Die Kunst soll über ihren Kennerkreis hinaus wirken; sie soll hinein ins richtige Leben! Und so bereitet der Stockholmer Kurator Christian (Claes Bang), ein gut aussehender Mann Mitte vierzig, das Projekt "The Square" vor. Er lässt vor seinem X-Royal-Museum das Pflaster aufreißen und per Metallstreifen einen Platz ausweisen, der die Gesellschaft an das erinnern soll, was ihr verloren gegangen ist: "Das Quadrat ist ein Zufluchtsort, an dem Vertrauen und Fürsorge herrschen. Hier haben alle die gleichen Rechte und Pflichten." Und jetzt eilt der schwer beschäftigte Christian über einen anderen Platz, vorbei an einer vergeblich um Aufmerksamkeit bittenden Aktivistin für irgendeine gute Sache ("Wollen Sie ein Menschenleben retten?") und auch beinahe vorbei an einer Frau, die von einem Mann verfolgt wird und um Hilfe ruft: "Der bringt mich um!" Nun zögert Christian doch, bleibt stehen, stellt sich mit einem anderen Passanten schützend vor die Frau. Danach ist er stolz und euphorisch aufgeregt. Bis er beim Weitergehen entdeckt, dass ihm Handy und Brieftasche fehlen.
So ist Christian also selber in ein von anderen geplantes Projekt geraten, in eine virtuos durchgezogene Trickdieb-Aktion. Sein dunkelhäutiger Assistent Michael (Christopher Læssø) aber hat die Idee zu einem Gegenschlag. Er kann an seinem Computer die Bewegungen von Christians Handy orten, allerdings nur bis zu einer großen Mietskaserne, nicht zu einer einzelnen Wohnung. Wie wäre es denn, sagt der sich "streetwise" gebende Michael, wenn alle in diesem Haus einen Drohbrief erhielten, in dem sie zur Rückgabe des Diebesgutes aufgefordert werden? Gesagt, getan. So fahren die beiden in Christians Tesla am Täterhaus vor, und weil der vorher so taffe Michael plötzlich ganz kleinlaut wird, steigt schließlich der Bestohlene selber aus, schleicht ängstlich durch dunkeltrübe Flure und steckt in die Briefkästen ein Schreiben, das ein ganzes Milieu unter Generalverdacht stellt.
Der schwedische Regisseur Ruben Östlund ist ein Meister im Kreieren von Problemen, die nicht nur die Protagonisten seiner Filme, sondern auch deren Zuschauer in ein moralisches Dilemma führen. Wie hätte ich mich verhalten? Hätte auch ich die Aktivistin ignoriert? Hätte ich dann dieser anderen Frau geholfen? Hätte ich mich dann zu einer Reaktion hinreißen lassen, die zunächst clever klingt und dann in Abgründe führt? Solche Selbstbefragungen provoziert Östlund, indem er etwa das Thema "Vertrauen" so zuspitzt, dass eine Entscheidung seiner Helden unumgänglich ist. Gleichzeitig wird dabei deren Überforderung sichtbar, sie sehen sich plötzlich konfrontiert mit einer Art Lose-Lose-Situation. In dem Drama "Höhere Gewalt" (2014) zum Beispiel rauscht eine Lawine ins Ski-Urlaubsleben einer Mittelschichtsfamilie, rauscht eigentlich an ihr vorbei, aber der Vater hat vorher in unkontrollierter Panik Frau und Kinder im Stich gelassen.
Östlund verlagert wissenschaftliche Experimente in die Kunst
In Östlunds umstrittenem Film "Play" (2011) werden schwedische Mittelschichtskinder gemobbt von einer Migrantenkindergang und schaffen es nicht, aus den sich eher in verbaler denn physischer Bedrohung zeigenden Mechanismen auszusteigen. "Nur ein Spiel?", so bringt der deutsche Zusatztitel zu "Play" die Ereignisse auf den Punkt. Es ist eine Frage, die auch in "The Square" immer wieder auftaucht. Östlund verweist im Zusammenhang mit seinem neuen Film auf das "Barmherzige Samariter"-Experiment, dem 1973 an der Universität Princeton Theologiestudenten ausgesetzt waren. Sie wurden nach dem Ausfüllen eines Fragebogens dazu aufgefordert, sich eilig in ein anderes Gebäude zu begeben. Einer von ihnen war ein eingeschleuster Schauspieler, der auf dem Weg stürzte und um Hilfe bat – und sie nur selten bekam. In "The Square" arrangiert Östlund ähnliche Experimente, die er allerdings vom Bereich der Wissenschaft in den der Kunst verlagert. Zum Beispiel in ein von Christian arrangiertes und sehr luxuriöses Sponsoren-Dinner, bei dem den Gästen auch eine Performance serviert wird.
0 Kommentare verfügbar
Schreiben Sie den ersten Kommentar!