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Ihre brillante Freundin

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In seinem Psychothriller "Nach einer wahren Geschichte" erzählt Roman Polanski von der Schriftstellerin Delphine, die unter einer Schreibblockade leidet. Ein weiblicher Fan bietet Hilfe an und drängt sich in ihr Leben. Unser Filmkritiker rät vom Kinobesuch ab.

Der autobiografische Roman der Pariser Schriftstellerin Delphine (Emmanuelle Seigner) war ein Riesenerfolg, aber nun ist sie ausgelaugt und erschöpft. Sie muss sich zusammenreißen, um ihre Fans bei der Signierstunde zufriedenzustellen, und sie will zunächst auch keinen Kontakt mit Elle (Eva Green), die sich als ihre "größte Bewunderin" vorstellt und Delphine erklärt: "Ich habe das Gefühl, dass Sie für mich schreiben!" Als sich die Autorin aber an ein Nachfolgewerk macht, hat sie Angst vor dem leeren Blatt respektive dem leeren Bildschirm. Unschlüssig verharren ihre Finger über der Tastatur, nichts bewegt sich, nichts geht mehr. Und so ist sie bereit für Elle, die ihr Hilfe verspricht. Ja, ihr müdes Gesicht leuchtet geradezu auf, als sich die jüngere und sehr selbstbewusste Frau daran macht, Delphines Leben in die Hand zu nehmen.

Ihre brillante Freundin aber begnügt sich bald nicht mehr mit der Rolle der Helferin: Sie fordert die von anonymen Mails ("Sie haben ihre Mutter verschachert!") gepiesackte Autorin auf, erneut und noch offener autobiografisch zu schreiben. Sie nistet sich auch in der Wohnung von Delphine ein, adaptiert deren Kleidungsstil, übernimmt deren Passwörter und schließlich sogar deren Auftritt bei einer Lesung. Delphine wird nun immer schwächer und schleicht herum wie sediert, Elle dagegen wirkt jederzeit hyperwach und wird immer dominanter. Was wird da gespielt? Ist dies eine Geschichte wie in Rob Reiners "Misery" (1990), in der ein verunglückter Autor von einem tyrannischen weiblichen Fan zuerst gepflegt und dann malträtiert wird? Bahnt sich hier ein Identitätsraub an wie in Barbet Schroeders Thriller "Weiblich, ledig, jung, sucht …", bei dem eine Frau die andere aus ihrem Leben drängt?

Die beiden Bezugsgrößen hat Roman Polanski, der Delphine de Vigans Bestseller "Nach einer wahren Geschichte" fürs Kino adaptiert hat, übrigens selbst genannt. Aber man kann natürlich auch im eigenen Werk des Kafka-Kenners und -Verehrers schon jene Motive finden, die auch seinen neuen Film bestimmen. Da ist immer wieder diese Verengung des Blicks, dieser Verdacht, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint, dieser Zweifel auch an der Realität der Figuren, und dazu dieses böse Gefühl des Eingeschlossenseins. In der Klaustrophobie-Studie "Ekel" (1965) zum Beispiel wird eine von Verfolgungsängsten gepeinigte Catherine Deneuve zur Mörderin; in dem Okkult-Thriller "Rosemaries Baby" (1968) erfährt Mia Farrow ihre Wohnung als teuflische Falle; und in dem dunklen Psychostück "Der Mieter" (1976) muss der vom Regisseur selbst gespielte Held zwanghaft das Schicksal seines Vorgängers nachleben respektive nachsterben.

