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Frau Ferres und die Apokalypse

Frau Ferres und die Apokalypse
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In Werner Herzogs "Salt and Fire" spielt Veronica Ferres sehr teutonisch eine Wissenschaftlerin, die sich in ihren Entführer verliebt. Herauskommt ein bizarrer Öko-Desaster-Film, meint unser Kritiker.

Was macht die deutsche Romantik in dieser südamerikanischen Wüste? Genauer gefragt: Wie ist es dazu gekommen, dass die große, blonde Veronica Ferres nachts auf ein paar Steinen inmitten eines bolivianischen Salzsees sitzt und zwei blinden Indioknaben das Lied "Der Mond ist aufgegangen" vorsingt? Hm. Wir versuchen mal, die Vorgeschichte dieser Szene nachzuliefern, so gut es eben geht. Frau Ferres also spielt in Werner Herzogs "Salt and Fire" die Anführerin einer UN-Wissenschafts-Delegation, die einen Bericht über ein Öko-Desaster erstellen soll. Sie heißt hier Professor Laura Sommerfeld und wird begleitet von den Doktoren Meier (Volker Michalowski) und Cavani (Gael Garcia Bernal), ersterer ein eher nüchtern-dröger Meier, letzterer ein kleiner, aufgeregter Möchtegern-Latin-Lover-Cavani, der schon im Flieger gern übergriffig wäre, was seine Chefin jedoch durch empörten Sitzplatzwechsel unterbindet.

Am Flughafen dann kein Empfangskomitee. Also erst mal dumm rumstehen wie bestellt und nicht abgeholt. Schon wieder schaut Frau Professor Sommerfeld recht pikiert. Und dann wird das Trio auch noch entführt! Umgeben von maskierten Männern, finden sich die drei WissenschaftlerInnen auf einer einsamen Hacienda in den Bergen wieder, wo Meier und Cavani sich sofort eine Diarrhö zuziehen und deshalb, was den Fortgang der Handlung angeht, durch- und ausfallen. Frau Professor Sommerfeld entdeckt inzwischen, dass gar nicht der als Gelähmter ins Geschehen gerollte und aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen plötzlich aufstehende Aristides (Lawrence Krauss) der Boss der Kidnapperbande ist, sondern so ein kantig-klobiger Kerl. Der sollte endlich mal seine Wollmaske lüften! Tut er jetzt auch, und darunter kommt überraschenderweise nicht der Veronica-Ferres-Ehemann Carsten Maschmeyer zum Vorschein, sondern Mister Matt Riley (Michael Shannon), ein anderer Unternehmer ähnlicher Statur und mit Dreck am Stecken.

Carsten Maschmeyer hat nämlich ... Wie? Ach so, ja. Es geht jetzt hier um Matt Riley, der diese potenziell weltzerstörende Katastrophe am Diablo Blanco genannten Salzsee angerichtet, sich nun aber irgendwie geläutert hat. Man merkt das daran, dass er durchweg sehr, sehr ernst guckt, dass er eine Bibliothek besitzt, dass er Sprüche von Nostradamus und Ecclesiastes zitiert und dass er Frau Professor Sommerfeld auf eine Art Kippfigur in einem römischen Kloster aufmerksam macht, die je nach eingenommener Perspektive mal dies und mal das zeigt. Woraus für Matt Riley folgt: "Es gibt keine Realität, nur Annahmen, Sichtweisen und kollektive Ängste, die sich in Verschwörungstheorien verdichten." Jawohl, sogar Frau Professor Sommerfeld ist da schon ein bisschen beeindruckt.

Nun geht es im SUV über den unendlich groß und leer scheinenden Salzsee, der von Uturuncu flankiert wird, dem selbstverständlich größten Vulkan der Erde. Und der kann, sagt Riley mit düsterer Miene, jederzeit ausbrechen! Ein Öko-Desaster kommt eben selten allein, und außerdem muss ja auch der Filmtitel "Salt and Fire" erklärt werden.

