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Die Stumme und das Biest

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Das poetische Märchen "Shape of Water" erzählt vom Kalten Krieg der frühen sechziger Jahre. Sally Hawkins spielt eine stumme Putzfrau, die sich in ein gefangenes Schuppenwesen verliebt.

Alles unter Wasser, alles fließt! Die Kamera schwebt zu lyrischer Musik durch die Räume einer Wohnung. Sanft trudeln Lampen, Möbel und Luftbläschen umher. Und ein Erzähler berichtet nun von einer Stadt am Meer, von einer "Prinzessin ohne Stimme" und von einem Monster. So beginnt Guillermo del Toros faszinierender Film "Shape of Water", der in märchenhafter Verkleidung zurücktaucht in vergangene, aber noch nicht überwundene böse Zeiten. Der Kalte Krieg hat in den frühen sechziger Jahren scharfe Fronten aufgebaut, und alles, was sich nicht ganz und gar einer Seite zu- und unterordnen lässt, wird bekämpft als das Andere und Fremde. So wie dieses in Südamerika gefangene reptilienartige Wesen, das in einem US-Forschungslabor erst untersucht und traktiert wird und nun getötet und seziert werden soll.

Die stumme Elisa Esposito (Sally Hawkins) putzt in diesem Labor, das aussieht wie eine Mischung aus zeitgenössischem Technik-Design und mittelalterlicher Folterkammer. Von den Militärs, Agenten und Wissenschaftlern wird die schmale Frau, die ein bisschen schief und sehr herzzerreißend lächeln kann, kaum beachtet. So findet sich Elisa plötzlich allein vor einem wassergefüllten Metallzylinder, klopft neugierig an die Scheibe und nimmt unbefangen Kontakt auf mit dem grünschillernden Schuppenmann. Er sieht mich, wie ich bin, wird sie später, als diese fantastische Romanze sich schon viel weiter entwickelt hat, ihren Freunden zu verstehen geben. Der patenten, schwarzen Kollegin Zelda (Octavia Spencer) zum Beispiel, die gern von ihrem depperten Macho-Mann erzählt. Oder dem Nachbarn Giles (Richard Jenkins), einem älteren Werbe-Illustrator, der seine schwulen Sehnsüchte verbergen muss.

In "Pans Labyrinth" (2006) hat sich der Bilder-Magier Guillermo del Toro mit dem Franco-Faschismus befasst und dessen Grausamkeiten als märchenhaften Monster-Film gespiegelt. "Shape of Water" setzt nun erneut auf diesen Transformationsprozess, in dem Historie durch Verfremdung kenntlich und erfahrbar gemacht wird. Wobei der Regisseur nicht so sehr mit dem neuen Horrorfilm spielt, sondern mit dem klassischen Genre, also mit den Geschichten vom Phantom der Oper, dem Glöckner von Notre-Dame oder der Schönen und dem Biest. Und ganz besonders natürlich mit Jack Arnolds "The Creature from the black Lagoon" (1954), in dem sich der "Schrecken vom Amazonas" (so der deutsche Titel), in eine amerikanische Forscherin verliebt. So einer damals noch völlig unmöglichen Liebe wird in "Shape of Water" – dies ist nämlich ein sehr erwachsenes Märchen – endlich Erfüllung gewährt.

Del Toro erweist seinem Kollegen Arnold unter anderem dadurch seine Reverenz, dass er seinen rundäugigen Kiemenatmer eben nicht als Computergeschöpf hinpixelt, sondern von Doug Jones in großartiger Maske spielen lässt. Überhaupt ist "Shape of Water" eine nostalgiesatte Hommage an alte Kino- und TV-Zeiten: Elisa zum Beispiel wohnt über einem Kinopalast, in den sich freilich nur noch wenige Zuschauer verirren. Und mit ihrem Nachbarn Giles schaut sie sich im kleinen Röhrenfernseher große Filme und Shows an, die schon ins Randprogramm abgerutscht sind. Die alte Populärkultur zeigt sich hier als tröstendes Refugium für jene Außenseiter, die in ihrer eigenen Zeit und deren harschen Zumutungen keinen Platz zum Leben, sondern nur noch einen zum Träumen finden. Einmal wird dieser Film sogar durchlässig, gewährt seiner Heldin Zutritt in diese Parallelwelt und macht sie zum Star einer grandios nachinszenierten Revue.

Natürlich inszeniert sich auch "Shape of Water" selber als poetische Parallelwelt, jedoch als eine, die sich dessen bewusst ist. So sehr dieser Film nämlich schwelgt in den Farben, dem Stil und dem Dekor der frühen Sechziger Jahre, so brutal bricht in seine wunderbaren Bilder immer wieder die Atmosphäre einer Zeit ein, die auf Vernichtung aus ist. Das wahre Monster dieser Geschichte ist der Laborleiter Strickland, den Michael Shannon als vierschrötigen Mann mit fanatisch-finsterem Blick und sadistisch eingesetztem Elektroknüppel spielt. Zu Elisa sagt Strickland, als er sie doch mal mit einem hungrigen Seitenblick wahrnimmt, es interessiere ihn, wie das mit einer Stummen so wäre, er würde sie sicher "zum Quieken" bringen. Wenn dieser Strickland mit seiner Frau schläft, ist das ein freudloses Gehacke in Missionarsstellung.

Und es ist so ganz anders als die fließenden Bewegungen, mit denen sich Elisa und ihr Wassermann im mutwillig überfluteten und nun wie ein Aquarium wirkenden Badezimmer bewegen. Da sind sie beide in ihrem Element, das in "Shape of Water" auch immer als erotisches gefeiert wird. Jawohl, sie hat dem im Labor angeketteten Geschöpf heimlich Essen gebracht, sie hat ihm auf Schallplatte Liebeslieder vorgespielt ("Why do Robins sing in December?"), und sie hat es schließlich mit nach Hause genommen. Nein, nicht einfach so, sondern in einer turbulenten Ausbruchs- und Fluchtsequenz, an der neben Zelda und Giles auch noch der jüdische Wissenschaftler Hoffstetler (Michael Stuhlbarg) beteiligt war. Die schikanierten Minoritäten der USA vereint in einem Coup, der den Humanismus über alle Ideologien stellt! Das ist nicht nur eine fantastische, sondern auch eine utopische Vision. Und wie könnte es weitergehen mit Prinzessin Elisa und ihrem Verehrer? Wird endlich die neue und bessere Zeit anbrechen? The Age of Aquarius? Ach, sehen Sie selbst!

 

Info:

Guillermo del Toros "Shape of Water" kommt am Donnerstag, den 15. Februar in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link https: www.kino-zeit.de external-link-new-window>finden Sie hier.


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1 Kommentar verfügbar

  • Fritz Meyer
    am 18.02.2018
    Antworten
    Schade, dass dem Autoren nicht aufgefallen ist, dass Doug Jones mit Abe Sapien bereits einen (nicht nur optisch) sehr ähnlichen Charakter gespielt hat. Und das übrigens auch für Guillermo del Toro.
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