorher hinter der Sonne versteckter Himmelskörper die Erde zerstören wird, hat Lars von Trier seine eigene Depression zur Schau gestellt und sie metaphorisch anwachsen lassen zu einem schwarzen Ego-Planeten. Seht her, so groß ist meine Krankheit – und so groß lasse ich uns alle untergehen! Zwei Jahre vorher, in seiner wüsten Geschlechterkampfgeschichte "Antichrist", hat der immer wieder unter schwerem Katholizismus leidende Regisseur sich von der Aufklärung verabschiedet. Zitieren wir aus einer eigenen Kritik: "...ist das alles nicht nur ein im Horrorgenre übliches Spiel, in dem die Verabredung zwischen Film und Zuschauer lautet, für die Dauer der Vorstellung so zu tun, als gäbe es das Irrationale, inklusive Hexen? ... Was aber, wenn nun Lars von Trier das Mittelalter nicht nur zitiert, sondern tatsächlich zurückbringt, wenn er die dunklen, höllischen, unaufgeklärten Seiten seiner Depression hervorholt, wenn er sie dann verdichtet und gestaltet, sie also zu Kunst verarbeitet? Denn 'Antichrist' ist ja ein faszinierendes und bildermächtiges Kunstwerk, das einen sofort packt und nicht mehr loslässt. Genauso wenig aber lässt einen auch die Frage los, ob dieses Werk das Irrationale, Sexualfeindliche und Misogyne nur darstellt oder nicht doch auch predigt."

Durch den neuen Film nun, in welchem der sich Mister Sophistication nennende Killer vor allem Frauen mordet, die er als dumm verhöhnt und an deren Angst er sich weidet, zieht sich ein Dialog Jacks mit einem zunächst anonymen Mann hindurch, der die Taten tadelt und darauf besteht, dass Kunst mit Liebe zu tun habe. Jack aber, der sich larmoyant über die schwere Arbeit des Leichenschleppens beklagt, kann nicht lieben. Er fühlt allerdings einen Schmerz, und der hört nur in jenen Momenten auf, in denen er seine sadistische Mordlust auslebt. Bald danach fängt es wieder an in ihm zu rumoren, er ist süchtig, er muss wieder töten, muss also wieder "Kunst" produzieren. Und Lars von Trier? Ist auch er eine Art Serientäter, der die eigenen Abgründe immer wieder in Kunst verwandelt? Sind seine Filme also Selbsttherapie, muss er böse Bilder in die Welt schicken, um sie, wenigstens eine Zeitlang, loszuwerden? Und darf man solche Fragen, in denen der Rückschluss vom Werk auf dessen Schöpfer suggeriert wird, überhaupt stellen?

Snuff-Movie mit Kunst-Ambition

Aber Lars von Trier stellt den Zusammenhang ja selber her. Indem er etwa versucht, sich dem Mainstream des Serienkiller-Genres zu entziehen und seinen Jack in einem realistisch-dokumentarisch wirkenden Film morden zu lassen, der ebenso an von Triers Dogma-Zeiten erinnert wie an so genannte Snuff Movies, also an jene verbotenen Filme, die echte Taten zeigen oder zumindest vorgeben, dies zu tun. Und indem er auch eigene Werke zitiert, von "Element of Crime" über "Hospital der Geister" bis hin zu "Antichrist", und zwar zusammen mit anderen Exkursen zu Gewalt und Tod und, dies vor allem, mit Tätern wie Hitler, Stalin oder Mussolini. Für Jack sind die letztgenannten eben auch Künstler. Und anders als Serienkillerfilme wie Charles Chaplins "Monsieur Verdoux" oder Michael Powells "Peeping Tom", in denen eine mit dem Täter nicht identische Erzählinstanz vielleicht verborgen, aber doch zu spüren ist, übernimmt Lars von Trier ja Jacks Perspektive. Deren Relativierung durch den schon erwähnten anonymen Dialogpartner hört sich dagegen an wie alibihaftes Pflichtprogramm.

Dieser Jack, der vergeblich versucht hat, nach eigenen Plänen und aus Holz ein Haus zu bauen, verwendet am Ende, um es zynisch zu sagen, anderes und selbst gemordetes Material. Er will ein Leichenhaus errichten, genauer: ein Haus aus Leichen. Lange, lange hat von Trier uns Zuschauern nun Einblick in seinen Kopf gegeben, der wahrlich kein angenehmer Ort ist, und uns mit schwarzer Materie gefüllt, auch mit Bildern vom Ausstopfen eines mürrischen Jungen, den Jack zusammen mit dessen Mutter und Bruder waidmännisch zur Strecke gebracht hat und dem er post mortem ein grelles Grinsen verpasst. Jetzt aber, als Jack ambitioniert und mittels experimenteller Versuchsanordnung mehrere Gefangene mit einem einzigen Schuss erledigen will, stellt sich sein bisher anonymer Dialogpartner vor. "Nenn mich Verge!", sagt der von Bruno Ganz gespielte Mann, und führt Jack durch dunkle Gänge in die Hölle.

Verge? Aber ja, damit ist jener Vergil gemeint, der sich in Dantes "Göttlicher Komödie" als Führer betätigt. Denn jetzt will Lars von Trier seine grauenhafte – und manchmal auch grauenhaft-öde – Geschichte noch so richtig überhöhen, deshalb den Realismus aufgeben und sich ins Reich der Symbole, der Metaphern und der Allegorien begeben, sprich: andocken an die klassische Literatur und Kunst. An Dante also, und visuell an die Grafiken von Doré. Letztere allerdings in sehr rot gefärbter Manier, also in jener Farbe, in der wir uns die Hölle schon immer vorgestellt haben. Und da entschlüpft uns ein erleichterter Seufzer. Weil dieser größenwahnhaft-arrogant den eigenen Zustand zum Zustand der Welt erklärende (und zu seiner eigenen Exegese aufrufende) Film nämlich gerade dann, wenn er seine größten Kunstambitionen ausstellt, auf abgelebte Klischees zurückgreift und bloß mit Brimborium überschmückte Banalitäten zelebriert.


Lars von Triers "The House that Jack built" ist ab Donnerstag, 29. November, in den deutschen Kinos zu sehen. Welche Spielstätte den Film in Ihrer Nähe zeigt,
<link https: www.kino-zeit.de _blank external-link-new-window>sehen Sie hier.

ERROR: Content Element with uid "11008" and type "media" has no rendering definition!


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


0 Kommentare verfügbar

Schreiben Sie den ersten Kommentar!

Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!