Während Frau Professor Sommerfeld sich aber noch in einer freundlichen Konversation mit Riley wähnt, passiert schon wieder Verwirrendes. Matt Riley will nämlich, dass sie die Katastrophe nicht nur theoretisch verarbeitet, sondern ihr auch physisch ausgesetzt wird. Deshalb lässt er sie auf einer kleinen und nur mit Kakteen bewachsenen Felseninsel zurück, und zwar mit seinen umweltgeschädigten Adoptivsöhnen, denen er die Inka-Namen Huascar und Atahualpa verpasst hat. Jetzt wird der Film zu einer Mischung aus Pfadfinderei und Romantik. Die ungemein tapfere und nun sehr, sehr ferreshafte Frau Professor Sommerfeld spannt Planen auf, legt Matten aus und spielt mit den blinden Kindern, die sie auch mal beim Bescheißen ertappt. Sie bringt ihnen auch, siehe oben, deutsches Liedgut nahe.

Und das passt ja zu Werner Herzog, dem Romantiker, Pathetiker und Mystiker, der seine Bilder oft aus den Extremregionen der Welt holt und sie dann zu meist sehr deutschen Filmen montiert. Besser gesagt: zu Werner-Herzog-Filmen, in deren Spielfilmabteilung ein vom Leben Geschädigter wie Bruno S. ("Stroszek") auftrat oder sich ein Großexzentriker wie Klaus Kinski ("Aguirre, der Zorn Gottes") austoben durfte, in deren Porträtbereich ein überbegabter Skiflieger ("Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner") oder ein radikaler Bärenforscher ("Grizzly-Man") ihrer gefährlichen Arbeit nachgingen, und in deren Dokumentarsparte ("Die Höhle der vergessenen Träume") der Regisseur versuchte, nie zuvor Gesehenes zu zeigen und in eine eigene und große Erzählung einzubinden. Diese geheimnisvoll raunende Werner-Herzog-Stimme!

Wenn in "Salt and Fire" die Kamera majestätische Natur-Panoramen entwirft, dann warten wir freilich vergebens auf dieses mystische Welterklärungsraunen. Wir sind nun mal in der Werner-Herzog-Spielfilmabteilung, und diesmal wird dort versucht, den Kino-Mainstream zu simulieren. Ein bisschen will der Regisseur sogar Thriller spielen. 

Aber ein Action-Experte wird Werner Herzog wohl nicht mehr – man sehe sich nur an, wie umständlich Doktor Cavani in die Toilette fliehen will. Und die Stärken von Schauspielern hervorzuheben war sowieso nie Herzogs Spezialität. Mit dem Weltstar Gael Garcia Bernal kann er gar nichts anfangen, und auch der sonst so brillante Michael Shannon muss an seinem Part und vor allem an den Worten, die ihm in den Mund gelegt werden, schier verzweifelt sein.

Dann wäre da noch der Fall Veronica Ferres. "Aggressively teutonic", so beschreibt das Magazin "The Hollywood Reporter" ihren Auftritt. Tatsächlich wirkt sie in diesem auf Englisch gedrehten Film so, als müsse sie sich vor allem auf die Aussprache konzentrieren. Wenn sie nach den Strapazen der Kidnapperei zu Matt Riley sagt: "I demand an explanation!", dann klingt das so, als beschwere sie sich bei der Bedienung im Hotel, weil sie ein Drei-Minuten-fünfzig-Sekunden-Frühstücksei bestellt und ein Vier-Minuten-Frühstücksei bekommen hat. Aber keine weiteren Worte über Ferres, die mal wegen eines Porträts gegen ein Magazin und wegen der Kündigung eines Werbevertrags gegen eine Modekette juristisch vorging. Sonst wird die als "Superweib" bekannt gewordene Ferres erneut zum Klageweib.

Was aber den Film "Salt and Fire" angeht: Den kann man trotzdem lieben. Es ist ja, wie schon Matt Riley sagt, alles eine Frage der Perspektive. Wir müssen diesmal eben alles aus dem Blickwinkel des Camp-Liebhabers betrachten. Denn Camp, diese besondere Kulturrezeption, nimmt das Pathetische und Theatralische spielerisch und ironisch auf, auch wenn es nicht so gemeint ist. Camp sieht alles, wie Susan Sontag schreibt, "in Anführungszeichen", es sei "der gute Geschmack des schlechten Geschmacks". So betrachtet feiern wir mit diesem wahnwitzig wirren Film (haben wir eigentlich schon den Schluss mit den Aliens erwähnt?) ein richtiges Fest. Ach! "Der Mond ist aufgegangen" mit Veronica Ferres und ihren Inka-Zwillingen! Wunderbar. Und schon jetzt ein Klassiker des Camp.

 

Info:

Werner Herzogs "Salt and Fire" kommt am Donnerstag, 8. Dezember in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>finden Sie hier.

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