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Weg mit dem Kapitalismus!

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Der Regisseur Andres Veiel ist in Möhringen aufgewachsen und war schon als Jugendlicher von Joseph Beuys begeistert. Jetzt lässt er den Künstler in seiner faszinierenden Dokumentation "Beuys" wieder lebendig werden. Besser als Museum, meint unser Filmkritiker.

"Letzte Warnung an die Deutsche Bank – Beim nächstenmal [sic] werden Namen und Begriffe genannt", so droht eine Postkarte, die Joseph Beuys 1985 zusammen mit seinem Freund und Bewunderer Klaus Staeck auf und für die Gesellschaft losgelassen hat. Beuys steigt 1972 auch in den Ring, schwitzt, lacht und boxt "für direkte Demokratie durch Volksabstimmung." Irgendwann prognostiziert er auf einer täglich fortgeschriebenen Kreidetafel das Ende des herrschenden Systems: "Nur noch 2272 Tage bis zum Ende des Kapitalismus", ist da in Andres Veiels Film "Beuys" zu lesen. Auch ohne das exakte Aufschriebsdatum ist klar: Wenn die Vorhersage des 1986 gestorbenen Künstlers eingetroffen wäre, lebten wir jetzt alle in einer anderen Welt.

Der in Möhringen aufgewachsene Regisseur Andres Veiel ("Black Box BRD"), der Mitte der neunziger Jahre in der Dokumentation "Die Überlebenden" der Enge seiner Kindheit und Jugend und dem Suizid dreier Mitschüler nachrecherchiert hat, schreibt über den Künstler: "Joseph Beuys hat mich schon als junger Mensch in den 70er Jahren stark geprägt. Beuys sah in der Kunst eine Kraft, um in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen – das war in einem Vorort von Stuttgart eine faszinierende Botschaft". Im Zentrum von Stuttgart aber, im Beuys-Raum der Staatsgalerie, ist heute nicht mehr viel zu spüren vom Geist jenes künstlerischen Aufruhrs, der die politischen und sozialen Verhältnisse zum Tanzen bringen wollte.

Dieser große Raum mit seinen Beuys-Installationen – die langen Rohre, die schwarzen Metallplatten, die kantigen Batterien – spricht einen nicht mehr an und will kein Echo mehr geben. Stumm liegt diese Kunst da. Sehr starr, sehr leblos. Ein auf Parkett abgelagerter, ja, ein erledigter Fall. Der Künstler, der immer in die Gesellschaft hineinwirken wollte, wird hier eingegrenzt und stillgelegt. Inzwischen ist Beuys quasi aus dem öffentlichen Verkehr gezogen worden und so eingeordnet in den Kanon, dass sein Werk selbst von der 2013 erfolgten und ansonsten ziemlich durchgreifenden Neupräsentation der Staatsgalerie-Sammlung unberührt blieb. Auch Veiel ist sich dieses Dilemmas, das ja nicht nur die Stuttgarter Ausstellung betrifft, bewusst. Beuys werde heute, so der Regisseur, "mit viel restauratorischem Aufwand letztendlich zu Tode musealisiert."

Plötzlich ist Beuys wieder ganz real

Man könnte vielleicht auch sagen: Die Person Beuys gehört zu seinem Werk dazu, es braucht den Künstler, um virulent zu bleiben. Und genau dies ist Veiel mit seinem Film "Beuys" gelungen: Der charismatische Mann mit dem Hut und der Großwildjägerweste ist plötzlich wieder da! Er ergreift auf Podien das Wort und gibt es nicht mehr her; er läuft durch eine Galerie, einen toten Hasen in den Händen, und will diesem "die Bilder erklären"; er lässt sich in den USA mit einem Kojoten in einen Raum sperren; er pflanzt bei der Kasseler Documenta eine seiner "7000 Eichen"; er spachtelt an der Düsseldorfer Akademie mit Fett herum, spricht von seinem "erweiterten Kunstbegriff" und dem Konzept der "sozialen Plastik". Dieser Beuys ist enthusiastisch, er geht auf alle zu, er ist immer in Bewegung, und dies in Wort und Tat. Schon das Denken, so Beuys, sei "bereits Plastik. Gedanken wirken in die Welt."

Veiel versucht erst gar nicht, Beuys' Leben chronologisch zu erfassen, seine Kunst einzuordnen, seine Werke zu interpretieren oder zu werten. (Selbst die Abwesenheit der Sexualität, diese seltsame Leerstelle in Beuys Arbeiten, ist für den Regisseur kein Thema). Auch auf Vollständigkeit ist Veiel nicht aus, er verzichtet sogar auf süffige Anekdoten, die man in seiner Dokumentation vielleicht erwartet hätte. Stattdessen speist er sein gesammeltes, riesiges und zum Teil erstmals genutztes Material in eine assoziative Montage ein. Rückblickende Interviews mit Freunden und Wegbegleitern des Künstlers hat Veiel auch gedreht, aber sie werden fast an den Rand gedrängt durch die Wucht und Frische der Originalbilder und -töne, also durch die Auftritte von Beuys selbst. Auch wenn die manchmal krisseligen Filmszenen oder die von der Kamera abgefahrenen Bögen schwarzweißer Kontaktabzüge sich wie Dokumente einer anderen technischen Ära ausnehmen: Sie holen tatsächlich die aufregenden alten Zeiten zurück.

