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Hymnen für den Mainstream

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In Bryan Singers "Bohemian Rhapsody" spielt Rami Malek den Queen-Frontman Freddie Mercury. Die komplexeren Seiten des Stars werden hier zugunsten einer Mainstream-Tauglichkeit ausgeblendet. Für Mercury-Fans dennoch ein Muss.

Ein Auge öffnet sich, der Götterbote Freddie Mercury erwacht! Aber es geht ihm nicht gut, er herrscht noch nicht im Himmel seiner Musik, er hustet in irdischer Qual. Was in so einem Film natürlich nicht bedeutet, dass sich auch ein Rockstar mal erkälten kann, nein, es signalisiert: ernst ist es, verdammt ernst. In Freddie Mercurys Fall heißt das für alle, die mit seinem Leben und seiner Karriere ein wenig vertraut sind: Er hat Aids. Aber noch wird er nicht sterben, noch steht ja der Höhepunkt dieses Films bevor. Es ist das Jahr 1985, Freddie zieht die Lederjacke an, steigt in den Rolls Royce, fährt vors Wembley-Stadion, geht auf den Vorhang zu, der ihn von seinem Publikum trennt. Und nun...

Nun schiebt Bryan Singers "Bohemian Rhapsody" ein retardierendes Element ein, das in diesem Fall den Großteil des Films ausmacht. Die Geschichte von Aufstieg, Erfolg und Beinahe-Niedergang des 1946 in Sansibar als Sohn einer Parsi-Familie geborenen Farrokh Bhulsara, dessen stets besorgte Eltern sich im Londoner Exil in kleinbürgerlicher Bloß-nicht-Auffallen-Assimilierung versuchen, der selber aber weiß, dass er für Großes geschaffen wurde. Gerade noch hat er auf dem Flughafen als Gepäckverlader gejobbt und sich dagegen verwahrt, als "Paki" bezeichnet zu werden, da steht er auch schon nachts vor einem Kellerclub und bewirbt sich bei den Bandmitgliedern von Smile, deren Leadsänger gerade den Dienst quittiert hat. "Nicht mit den Zähnen!", so wird dem jungen Mann mit dem prominenten Frontgebiss beschieden, das so aussieht, als könne es jederzeit aus dem Kiefer herauspurzeln. Aber dann singt der Opernfan, der sich nach einem römischen Gott (und wohl auch nach dem Element Quecksilber) benennen wird, a cappella vor und die Stimme übertönt sofort alle visuellen Vorbehalte.

Ein akustisches Phänomen! Der Gesangswissenschaftler Christian T. Herbst stellt fest: "Es wurde eine mittlere Sprechstimmlage von ungefähr 109 bis 128 Hertz und ein Singstimmumfang von drei Oktaven (G bis g'', ca. 98 – 784 Hz) festgestellt. Freddie Mercury war von der Sprechstimmlage her Bariton, sang jedoch meistens in Tenorlage. Das Stimmtimbre zeigte sich sehr variabel. Freddie Mercury sang sowohl im Brust- als auch im Falsett-Register, der Grad der glottischen Adduktion wurde abhängig vom ästhetischen Kontext entlang der Dimension 'behaucht'/'gepresst' variiert. Die Stimme hatte ein unregelmäßiges und schnelles Vibrato (ca. 7 Hz) mit relativ weiter Auslenkung (ca. 1.5 Halbtöne). Das stellenweise 'raue' Stimmtimbre ist auf subharmonische Oszillations-Phänomene (Periodenverdopplung, -verdreifachung und -vervierfachung) im Larynx zurückzuführen." Nach diesem kleinen Ausflug in die Wissenschaft (und in die Langeweile) aber wieder zurück zum Film, der "glottische Adduktion" oder "Oszillationsphänomene" Gott sei Dank nicht analysiert und benennt, sondern in ihrer Wirkung vorführt.

Malek fehlt Mercurys Sex-Appeal

Es ist also jede Menge Freddie Mercury zu hören. Zu sehen ist dabei der Schauspieler Rami Malek, der mit der SF-Serie "Mr. Robot" bekannt wurde und im Remake von "Papillon" die Dustin-Hoffmann-Rolle übernommen hat. Wie Malek sich als Mercury aufführt, von den androgynen und an Glam-Rock erinnernden Auftritten zu Beginn bis hin zum markanten Schnurrbart- und Ledermann der Wembley-Zeit, wie er dabei dessen zurückhaltende, fast scheue private Momente genauso erfasst wie das Sich-selber-unter-Strom-Setzen und öffentliche Energie-Verschleudern ("Auf der Bühne bin ich ganz die Person, die ich sein will!"), das ist von verblüffender Präzision. Und dennoch wird Malek nicht wirklich zu Mercury, es fehlt ihm ein bisschen das, was dieses Bühnentier eben auch noch ausmachte, etwas, das man früher vielleicht als Sex-Appeal bezeichnet hätte, eine erotische Aufladung also, eine wenn schon nicht ausgesprochene, so in den exzessiven Posen doch zu erkennende Aufforderung zu dem, was Lou Reed als "Walk on the wild Side" bezeichnet hat.

