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Heimlich schwul

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In der romantischen Komödie "Love, Simon" gibt sich US-Amerika großzügig und hat eigentlich keine Probleme, jedenfalls nicht mit Hautfarben, Klassen oder Religionen. Trotzdem zögert der junge Titelheld sein Coming-out hinaus.

Simon ist siebzehn, er wohnt mit seinen liberalen Eltern und seiner kleinen Schwester in einem großen amerikanischen Suburb-Haus, dessen Rasen an eine baumbestandene Wohnstraße grenzt. Am Morgen setzt Simon (Nick Robinson) sich ins Auto und sammelt auf dem Weg zur High School die belesene Leah (Katharine Langford), die kunstaffine Abby (Alexandra Shipp) und den sportlichen Nick (Jorge Lendeborg jr.) auf, eine muntere Clique, in der unterschiedliche Hautfarben keine Rolle spielen. Simon ist ein guter Schüler, er ist zudem beliebt, er versteht es sogar, mit dem übereifrigen und leicht clownesken Direktor klarzukommen. So viel Optimismus, so viele problemfreie Zonen! Und alle sind sie vom Regisseur Greg Berlanti ("Der Club der gebrochenen Herzen", 2000) mit leichter Hand und freundlicher Ironie in Szene gesetzt. Es fehlt in dieser romantischen Komödie jetzt nur noch, was das US-Filmplakat so ankündigt: "Jeder verdient eine große Liebesgeschichte."

Diese Liebesgeschichte eines Teenagers aber überschreitet, jedenfalls im Mainstreambereich des Kinos, eine Grenze. Simon stößt im Internet nämlich auf die Bekenntnisse eines unter dem Namen "Blue" bloggenden Mitschülers: "Niemand weiß, dass ich schwul bin!" Er fühlt sich sofort angesprochen und verstanden, es geht ihm ja genauso, schon mit dreizehn hat er gewusst, dass er sich nicht an die heterosexuelle Norm anpassen kann. Aber warum hat er das verheimlicht, warum hat er sein Erwachsenwerden, also sein Coming-of-Age, nicht verbunden mit seinem Coming-out, wo seine Eltern, seine Freunde und seine Lehrer doch so aufgeschlossen sind? Der sensible und ein bisschen schüchterne Simon weiß es wohl selbst nicht genau, aber er spürt, etwa durch unbedachte Sätze seines ansonsten sehr patenten Vaters (Josh Duhamel), dass Schwulen-Abwertung eine lange Tradition hat.

In einer sehr komischen Montage-Sequenz stellt sich der auch als Erzähler fungierende Simon mal vor, wie sich – bittend, heulend, zähneknirschend – heterosexuelle Teenager ihren Eltern offenbaren. Gerade weil diese Geständnisse so grotesk wirken, zeigen sie, dass von einer Gleichbehandlung der sexuellen Präferenz noch keine Rede sein kann. Trotzdem: Großen Repressionen wäre ein schwuler Teenager in so einem Umfeld nicht mehr ausgesetzt, Simons Nöte erscheinen deshalb eher als individuelles und psychologisches denn als gesellschaftliches Problem. Der nachdenklich-melancholische junge Mann tauscht sich nun aus mit "Blue", verliebt sich in ihn und vermutet mal in diesem, mal in jenem Mitschüler den anonym bleibenden Schreiber.

Der E-Mail-Wechsel wird bald entdeckt vom aufdringlichen Schwätzer Martin (Logan Miller), der Simon nun erpresst und von ihm verlangt, in dessen Clique aufgenommen und mit Abby verkuppelt zu werden. Liebe, Intrige, Irrungen und Verwirrungen – und alles würde sich sofort auflösen, spräche Simon nur das Zauberwort. So aber wird dieser Film quasi zu einem einzigen retardierenden Moment, der mit netten High-School-Genre-Versatzstücken gefüllt wird. Mit Proben zum Musical "Cabaret" zum Beispiel, mit einer geträumten Choreografie zu Whitney Hustons Song "I wanna dance with somebody", mit Karaoke-Versuchen, mit einer Die-Eltern-sind-weg-Halloween-Party samt Swimming-Pool-Einlage, und mit öffentlichen Geständnissen – allerdings noch nicht von Simon – bei einem Football-Match und in einem Diner. Letztere verunglücken freilich und zitieren und unterlaufen dabei gleichzeitig jene Kinoszenen, in denen die Protagonisten ihre Gefühle vor Publikum aufführen und mit Applaus bedacht werden.

Das erste Mal endlich erledigt

Überhaupt bewegt sich "Love, Simon", dessen spritzig-schnelle Dialoge manchmal an jene aus der TV-Serie "Gilmore Girls" erinnern, gern im Reich der Populärkultur und schmeißt mit entsprechenden Referenzen um sich. Man könnte auch sagen: Dieser durchaus sympathische Film bleibt sowieso im Reich der optimistischen Kino- und TV-Fiktionen, in denen die USA nicht gezeigt werden, wie sie wirklich sind, sondern wie sie sein sollten und gerne wären. Das aber geht hier nur, indem Themen wie Hautfarbe, Klasse oder Religion komplett ausgeblendet respektive als befriedet geschildert werden, indem die Probleme also auf ein einziges zusammenschrumpfen und sogar dieses als kaum mehr vorhanden geschildert wird.

So herzig und vital dieser Film seine Love Story manchmal auch präsentiert, so ignorant und selbstzufrieden gibt er sich auch. Am Ende hat "Love, Simon" viele offene Türen eingerannt und kostet nun auch noch eine jener vorher ironisierten Öffentliches-Liebegeständnis-Sequenzen aus, bis sie in peinlichen Kitsch abrutscht. Okay, das ist vielleicht der Preis, den man für die erste romantische Mainstream-Teenie-Komödie mit schwulem Helden zahlen muss. Aber jetzt, nachdem dieses erste Mal endlich erledigt ist, könnte man sich aus dem selbst gewählten Wunscherfüllungs-Refugium doch wieder heraustrauen und nachsehen, wie es in Trumps Amerika tatsächlich zugeht.

 

Info:

Greg Berlantis "Love, Simon" kommt am Donnerstag, den 28. Juni in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link https: www.kino-zeit.de external-link-new-window>finden Sie hier.


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