Veiel zeigt Leben und Treiben des Joseph Beuys ohne Kommentar, aber mit spürbarer Sympathie. Durch seine virtuose Montage evoziert er zeitgenössische Stimmungen, transportiert sie gleichzeitig in die Gegenwart und macht sie sinnlich erfahrbar. Wie dieser Beuys, der so herzhaft lachen kann, die einen ansteckt und die anderen provoziert! Letzteres, wie er sagt, "weil da etwas lebendig wird." Als Professor in Düsseldorf weigert er sich, die Obergrenze für die Zahl seiner Studenten zu akzeptieren und wird vom damaligen NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau schließlich entlassen. Als er Mitglied der Grünen wird, diskutiert er auf Parteitagen mit, will auch ins Parlament, wird aber ausgebremst durch einen Listenplatz, der einem Abschiebeplatz gleichkommt. Nein, es läuft für diesen Mann, auch wenn er schon lange zu einem der größten Künstler der Welt erklärt worden ist, nicht alles gut.

In Beuys' großen, wachen Augen kann man nicht nur glühende Begeisterung entdecken, sondern auch Traurigkeit und Melancholie. Im Krieg war er Jagdflieger und wurde abgeschossen. Ob ihn damals tatsächlich Tataren durch Einschmieren mit Fett und Einwickeln in Filz gerettet haben, wie er erzählt (und damit seine Vorliebe für diese Materialien erklärt), oder ob das nur, wie einige Kritiker vermuten, eine Mythologisierung der eigenen Biografie ist, wird im Film nicht entschieden. Dass dieser Absturz ("Man hat mich damals zurechtgeschossen!") sein Leben mitbestimmt hat, wird niemand bestreiten. In den fünfziger Jahren geht Beuys durch eine depressive Phase. Er spricht nicht darüber, aber das, was das Leben mit ihm angerichtet hat, fließt dafür ein in seine Kunst. "Zeige deine Wunde", so heißt eines seiner bekanntesten Werke.

"Glänzend in der Kunst und unwissend in der Ökonomie"

Und dann ist da jener Beuys, der unübersichtliche Diagramme mit wichtigen Worten versieht oder sagt: "Also die Macht des Geldes muss gebrochen werden. Heute ist Geld eine Ware, die handelbar ist. Man kann damit spekulieren. Das heißt Geld ist im Wirtschaftsbereich ein Wesen, das nicht Ware sein darf. Da es aber Ware ist, muss dieser Charakter in eine demokratische Totalität überführt werden." Häh?! Wahrscheinlich meint Andres Veiel solch diffuse Sentenzen des vom Anthroposophen-Papst Rudolf Steiner beeinflussten Beuys, wenn er gesteht: "Nicht immer habe ich ihn verstanden: Manchmal verstieg er sich in Begrifflichkeiten, mit denen ich nichts anfangen konnte." In Rudi Dutschkes Tagebüchern findet sich übrigens diese Notiz: "Joseph war glänzend in der Kunst und unwissend in der Ökonomie."

Für manche Kritiker war Beuys aber nicht mal als Künstler glänzend und eher Scharlatan als Schamane. Hans Platschek etwa hat ihm vorgeworfen, "soziale Verhältnisse nur für seine Zwecke zu instrumentalisieren und tatsächlich den kapitalistischen Kunstmarkt besonders gut mit einem metaphysisch aufgeladenen Angebot zu bedienen." Für solche Aussagen hat Veiel, und dies wohl zu Recht, keinen Platz. Er zeigt zwar in einer kleinen und komischen Sequenz, wie Beuys in Japan mal Reklame für eine Whiskymarke macht, aber dass der Künstler seine Kunst nicht nur als Geldmaschine betrachtet hat, sondern sie als gesellschaftsveränderndes Instrument ernst nahm, daran besteht für den Regisseur kein Zweifel. Und dieser rastlose Beuys hat sich für seine Kunst buchstäblich abgearbeitet und aufgezehrt. Es sei die Pflicht des Künstlers, so hat er erklärt, seine Energien restlos einzusetzen und sich zu verausgaben. Beuys hat seine Kunst gelebt, mehr noch: Er war in gewissem Sinne seine Kunst. Und um sie lebendig zu erleben, sollte man lieber ins Kino gehen als ins Museum.

 

Info:

Andres Veiels Film "Beuys" kommt am Donnerstag, den 18. Mai in die deutschen Kinos. In Stuttgart läuft er im Arthaus-Kino Delphi am Donnerstag, Samstag und Sonntag um 16 und 20.20 Uhr, am Freitag um 16 und 20.45 Uhr. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.


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1 Kommentar verfügbar

  • Max Torf
    am 19.05.2017
    Antworten
    Wenn Josef Beuys in Paris war, wohnte er regelmäßig beim Bühnenautor Jean Luc Lagarce in der Cité Falguière im 15ten Arrondissement. Als ich das von einem ARTE-Fernsehteam hörte, schraubte ich meine 2 (eigentlich) offenen (aber stillgelegten, da nicht benutzten) Kamine auf (ich war der nächste…
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