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Alles zurück auf Anfang

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Die Überbringung einer bösen Nachricht und ein Zwischenfall an einem Check-Point: In seiner brillanten Tragödie "Foxtrot" erzählt Samuel Maoz von einem traumatisierten Israel, in dem der Ausnahmezustand als Alltag erfahren wird.

Es klingelt an einer Tür in Tel Aviv, Dafne (Sarah Adler) öffnet, sieht, wer da geklingelt hat, erkennt, was das bedeutet, ihre Beine geben nach, sie bricht zusammen. Aber sie wird aufgefangen, die Soldaten der israelischen Armee, welche die Nachricht vom Tod ihres 19-jährigen Sohnes Jonathan (Yonatan Shiray) nun dessen Vater Michael (Lior Ashkenazy) mitteilen, haben in solchen Dingen Routine. Dafne wird umstandslos per Beruhigungsmittel "stillgelegt", der verstummte Michael verbal versorgt ("Atmen Sie tief!") und immer wieder ermahnt, das Wassertrinken nicht zu vergessen. Auch der Militärrabbiner erweist sich als Trauerprofi, seine Anmerkungen zur Beerdigung haben nichts Individuelles, sie hören sich an wie aus einem Überspielen-Sie-den-Schock-durch-Geschäftigkeit-Lehrbuch. Die Worte aber gehen vorbei an dem versteinerten Michael, der unfähig ist zur Kommunikation, der auch keine Berührung erträgt, der sogar seinen sich anschmiegenden Hund tritt, und der sich nun ins Badezimmer einschließt und absichtlich die Hände verbrüht.

Der Regisseur und Drehbuchautor Samuel Maoz inszeniert diese Abweisung von äußerer Hilfe und Nichtbewältigung von Trauer als intensives Kammerspiel. Wenn Michael durch seine Wohnung geht, in der Bücher auf seine Arbeit als Architekt hinweisen, Bauhaus-Möbel herumstehen und abstrakte Kunst an den Wänden hängt, dann füllen sich die Räume mit Verzweiflung, so als bestünde diese aus greifbarer Materie. Die Kamera lenkt den Blick auf sprechende Details, zeigt oft Michaels Gesicht in Großaufnahme – wässrige Augen in einer nur scheinbar stoischen Miene –, und geht wieder auf Distanz. Sie schaut dann von oben auf diesen in sich verkapselten Mann, so dass das Wohnzimmer wie eine Gefängniszelle wirkt und die zu Op-Art-Kippfiguren angeordneten Fliesen wie der visuelle Ausdruck dafür, dass Michael keinen festen Boden mehr unter den Füßen hat.

Schon in seinem preisgekrönten Debüt "Lebanon" (2009), gefilmt aus der extrem verengten Perspektive eines Panzerkanoniers, hat Samuel Maoz demonstriert, wie beeindruckend er in Bildern erzählen kann. "Eine Idee entzündet sich bei mir immer am visuellen Aspekt, an einem Bild im Kopf", erklärt der Regisseur. "Dieser Auslöser dient dann der Geschichte. Ich mache kein naturalistisches Kino, sondern versuche mich im Bereich des Experimentellen, mein Kino reflektiert die Seele meiner Figuren." Dies wird noch deutlicher im zweiten Kapitel seines Dramas, das an einem einsamen Grenzposten im Norden Israels spielt. Wüstenähnlich leeres Land, ein maroder Wasserturm, ein verblichener Sonnenschirm, ein dreckiger alter Kleinbus mit einer verblassten Blonde-Frau-genießt-ein-Eis-Reklame. Und vier junge Soldaten, die sich die Zeit vertreiben. Manchmal trabt ein Kamel heran, dann öffnen sie die Schranke und lassen es durch. Manchmal taucht ein Auto auf, dann kontrollieren sie nach Lust und Laune und meistens ziemlich streng.

In diesem Israel, in dem sich auf wenig Raum geballte Historie und konfliktreiche Gegenwart überlagern und aneinander reiben, weist sowieso jedes Kino-Bild über sich hinaus und wird metaphorisch. Und an einem Checkpoint, so wie Maoz ihn zeigt, wird eine Geschichte sogar ins Surreale geschoben, ja, es sieht eine Zeitlang so aus, als könnte aus diesem Szenario jeden Moment eine absurde Komödie herausbrechen. Oder ein Musical, so wie in jener Sequenz, in dem aus einem Lautsprecherturm Musik scheppert und einer der jungen Männer einen fulminanten Tanz auf der Grenze aufführt - mit dem zweckentfremdeten Gewehr als Partnerin. Das Kantige, das Gerade, das Militärische also löst sich für einen Moment auf. Alles bloß ein Spiel?

