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So braune Augen

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In seinem Film "Grenzenlos" erzählt Wim Wenders von zwei schönen Menschen, die sich in dekorativer Umgebung ineinander verlieben, aber dann getrennt zur Rettung der Welt aufbrechen. Ein klischeehaftes, museal anmutendes Spiel mit den Ängsten westlicher Mittelschichten.

Das Wasser, das Meer, das große Raunen und Staunen – die ersten Bilder in Wim Wenders' Film "Grenzenlos" wollen den Ozean sofort aufladen mit Magie: gravitätisches Gleiten der Kamera, sinfonisch schwebende Musik, und schließlich eine schöne Frau im Taucheranzug. Es ist die Meeresforscherin Danielle Flinders (Alicia Vikander), genannt Danny, die dem Ursprung des Lebens auf der Spur ist. Bald wird sie mit einem kleinen gelben Unterseeboot in dunkle Tiefen tauchen, um die Welt zu retten. Derweil trifft sich an einem anderen Ort – nämlich in einer deutschen Gemäldegalerie – der britische Geheimagent James More (James McAvoy) zu einer konspirativen Sitzung. Auch er will die Menschheit erlösen, und zwar von islamistischen Selbstmordattentätern. Getarnt als Wasserbauingenieur hat er vor, eine al-Qaida-Gruppe in Somalia zu zerstören.

Vor beider Weltmissionen ist aber noch Zeit für eine Lovestory! Danny und James begegnen sich in einem Luxushotel in der Normandie, einer Art Ausstellungsort der Edelhölzer, Wandteppiche und Lederfauteuils. Er läuft am Strand an ihr vorbei. Sie sagt, sie liebe den Geruch von Schweiß. Im Zimmer lodern schon die Flammen im Kamin (wer hat den eigentlich angeheizt?), sodass nun flackerndes Licht die nackte Haut von Danny und James in dekoratives Orange taucht, und überhaupt folgt nun eine So-schön-ist-die-Liebe-auf-dem-Teppich-vor-offenem-Feuer-Sequenz, wie sie in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung kaum besser zu finden ist. Ach ja, auch eine dieser Szenen, in der sich extreme Verliebtheit dadurch ausdrückt, dass der Mann beim Spaziergang plötzlich die angezogene Frau packt und ins Wasser wirft und beide danach sehr nass und superglücklich lachen, die darf in so einem Film natürlich nicht fehlen. Das gehört zu unserem Kulturgut.

Überhaupt ist hier alles vollgestopft mit einer Kultiviertheit, dass es nur so kracht. Da muss unbedingt noch ein Zitat des Dichters John Donne rein ("Niemand ist eine Insel"), und im schon erwähnten Museum hockt James nicht nur vor einem Caspar-David-Friedrich-Gemälde, nein, es posiert im Raum auch noch ein echter Statist als "Wanderer über dem Nebelmeer"! Wer den Bildungsbürger-Happen erkennt, der wundert sich ein bisschen. Wer ihn nicht erkennt, der ist eh im falschen Film. Doch zurück zu unserem Paar, zu den mit anerkannten Marken eingekleideten Danny und James, die manchmal ins Bild gerückt werden wie Prominente in den glamourösen Modestrecken des SZ- oder "Zeit-Magazins". Trotzdem bleiben sich beide ihrer Verantwortung für die Welt immer bewusst. Sie blicken sich ernst und aus sehr braunen (Danny) und sehr blauen Augen (James) an und sprechen, während die anderen Gäste schweigend-schemenhafte Staffage bleiben, über schwere Themen. "Hast du oft über deinen Tod nachgedacht?", fragt sie. "Habe ich, und tue ich!", antwortet er. Und nun wieder sie: "Ich habe nachgedacht über Körper, die im Meer bestattet werden. Das hat nichts zu tun mit Staub zu Staub, soviel ist sicher. Es ist Wasser zu Wasser." Tja, da merkt man halt gleich, dass sie eine ganz tolle Wissenschaftlerin ist.


Nun jedoch wird es tragisch, weil nach dem Austausch von Liebesgeständnissen James nach Somalia muss und dort sofort von Terroristen in ein dunkles Loch gesteckt und geschlagen wird. Und weil Danny auf ihrem Forschungsschiff davon gar nichts weiß und auf eine Nachricht von James wartet und Alicia-Vikander-Fans nun viele Szenen anschmachten können, in denen der Star auf sensible Art sinnierend ins Leere starrt. In Somalia jedoch geht es inzwischen zu wie in der ersten Staffel der TV-Serie "Homeland", oder jedenfalls so, als hätte der Regisseur deren verworfene Szenen zusammengekauft und auf Wim-Wenders-Weise verarbeitet. Da schmeißt der finstere Oberschurke unvermittelt und im Vorbeigehen und auch so, als wäre Wenders diese Idee gerade erst im Vorbeifilmen gekommen, eine Handgranate in eine Wohnung, weil dort nämlich ein unerlaubtes Fernsehprogramm läuft.

J.M. Ledgard, Autor der Romanvorlage, hat in einem Interview gesagt: "Wenn die fiktionale Literatur reduziert wird auf Mittelschichtsfamilien, die sich nur mit den Ängsten der Mittelschicht beschäftigen, dann ist sie als Kraft, die sich mit der Welt auseinandersetzt, tatsächlich erledigt." Nun, Wim Wenders glaubt wohl tatsächlich, dass er nicht nur von der Angst der westlichen Mittelschicht erzählt, sondern Profundes aussagt über Probleme von quasi kosmischer Dimension. Genauso wie manche Besucher von exklusiven Charity-Dinnern eben auch ernsthaft daran glauben, ihre Großschlemmereien hätten einen heilenden Einfluss auf das Schicksal der Welt.

 

Info:

Wim Wenders' "Grenzenlos" kommt am Donnerstag, 2. August in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link https: www.kino-zeit.de external-link-new-window>finden Sie hier.


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