Aber das ist nicht Rami Maleks Fehler, das ist die Absicht des Films. Die kantigeren, komplexeren und manchmal auch verstörenden Seiten von Freddie Mercury (die Münchner Jahre etwa spielen keine Rolle) werden hier in den Mainstream hinein geglättet. Keine schillernden Abgründe, keine störenden Ambivalenzen, keine Experimente und auch keine Improvisation: "Bohemian Rhapsody" will ein Film für (fast) alle sein, er erzählt auf brave Art von einem exzessiven Leben, und deshalb deutet er die Sexualität des Stars (bei dem es ja tatsächlich nie ein Coming Out gab) auch nur durch verlangende Männerblicke an, steigt aber, nachdem etwa bei einer US-Tournee ein viriler Trucker ins Klo vorangeht, vor der Tür keusch aus. Wenn Freddie Mercury seiner treuherzigen Freundin Mary (Lucy Boynton) dann gesteht, er sei bisexuell, und wenn sie danach zwar auszieht, aber nun gegenüber wohnt und Lichtzeichen mit ihm austauscht, dann wirkt das fast wie eine Hommage ans alte und bittersüße Melodram.

Unterkomplex, aber unterhaltsam

Zu diesem Zeitpunkt hat der musikalische Eklektiker Freddie Mercury sich von Queen getrennt und versucht sich erfolglos an einer Solo-Karriere. Spätestens jetzt wird auch klar, dass "Bohemian Rhapsody" eben kein Queen-Film ist – obwohl Gwilym Lee als Brian May, Ben Hardy als Roger Taylor und Joseph Mazzello als John Deacon durchaus prägnante Szenen gegönnt sind – sondern ein Freddie-Mercury-Biopic. Das erzählt nun, nicht besonders subtil, sondern in vorgefertigten Genrebausteinen, die Story vom "poor little rich kid", das einsam in seiner großen Villa verkümmert und sich unterm Kronleuchter mit Koks volldröhnt. Dass er so selbstherrlich-arrogant und so blasiert-divenhaft geworden ist, das wird im Film übrigens seinem intriganten Lover und Manager (Allen Leech) zugeschrieben, einer in ihrer eindeutigen Schurkenhaftigkeit ebenfalls sehr melodramhaften Figur. Doch bei aller Kritik an diesem, vorsichtig gesagt, unterkomplexen Film muss man zugestehen: Er ist ganz unterhaltsam.

Da hat die anekdotische Inszenierung, in welcher der Kampf mit dem Mikrofon und dessen baldige Zähmung genauso verarbeitet wird wie der Kampf mit einem Produzenten, dem die sechs Minuten des zum Filmtitel erkorenen Songs zu lang erscheinen ("Ich bedauere ihre Frau, wenn Sie glauben, dass sechs Minuten zu lang sind!", höhnt Freddie.), auch ihre Qualitäten. Sehenswert ist der Film zudem als sich im Lauf der Jahre verändernde Kleider- und Hairstyle-Show, bei der nur Brian May an seinen langen Zotteln festhält. Und ob die Hits nun tatsächlich so entstanden sind wie hier im Kino – im Studio blitzt eine musikalische Idee auf und wechselt während des Anspielens sofort in den Konzert-Erfolg –, nun ja, wer will schon tagelangem Proben zusehen.

Am Ende, als Freddie Mercury bei seinen ehemaligen Band-Mitstreitern Abbitte leistet, ihnen von seiner Aids-Erkrankung erzählt und sie dazu bringt, wieder als Queen beim Live-Aid-Konzert aufzutreten, wird "Bohemian Rhapsody" vom Biopic zum Konzertfilm, der sehr aufwendig – inklusive des schon lange abgerissenen alten Stadions – , den denkwürdigen Auftritt von 1985 rekonstruiert. Dass es dabei nicht um Hilfe für Äthiopien, sondern um Freddie Mercury geht, ist für den Film selbstverständlich, das wird von ihm gar nicht erst diskutiert.

Also endlich Vorhang auf für Rami Malek als Freddie Mercury, der sich auf der Bühne am eigenen Pathos berauscht und sich hineinschwitzt in die Ekstase. Nach diesem Konzert, in dem der Song "We are the Champions" endgültig zur Stadionhymne wird, kann für diesen Film nichts mehr kommen, nach diesem Konzert ist für den Film Schluss. Im richtigen Leben ging es für Freddie Mercury weiter, er hat mit Queen zusammengearbeitet bis zu seinem Tod im Jahr 1991.

 

Info:

"Bohemian Rhapsody" von Bryan Singer läuft ab Mittwoch, 31. Oktober, in den deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link https: www.kino-zeit.de _blank external-link-new-window>finden Sie hier.

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1 Kommentar verfügbar

  • Andrea K.
    am 31.10.2018
    Antworten
    Egal welches Drehbuch, egal welches Storyboard - niemand kann es schaffen in einem Kinofilm einer solchen Ausnahmepersönlichkeit "gerecht zu werden". Wahrscheinlich würde allein der Versuch einen Film über ihn ruinieren. Und wer könnte sich anmaßen, alle Facetten überhaupt je zu Gesicht bekommen zu…
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