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Albrecht/d., liebenswert und unbeirrt

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Er war einer der radikalsten Künstler seiner Zeit, künstlerisch und politisch: Albrecht/d., tätig in Stuttgart von 1966 bis zu seinem Tod 2013. Warum ist er so wenig bekannt? Ein Katalog gibt die Antwort: "Zum Berühmtsein eigentlich keine Zeit."

Er signierte mit Albrecht/d. - mal groß, mal klein geschrieben, mal mit Komma statt Schrägstrich dazwischen. Jedenfalls ganz bürokratisch: Nachname zuerst, Vorname (Dietrich) abgekürzt. Aber natürlich denkt mancher sofort an Albrecht Dürer. Ein kleiner Witz des vor vier Jahren verstorbenen Künstlers, der über neueste Entwicklungen stets gut informiert war, immer dabei, wenn sich in Stuttgart etwas ereignete, und mit den Größen der Avantgarde persönlich bekannt. Zugleich aber politisch radikaler als die meisten.

Als Uwe M. Schneede 1968 als frisch gebackener Direktor des Württembergischen Kunstvereins gerade seine erste Ausstellung eröffnen wollte, so erzählt dieser in einem von Freunden und Anhängern des Künstlers herausgegebenen Katalog, trat ein junger Mann mit Kinnbart auf ihn zu, der ihm eine offene Holzkiste zum Verkauf anbieten wollte. Schneede lehnte ab. Was der spätere langjährige Direktor des Hamburger Kunstvereins und der Hamburger Kunsthalle nicht bemerkte, war, dass es sich um eine Arbeit von Joseph Beuys handelte. Die "Intuitionskiste", die ihm Albrecht/d. für acht D-Mark andrehen wollte, enthielt nichts als das mit Bleistift geschriebene Wort Intuition. Damals von Beuys in Zehntausender-Auflage vertrieben, sind die Kisten heute dennoch nicht unter 500 Euro zu haben.

Drei Jahre später holte Schneede die Ausstellung "Happening & Fluxus" von Köln nach Stuttgart, die erstmals einen Überblick über diese neuen Kunstrichtungen bot. Ein Foto der Stuttgarter Eröffnung zeigt vorn die Fluxus-Cellistin Charlotte Moorman mit ihrem TV-Büstenhalter von Nam June Paik, hinten den Kurator Harald Szeemann, der im Jahr darauf Fluxus und Happening auch auf der Documenta vorstellte, und dazwischen einen jungen Mann mit etwas längeren Haaren und Hornbrille, der quer durchs Bild schreitet: Albrecht/d.

Die Ausstellung beruhte wesentlich auf der Sammlung des Markgröninger Zahnarztes Hanns Sohm, die sich heute als bedeutendste Fluxus-Sammlung der Welt in der Stuttgarter Staatsgalerie befindet. Der Katalog unter dem Titel "Happening. Die Geschichte einer Bewegung" ist "heute ein unverzichtbares Handbuch für die frühe Aktionskunst der Jahre 1959 bis 1970", schreibt Ina Conzen, die stellvertretende Direktorin des Museums: "Immer wieder hat Hanns Sohm betont, dass es ohne Albrecht/d.s Engagement, seinen Fleiß und seine Beharrlichkeit nicht zustandegekommen wäre."

Albrecht/d. bestückte nicht nur dieses unverzichtbare Handbuch der Avantgardekunst und trat mit Joseph Beuys und Allan Kaprow, dem Erfinder des Happenings auf. Mit Wolf Vostell und Günther Saree bildete er 1972 ein "Unabhängigeres olympisches Komitee", das in München und Stuttgart Passanten auf ein Siegerpodest stellte, nach der Devise: "Jeder ist Olympionike und sollte geehrt werden": eine typische Fluxus-Aktion, der es nicht auf Werke und Werte, sondern auf den Moment ankam, die nicht den Künstler - und auch nicht den Sportler - auf ein Podest hob, sondern ganz demokratisch Alle mit einbeziehen wollte.

Die Fluxus-Künstler wollten heraus aus dem Musentempel und hinein in den Alltag. Aber sie blieben, wie fast alle westliche Kunst in der Nachkriegszeit, in der Regel unpolitisch. Anders Albrecht/d. Vor der Bundestagswahl 1972 stellte er sich mit einer schwarzen Blinden-Brille und einem Schild um den Hals: "Ich wähle CDU, denn ich sehe klar und deutlich?" auf den Schlossplatz, um eine Regierung mit Franz Joseph Strauß zu verhindern. Peter Grohmann führt seine Anfänge als politischer Kabarettist auf ihn zurück. "Wann er bei mir auftauchte, weiß ich nicht mehr genau, aber Albrecht/d. war mein Vater", schreibt er im Katalog. "Hätte d/ nämlich nicht gesagt: Du bist ein Künstler, wäre ich nie richtig auf die Welt gekommen."

