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"Eine der besten Demokratien"

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Paula Lutum-Lenger, die künftige Leiterin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg, hat Erfahrung mit brisanten Themen. Den Stuttgart-21-Bauzaun zeigte das Museum 2011 als Symbol für "gestörte politische Kommunikation". Drei Jahre später stand der Erste Weltkrieg im Mittelpunkt. In der neuen Sonderausstellung geht es um den Anfang der Demokratie.

Frau Lutum-Lenger, sind Sie ein misstrauischer Mensch?

Nein, ich habe großes Vertrauen.

In wen vor allem? 

In unsere Institutionen und unsere Zivilgesellschaft.

Womit wir mitten in der Großen Landesausstellung wären, "Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie im Südwesten 1918-1924". Sind Sie erschrocken darüber, dass so viel Aktualität in der Thematik steckt?

Ja und nein. Wenn das von uns für dringlich gehaltene Gegenwartsproblem heute noch aktueller ist als zu Beginn unserer Ausstellungsplanung, dann ist das politisch unerfreulich. Es verleiht unserer Ausstellung aber auch zusätzliches Gewicht. Das vergangene Wochenende zeigt einerseits, wie mangelndes Vertrauen sich auf Wahlen auswirkt, und andererseits, wie groß das Potenzial einer auf sich selber vertrauenden Zivilgesellschaft ist. In Berlin sind eine Viertelmillion Menschen auf die Straße gegangen für eine bessere Welt, um sich gegen Hass zu positionieren: "Hass ist keine Meinung" ist doch ein wunderbarer Satz.

Mit Blick auf die junge Weimarer Republik drängt sich der Gedanke auf, was wäre, wenn wir heute nicht in wirtschaftlich derart prosperierenden Verhältnissen lebten?

Vergleiche dieser Art sind immer schwierig. Wir wollen Ausstellungen verstehen in ihrer Zeit. Wir haben heute trotz Protestwählern und der Erosion der Volksparteien lange nicht diesen massiven Vertrauensverlust wie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Und auch nicht die Hyperinflation von damals. Es lohnt den Blick auf Errungenschaften, auf das Frauenwahlrecht zum Beispiel oder darauf, dass eben nicht hinter jeder Ecke die Stasi oder die Gestapo lauert und was es bedeutet, dass wir uns frei äußern und versammeln können. Wir haben eine der besten Demokratien, die es gibt.

Testbild Kartoffeln

Paula Lutum-Lenger, Jahrgang 1957, ist promovierte Volkskundlerin und Honorarprofessorin an der Uni Tübinger. Seit 1989 ist sie Ausstellungs- und Sammlungsleiterin und stellvertretende Direktorin des Hauses der Geschichte Baden-Württemberg und wird im kommenden Jahr dessen Leitung übernehmen. Sie ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für das Museum der Bayerischen Geschichte in München, für das Museum von Christen und Juden in Laupheim und das Theodor Heuss Haus in Stuttgart. (ana)

Ist sie krisenfest?

Auf jeden Fall hat sie schon sehr ernste Krisen überstanden. Etwa wenn ich an unsere Ausstellung "Terror im Südwesten" über die Rote Armee Fraktion vor vier Jahren denke. Der Deutsche Herbst von 1977 war eine sehr große Herausforderung, in der sich der Rechtsstaat bewährt hat. 

Sie haben bei der Eröffnung der Ausstellung die Leitfrage gestellt: Was schafft Vertrauen? Wie lautete Ihre Antwort?

Teilhabe und Sicherheit, Glaubwürdigkeit, Vielfalt, Zugehörigkeit und Zusammenarbeit. Das sind auch die Themen unserer sechs Foren, die alle gleich aufgebaut sind. Von außen, um Vitrinenkarrees herum, können historische Objekte betrachtet werden. Im Inneren werden die Probleme der ersten Demokratie behandelt und die Versuche, sie zu überwinden. Und schnell wird klar, dass die uns auch heute noch angehen. An interaktiven Stationen werden die Begriffe sehr konkret. Jeder kann sich selber fragen, wieviel Freiheit wir als Gesellschaft herzugeben bereit sind für mehr Sicherheit. Oder ob ich ganz persönlich zu Opfern bereit bin für diese größere Sicherheit. Und dann passiert Interaktion durch Interaktion: Es ist sehr schön, wenn Menschen miteinander ins Gespräch kommen. Einzelbesucher sind Individuen, aber sie wollen sich anderen Individuen mitteilen und ihre Meinung kundtun. So entsteht Zugehörigkeit und Zusammenhalt.

Was also können und müssen wir für heute konkret lernen aus dem Umsturz 1918 im Südwesten?

Dass nach einem so tiefgreifenden Vertrauensverlust wie nach dem Ersten Weltkrieg mit dieser enormen Friedenssehnsucht, eine hochgradige Mobilisierung der Menschen für eine neue politische Ordnung zu erreichen ist. Beim Betreten der Ausstellung werden wir mit diesem Verlust konfrontiert, mit den letzten Panzerschlachten, mit den vielen gefangenen deutschen Soldaten. Und dann, dank lebensgroßer Schwarz-weiß-Fotos von Menschen aus Württemberg und Hohenzollern und Baden, dass es Individuen sind, aus denen sich ein Volk zusammensetzt, dass es auf jeden einzelnen ankommt. Es kommt zu dieser hochgradige Mobilisierung und der aus heutiger Sicht traumhaft hohen Wahlbeteiligung von deutlich über 80 Prozent. Gegen solche Aspekte sperrt sich die gängige Interpretation der Weimarer Republik zu oft, weil immer gleich ihr Scheitern von 1933 ins Zentrum rückt.

Das in die Katastrophe führte.

