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Die totale Transparenz

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In "The Circle" heuert die junge Mae Holland bei einem totalitären Internet-Konzern an. Der preist Überwachung als Weltverbesserung. Zwar spannend, doch die Protagonisten bleiben schematisch, meint unser Filmkritiker.

Der Erlöser ist gekommen. Er steht am so genannten Dream Friday auf der Bühne und verkündet seinen Glauben an die Fähigkeit des Menschen zur Vollkommenheit. Er verspricht seiner mit leuchtenden Augen lauschenden Gemeinde, dass jede Krankheit geheilt werden könne, dass auch der Welthunger bezwungen werde, dass es überhaupt keine Probleme gebe, "die wir nicht lösen können". Aber dafür, so sagt dieser Strahlemann, der ganz leger mit einer Kaffeetasse in der Hand und aufgekrempelten Ärmeln auftritt, brauche es die globale Erfassung und Durchleuchtung, so dass sich "Tyrannen und Terroristen" nicht länger verstecken könnten. "Wissen ist gut, aber alles zu wissen, ist besser!" Und jetzt fehlt in diesem Saal und seinem sektenhaft euphorisierten Publikum eigentlich nur noch die Frage: "Wollt ihr die totale Transparenz?"

Nein, dieser freundlich lächelnde Konzernchef Eamon Bailey (Tom Hanks) stellt die Frage so nicht, sein totalitäres Programm soll sich nicht nach Faschismus anhören, sondern als Weltverbesserungsprojekt daherkommen. "Geheimnisse sind Lügen, die Verbrechen möglich machen", so lautet einer der vielen Circle-Slogans, an dem auch unser Gesichtserkennungs-Innenminister Gefallen finden könnte. Bloß dass Thomas de Maizière mit seinem finster entschlossenen Panikblick einen solchen Spruch, der alles Private als kriminell denunziert, nicht ganz so gut verkaufen könnte, wie Eamon Bailey das bei seinen gut gelaunten und zwischen Businessreport und Menschheits-Prophezeiungen changierenden Präsentationen gelingt. Tom Hanks spielt diesen Konzernchef ganz großartig, er wirkt hier wie eine charmante Mischung aus den Gurus des Start-up- und Elektronikzeitalters Steve Jobs, Mark Zuckerberg und Jeff Bezos.

Apropos Steve Jobs: Das riesige, runde Circle-Campusgebäude im Film, in dem frische junge Menschen so tun, als wäre ihre Arbeit Freizeitbeschäftigung, sieht so aus wie jener fast fertiggestellte und Apple Park genannte Campus (461 Meter Durchmesser!) im Silicon Valley, den der 2011 gestorbene Firmengründer noch selbst mitentworfen hat. In diesen Kreis wird nun, durch Vermittlung ihrer Freundin Annie (Karen Gillan), auch die 24-jährige Mae Holland (Emma Watson) aufgenommen, die vorher im kleinen Koben eines tristen Call-Centers schuften musste. Im Circle scheint nun alles wie Spaß und Spiel, hier werden winzige Kameras als Glasmurmeln hergestellt, hier wird durch Kleidung und Umgangsformen vorgegaukelt, es gäbe nur Kumpel und keine Hierarchien. Dass Mae schon bald von zwei besorgten Mitarbeitern in die Zange genommen wird, weil sie sich nicht voll einbringe und Aktivitäten außerhalb des Circle registriert worden seien, irritiert sie nur kurz. Sie nimmt dann gleich den emp-, tatsächlich eher befohlenen, Energy-Drink zu sich. Sie will und wird es im Circle zu was bringen.

Nur der Blick ins Klo wird verweigert

"Denkst du, du verhältst dich besser oder schlechter, wenn du beobachtet wirst?", so wird die in den inneren Kreis aufsteigende Mae gefragt. Und stellt sich dann begeistert einem Wir-zeigen-alles-von-dir-in-Echtzeit-Projekt zur Verfügung, bei dem den Internet-Zuschauern nur der Blick ins Klo verweigert wird. Mae Watch! Oder auch die Mae-Show, wobei die Heldin, anders als ihr Vorgänger Truman, genau weiß, dass sie ihr komplettes Leben zur Ansicht freigibt. Doch nicht nur das: Auch ihre Eltern werden mit reingezogen, ebenso wie ihr früherer Freund Mercer ("Boyhood"-Darsteller Ellar Coltrane), ein hilfsbereiter Freund des Analogen, der aus Hirschgeweihen sehr scheußliche Kronleuchter bastelt und Mae zu erklären versucht, dass in der Circle-Welt kein authentisches Erleben mehr möglich sei, dass "jetzt alles gefiltert ist durch das da!"

Doch so überzeugend "das da" im Detail auch wirken mag: In einigen wichtigen Punkten schwächelt die Circle-Darstellung leider. Schon dem Bestseller von Dave Eggers wurden ja die höheren literarischen Weihen manchmal verweigert, und diese Kinoadaption von James Ponsoldt ("The End oft the Tour") hat in den USA nun sogar überwiegend Verrisse kassiert. Und das hat unter anderem damit zu tun, dass die Protagonisten zu schematisch entworfen sind. Tom Hanks als Eamon Bailey schafft es zwar trotzdem, einen Charakter zu kreieren, Emma Watson als Mae aber gelingt dies nicht. Doch wer könnte auch glaubhaft die Rolle einer Frau spielen, die einerseits von wachem Verstand und durchaus nachdenkbereit ist, andererseits wieder extrem naiv und leicht beeinflussbar?

Auch der in anderen Filmen ("Attack the Block") so präsente Schauspieler John Boyega, der Mae als geläuterter Circle-Mitgründer durch die geheimen Gänge des Konzerns führt ("Die können das nutzen, wie auch immer sie wollen"), wirkt diesmal als Person so wenig ausformuliert und geisterhaft, dass er sich jederzeit mit einem leisen "Pfffft" auflösen könnte. Am Ende greift dann auch noch Hollywood in sehr typischer Weise ein, besser: schlägt brutal zu. Wer das Buch gelesen hat, wird sich vom Schluss des Films jedenfalls schwer düpiert fühlen. Wer aber diesen Film gesehen hat, der wird sich in Zukunft bei diesen vielen Alles-wird-super-Internet-und-Elektronik-Kongressen immerhin an Tom Hanks und seine Dream-Friday-Präsentationen erinnern. Noch mal reinhören in die Circle-Welt? Also gut: "Privatheit ist Diebstahl!" Oder auch noch ... nein, das genügt.

 

Info:

James Ponsoldts "The Circle" kommt am Donnerstag, den 7. September in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.


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