In Serien wie "Violence permanente" (permanente Gewalt) setzte sich der Künstler, der seine Kunst als Mittel politischer Auseinandersetzung verstand, sein Leben lang mit Krieg, Militär, Waffen, aber auch versteckteren Formen von Gewalt auseinander. In seiner im Selbstverlag herausgegebenen "Reflection Press" gab er auch anderen ein Forum, auf Zeitumstände und aktuelle Ereignisse zu reagieren. Mit Harald Szeemann entzweite er sich und kam so um seinen Documenta-Auftritt. Er kehrte dem Kunstmarkt den Rücken - Kunst war für ihn keine Ware - bevorzugte Techniken wie Fotokopie und Collage und bat allenfalls entschuldigend um einen kleinen Unkostenbeitrag für seine Kunst.

Wie kam der junge Mann mit mittellangen Haaren, Hornbrille und Spitzbart dazu? 1944 in Nordhausen in Thüringen geboren, war sein Vater im folgenden Jahr zwölf Stunden vor Kriegsende gefallen. Aus dem Harzstädtchen Ellrich, wo er aufgewachsen war, folgte er seinem älteren Bruder und seiner Mutter mit 14 Jahren in die Bundesrepublik und kam so nach Stuttgart. Hier wurde er Hilfsarbeiter in einer Offsetdruckerei und verweigerte dann den Wehrdienst, musste aber, wohl wegen einer angefangenen Bankkaufmannslehre, den Zivildienst nicht antreten.

Schon während seiner Lehrzeit besuchte er Vorlesungen an der Kunstakademie und bei Max Bense an der damaligen Hochschule für Technik. Benses Vorlesungen wirkten damals wie ein Magnet auf kritische Geister. Seine Semiotik, sein Versuch, Ästhetik mathematisch-wissenschaftlich zu begründen, war aber alles andere als leichte Kost. Dass es einen Bankkaufmannslehrling dorthin verschlug, war schon ziemlich ungewöhnlich. Albrecht/d. blieb denn auch nicht lange bei seinem Gewerbe. Nach einem Jahr als Bankangestellter sattelte er um auf Kunstlehrer.

Er hat eine Unzahl von Arbeiten hinterlassen: eigene, aber auch eine große Fluxus-Sammlung. Zwei Jahre hat ein Kreis von ungefähr 15 Personen gebraucht, um dieses Material für den nun erscheinenden Katalog zu sichten. Albrecht/d. war pausenlos aktiv: als Kunstlehrer, Künstler, Performer, Musiker, auch mit selbst gebauten Instrumenten, Kleinstverleger und Galerist. Er reagierte mit seiner Kunst auf alles was ihn bewegte: Krieg, Unterdrückung, Umweltzerstörung, CIA, Pornografie, Rassismus, Entwicklungspolitik, aber auch Meditation, Buddhismus und die Schönheit indonesischer Landschaften. So erklärt sich der Titel des Katalogs: Zum Berühmtsein eigentlich keine Zeit.

"Liebenswert und unbeirrt", so charakterisiert ihn Schneede, bei aller Radikalität. Natürlich wurde er als Linker von den Schulbehörden kritisch beäugt. Nach mehreren Unterrichtsbesuchen an der Schlossrealschule für Jungen gelangte das Oberschulamt zu dem Ergebnis, "dass Herr Albrecht fachlich kompetent den Lehrplan verfolgt." An seinem Unterricht war nicht viel auszusetzen, außer "dass Disziplinlosigkeiten einzelner Schüler nicht gerügt wurden."

Einer dieser nach eigenen Angaben schwierigen Schüler war Frank Molliné, heute Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens und Inhaber der Galerie von Braunbehrens im Stuttgarter Westen. Er förderte spontan mit einem signifikanten Betrag den von Peter Haury, dem Leiter des kleinen Kunstvereins Oberwelt herausgegebenen, großformatigen Katalog: "Weil er sich an freundliche Begegnungen mit seinem Lehrer auch nach der Schulzeit sehr gerne erinnert."

 

Info:

Am Freitag, dem 30. Juni um 19 Uhr findet in der <link http: www.oberwelt.de external-link-new-window>Oberwelt die Buchpräsentation und Eröffnung einer kleinen Ausstellung statt, die auch am Montagabend von 21.30 bis 24 Uhr und danach bis 8. Juli nach telefonischer Vereinbarung noch angesehen werden kann.

<link http: www.edition-randgruppe.org produkt albrechtd-zum-beruehmtsein-eigentlich-keine-zeit external-link-new-window>Den Katalog mit 336 Seiten und über 800 Abbildungen gibt es beim Verlag, der Edition Randgruppe, zum Preis von 49 Euro.


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1 Kommentar verfügbar

  • Norbert Prothmann
    am 06.08.2017
    Antworten
    In der Kunstrezeption wird Albrecht/d. vor allem in Verbindung mit Fluxus gebracht und mit seinem Kleinverlag reflection press. Weniger bekannt ist, dass er seit ca. 1974 über Mail-Art-Netzwerke mit dem COUM-Kollektiv in Kontakt war. 1975 traten Albrecht/d. und Genesis P-Orridge im Rahmen der…
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