Sicher, trotzdem aber werden die Anfänge bis heute viel zu wenig und nicht angemessen beachtet. Wir sind nicht die ersten, die darauf hinweisen. Aber wir wollen Weimar ganz konsequent von vorne anschauen, nicht von hinten, vom Ende. Wir können zeigen, wieviel entstanden ist. Das reicht von neuen Schulformen über die Resozialisierung im Strafvollzug und den Wohnungsbau – sehr aktuell – bis zum Wahlrecht für Frauen und – auch das gab es bis dahin nicht – für Soldaten. Vieles in dieser Zeit war sehr modern, ist aber über die NS-Zeit und die sehr reaktionäre Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten. Anton Geiß, der erste badische Staatspräsident, ist von Landkreis zu Landkreis gereist, hat geworben, sich überall den Fragen und der Debatte gestellt. Das schafft Glaubwürdigkeit. 

Und es klingt wie ein Rezept für seine Partei: Geiß war Sozialdemokrat. 

Das zeigt doch, wie Geschichte eine Art ist, sich mit Gegenwartsfragen zu beschäftigen. Wir sind politisch, anders wäre es gar nicht möglich, eine solche Ausstellung zu konzipieren. Aber politisch heißt nicht parteipolitisch.

Kommt diese Haltung durch die neue Rechtsaußen-Opposition ins Rutschen? Martin Roth, der verstorbene frühere Direktor des Victoria and Albert Museum in London, hat nach dem "Brexit" und angesichts der erstarkenden AfD an Künstler und Künstlerinnen, vor allem aber an Museummacher appelliert, den Elfenbeinturm zu verlassen und für die Demokratie zu streiten. Wie kann dieser Kampf aussehen? 

Für unser Haus beanspruche ich, dass wir uns nie in einen Elfenbeinturm zurückgezogen haben. Eine rein akademische Herangehensweise war uns immer fremd. Anderseits kann der politische Auftrag eines Museums nicht in der Agitation für oder gegen eine konkrete politische Entscheidung, für oder gegen eine einzelne Partei bestehen, sondern allein in der Stärkung des verfassungsmäßigen Fundaments unserer demokratischen Grundordnung. Und dafür müssen wir alle Spielräume nutzen, auch um aufzuklären darüber, was Ausgrenzung anrichtet und vor allem das Wählen aus Protest. Da lassen sich mit dem Blick auf Weimar kluge Lehren gewinnen, weil dort die Folgen von bloßen Protestwahlen offen zutage treten.

Das unterstellt, dass ProtestwählerInnen zu erreichen sind?

Es gibt keinen Grund, es nicht zu versuchen. Auch wenn ein Teil dieser Protestwähler und Protestwählerinnen womöglich ein derart geschlossenes Weltbild hat, dass es sehr optimistisch wäre zu glauben, eine historische Ausstellung könne dies aufbrechen, Nutzen und Bedeutung demokratischer Teilhabe vermitteln und Wahlergebnisse beeinflussen.

Sie sind designierte neue Chefin im Haus der Geschichte. Was hat sich verändert in den vergangenen Jahren angesichts der zunehmenden Feindseligkeit, der sich die real existierende Demokratie ausgesetzt sieht? 

Nach meiner Wahrnehmung richtet sich diese Feindseligkeit gegen Personengruppen wie Menschen ausländischer Herkunft oder selbst gemäßigte politische Gegner linker oder rechter Couleur. Das schadet der Demokratie. Deshalb haben wir nicht erst in der jetzigen Ausstellung immer auf die verheerenden Folgen hingewiesen, die die Verschiebung von Sagbarkeitsgrenzen und die Verrohung des Umgangs mit anderen haben können.

Sind Sie ein optimistischer Mensch?

Sicher. Wir haben stabile Verhältnisse und eine Zivilgesellschaft, die in der Lage ist, sehr viel zu leisten. Nehmen Sie die große Solidarität in der Flüchtlingsfrage, wo so viele Menschen eine so große Bereitschaft hatten, mitzuhelfen und sich einzubringen. Selbst mit kleinsten Beiträgen im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Oder nehmen Sie ein ganz anderes Beispiel, nämlich Stuttgart 21. Der Bauzaun steht bei uns im Fundus. Da hat eine Stadtgesellschaft gezeigt, wie man mit sich diametral widersprechenden Positionen umgehen kann.

Und wie ist es um ihren Optimismus bestellt, wenn es um die Zukunft von Museen geht in der digitalisierten Welt?

Museen werden immer wichtiger – gerade so ein Museum wie das Haus der Geschichte: Wie hätte ich in einer anderen Zeit gelebt, wie hätte ich mich verhalten? Unsere Ausstellungen sollen Menschen in die Lage versetzen, sich Fragen wie diese zu stellen und darüber miteinander ins Gespräch zu kommen. Dabei sind die Möglichkeiten der digitalen Welt eine große Chance. Wir personalisieren und individualisieren, wir bringen Zeugen der Vergangenheit dazu, zu erzählen. Da haben wir unsere Stärke und daran wird sich auch nichts ändern – ob analog oder digital.

Die Ausstellung <link https: www.hdgbw.de ausstellungen _blank external-link>"Vertrauensfragen. Der Anfang der Demokratie im Südwesten 1918-1924" ist bis zum 11. August 2019 im Haus der Geschichte Baden-Württemberg zu sehen.


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7 Kommentare verfügbar

  • Lina Peters
    am 19.10.2018
    Antworten
    Ich hatte mir ja gewünscht "wir“ wären souverän mit dem Bauzaun umgegangen und hätten ihn am Abend der HdG Pressekonferenz am Bauzaun, mit der offiziellen Kaperung des Zauns, direkt abends eine Kulturveranstaltung: satanistisches Exponate verbrennen für den Widerstand oder sowas ähnliches…
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