Diese drei frühen Polanski-Filme aber haben ihre Themen stärker, stringenter und spannender durchgespielt als der neue Film. Die Schraube wird hier nicht angezogen, sie will einfach nicht greifen, sie dreht in großer Redundanz immer nur durch. Schon wieder die schreibblockierte Delphine vor ihrem leerem Bildschirm! Schon wieder der Metallschneideblick der intrigant-aggressiven Elle! Und schon wieder der für den Zuschauer geschürte Verdacht, dass diese Elle vielleicht nur als Einbildung existiert, als eine von der psychisch derangierten Delphine ausgelagerte und ebenso herbeigesehnte wie gefürchtete Instanz. Haben sich also die Ängste der Autorin in einer Figur materialisiert, die den sowieso schon ominösen Namen Elle trägt und die für alles verantwortlich gemacht werden kann? Leider hält sich die Neugier darauf, ob und wie diese Fragen beantwortet werden, in Grenzen.

Lieber die alten Polanskis anschauen

Das Geschehen in diesem Psycho-Kammerspiel wird nicht in produktiver Vagheit und Schwebe gehalten, es gibt sich allzu schnell preis und wirkt dabei trotzdem fahrig und ziellos. Der angetippte Konflikt mit Delphines Mutter etwa wird nicht weiter ausgeführt, und auch die Problematik des radikalen autobiografischen Schreibens, wie es etwa Karl Ove Knausgard betreibt, bleibt im Andeutungsstadium stecken. Dass Polanski im Finale wenigstens ein bisschen an Tempo zulegt und auch ein paar atmosphärische Bilder von Nacht und Landhaus liefert, nun, es kommt viel zu spät, es rettet den Film nicht mehr. Diese Kritik rät also ab vom Kinobesuch. Aber nicht, weil Polanskis Filme, wie von manchen gefordert, überhaupt auf den Index gehörten.

An dieser Stelle muss nun, ob man das will oder nicht, jener Vorfall aus dem Jahr 1977 erwähnt werden, der das Leben von Roman Polanski bis heute mitprägt. Er wird damals angeklagt, ein dreizehnjähriges Mädchen vergewaltigt zu haben, hofft auf einen Deal mit dem Gericht, traut diesem aber nicht – und dies mit guten Gründen – und entzieht sich dem Verfahren durch die Flucht nach Europa. Das damalige Opfer hat ihm schon lange verziehen, Polanski selbst bereut seine Tat, beantragt später ein Verfahren in absentia, die US-Justiz aber lehnt ab und verfolgt ihn weiter. 2009 wird er in der Schweiz verhaftet, die Behörden stellen ihn unter Hausarrest, liefern ihn aber nicht aus und lassen ihn ein knappes Jahr später wieder frei. Die Vorwürfe jedoch flammen immer wieder auf, im Zuge der Metoo-Anklagen wird Polanski sogar mit Harvey Weinstein verglichen, die Oscar-Academy wirft ihn raus, der 84-jährige Regisseur, der als Kind das polnische Ghetto überlebt hat, soll, so sind Stimmen zu hören, für immer schuldig sein und in die USA ausgeliefert werden. In ein Land also, in dem inzwischen Donald Trump regiert und dessen Justizsystem mehr Gefangene produziert als jedes andere Land der Welt.

Roman Polanski hat darum gebeten, beim Beurteilen seiner Filme nicht gleichzeitig sein Leben zu beurteilen. "Nach einer wahren Geschichte" ist, wie gesagt, einer seiner schwächeren Filme. Aber seine Meisterwerke – und Polanski hat viele gedreht –, sind über alle Zweifel erhaben. "Chinatown" (1974) zum Beispiel, dieser grandiose Film noir, in dem Jack Nicholson als Detektiv einer Verschwörung um das karge Wasser in Los Angeles auf die Spur kommt. Oder "Der Pianist" (2002), der vom Überleben im Warschauer Ghetto erzählt und für den Polanski den Oscar erhält, den er freilich nicht selbst in Empfang nehmen kann. Oder der sinistre Thriller "Der Ghostwriter" (2010), in dem in verschlüsselter Form der Fall des Kriegspremiers Tony Blair aufgegriffen wird. Und das sind ja noch lange nicht alle Filme, mit denen sich Roman Polanski in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Es gibt also viel zu sehen. Schauen wir's an.


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