Aber nun muss in diesen Text, lange hinausgezögert, ein Satz hinein, den man als "Spoiler" bezeichnen könnte. Einer der vier Soldaten ist nämlich Jonathan, der Sohn von Dafne und Michael. Und nein, diese irritierenden Grenzszenen sind keine Rückblenden. Die Nachricht vom Tod des Sohnes war, wie am Ende des ersten Kapitels zu erfahren, ein Irrtum. Eine Namensverwechslung. Der aus seiner Starre erwachte Michael verlangt jetzt von der Armee, dass sein Sohn sofort heimgeholt wird. Was wir an diesem Checkpoint sehen, ist also Gegenwart, und in dieser hören die gelangweilten Soldaten Radio, daddeln am Computer, stoppen die Zeit, die eine Dose in ihrem schief im Schlamm versinkenden Wohncontainer braucht, um selbständig von einer Ecke in die andere zu rollen. Oder sie halten bei strömendem Regen ein palästinensisches Paar mittleren Alters an, das sich auf dem Weg zu einem Fest befindet, und lassen die Frau aussteigen.

Quälend lange muss sie ausharren, ihr Abendkleid klatscht am Körper, ihre Frisur sackt in sich zusammen, die Tränen laufen ihr übers Gesicht. Nein, Maoz inszeniert diese Sequenz nicht aus der Sicht von Jonathan und seinen Kumpeln, die in jugendlicher Ignoranz eine Macht ausüben, die ihnen nicht zusteht und mit der sie nicht umgehen können, er inszeniert voller Empathie für die gedemütigte Frau. In Israel wurde Maoz, der in seinem Film "Lebanon" auf eigene Erfahrungen als Soldat im Krieg von 1982 zurückblickt, der Vorwurf gemacht, die Armee anzugreifen. Er hat darauf geantwortet: "Wenn ich meine Heimat kritisiere, dann weil ich mich sorge, weil ich sie beschützen will und letztendlich, weil ich sie liebe". Zurück zum Grenzposten: Da wird nun ein anderes Auto angehalten, vier junge Leute sitzen drin, sind aufgedreht und ein bisschen trotzig. Die Situation ist angespannt. Alles Komische hat sich verflüchtigt.

"Foxtrot" ist eine Tragödie. Und wenn hier ein Mann durch eigenes Handeln, aber ohne es zu wollen, eine Katastrophe auslöst, die den Zufall in Schicksal überführt, dann rekurriert der Regisseur auch auf die Tragödie im engeren, also im griechischen Sinn. Wir sind inzwischen schon im dritten und letzten Teil von "Foxtrot", in dem Michael seiner Frau Dafne die Schritte des titelgebenden Tanzes vorführt und demonstriert, wie man nach der Bewegung wieder genau da steht, wo man begonnen hat. Er hat seine eigenen Kriegserfahrungen, wie Samuel Maoz hat er im Libanon gekämpft, aber seine seelischen Verwüstungen, die in Skizzen seines Sohnes Jonathan mal in Comicform und als schwarzes Gesichtspflaster visualisiert werden, hat Michael immer verborgen. Noch einmal der Regisseur: "Er gehört zu dieser Generation, denen man eintrichterte, sich über nichts zu beklagen, weil ihre Eltern die Hölle des Holocausts überlebt haben. Dabei sprachen die Eltern nie über die Vergangenheit, es herrschte Schweigen. Aber jeder wusste, dass im Vergleich mit dem Grauen des Holocaust jegliche eigene Pein verblasste."

Samuel Maoz spürt hier den Verdrängungen und dem Trauma eines ganzen Landes nach, in dem das Militär als alles durchsetzende Kraft wirkt, in dem auch fast jeder führende Politiker früher Offizier war, und in dem der Ausnahmezustand so allgemein ist, dass er als Alltag erscheint. Der Autor David Grossman hat diesen Zustand in seinen Romanen "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" (2009) und "Kommt ein Pferd in eine Bar" (2014) aus der Verdrängung hervorgeholt. Auch der Regisseur Ari Folman hat sich in seinem Animationsfilm "Waltz with Bashir" (2008) dem Zuschütten der Erinnerung verweigert, hat alte Wunden aufgerissen und böse Kriegserfahrungen geschildert. Ob all diese Werke, die für deren Schöpfer wohl auch eine Art Therapie sind, etwas über die autobiografische Ebene hinaus bewirken können? Oder ob alles in Israel immer wieder in die Ausgangsposition für einen weiteren fatalen Durchgang zurückführt? Wenn man "Foxtrot" gesehen hat, bleibt unter vielen Bildern auch dieses im Kopf: ein Bagger der Armee, der ein Auto mit vier toten Insassen im Niemandsland verscharrt.

 

Info:

Samuel Maoz' "Foxtrot" kommt am Donnerstag, den 12. Juli in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, finden Sie hier.


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