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Blähungen und Schwulst

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Jude Law spielt in "Genius", dem ersten Film des Theaterregisseur Michael Grandage, den von sich selbst berauschten Autor Thomas Wolfe. Was aber kaum hilft. Nicht einmal Superstar Nicole Kidman kann diesen Schinken retten. "Verschenkt", meint unser Kinoexperte.

New York im Jahr 1929. Auf den nassen Straßen vor dem Scribner's-Verlagsgebäude stampft der junge, ungebärdige Südstaaten-Autor Thomas Wolfe (Jude Law) ungeduldig mit dem Fuß auf, drinnen sitzt ruhig der nördlich-kühle Lektor Max Perkins (Colin Firth), ein Mann mittleren Alters, vor einem dicken Manuskriptstapel und beginnt zu lesen. Er liest begierig weiter im Pendlerzug, er liest weiter in seinem großbürgerlichen Zuhause auf dem Land, dabei seine Frau (Laura Linney) und seine fünf Töchter ignorierend. Und während er liest und liest und liest, sind aus dem Off hymnische Thomas-Wolfe-Sätze zu hören, und es schwillt die Musik so an, als würde eine Messe gefeiert.

Dann steht Wolfe, feurigen Auges und mit schlampiger Stirnlocke, im Verlagsbüro des immer Hut tragenden Lektors, der schon Francis Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway betreut hat. Exzessiv redet Wolfe an gegen die erwartete Ablehnung seines Manuskripts, in dem sich der Erfolgsroman "Schau heimwärts, Engel" verbirgt – und wird von des Lektors Zusage überrascht. Es liege allerdings noch viel Arbeit vor ihnen, das Werk müsse gekürzt und in Form gebracht werden, sagt Perkins. Und so diskutieren, feilschen und streiten der von seinen eigenen Buchstaben berauschte Bohemien, der ganz Amerika auf Vatersuche wähnt, und der ordnungsliebende Bürger, der gern einen Sohn gehabt hätte, ausdauernd über jedes Wort und kommen sich dabei näher. Der Zusatztitel zu "Genius" heißt: "Die tausend Seiten einer Freundschaft."

"Genius" ist selber das Produkt einer Bearbeitung. Der erste Film des britischen Theaterregisseurs Michael Grandage, der die Haupt- und auch fast alle Nebenrollen seltsamerweise nicht mit US-Schauspielern, sondern mit seinen Landsleuten besetzt hat, basiert auf A. Scott Bergs Biografie "Max Perkins: Editor of Genius". Aber Grandage nimmt sie nicht als Ganzes, übergeht etwa Perkins' jahrzehntelange Geliebte und lässt das Buch zusammenschnurren auf die wenigen Jahre der Freundschaft mit Wolfe. Der schon aus seinem Ruhm gefallene Fitzgerald (Guy Pearce) hat hier nur ein paar kurze Auftritte, einmal nur zeigt sich der wenig von seinem jungen Konkurrenten haltende Hemingway (Dominic West), erwartungsgemäß vor einem gerade geangelten Fisch posierend. Man könnte diese Sequenzen, analog zu dem als "name dropping" berüchtigten Herbeizitieren von Berühmtheiten, wohl als "face dropping" bezeichnen. Überhaupt muss es jetzt endlich raus: Dies ist ein ebenso anmaßender wie verkorkster Film!

Orgien des guten Geschmacks

Es beginnt schon damit, dass der Regisseur seinen Bildern als Ausweis der Gediegenheit einen farbblassen Sepiaton verpasst und auch seine Fassaden, Straßen, Autos, Kleider und Möbel nicht als zeitgenössische Selbstverständlichkeit inszeniert, sondern – ach, wie dekorativ sind Dampflokomotiven! – museal ausstellt. Dazu eine immerwährende Musik, die in ihren besseren Momenten an Aaron Coplands Folk und Jazz einbindende Kompositionen erinnert, meist aber allzu sahnig dahinquillt. "Genius" macht eben immer zu viel – oder zu wenig. Das Politische oder das Soziale beispielsweise spielen bei diesem im Börsencrashjahr beginnenden Film so gut wie keine Rolle, die von der Kamera abgefahrene Schlange von Arbeitslosen zieht bloß im Hintergrund vorbei.

Für die dienenden Frauen im männlichen Heldenleben nimmt Grandage sich etwas mehr Zeit, die stille Dulderin an der Seite von Perkins wird bemitleidet, weil sie eigene literarische Ambitionen nicht ausleben kann, die selbstständige Sponsorin und Geliebte von Wolfe (Nicole Kidman) darf ihren "Rivalen" Perkins sogar mit der Pistole bedrohen. Am Schlimmsten geht Grandage aber mit Zelda Fitzgerald um, die er mal als sedierten Zombie an einen Dinner-Tisch platziert. (Wer mehr und Komplexeres über die depressiven letzten Jahre von Fitzgerald und auch über Zelda erfahren möchte, dem sei an dieser Stelle Stewart O'Nans Roman "Westlich des Sunset" empfohlen.)

Literatur, Machismo und die Frauen: ein interessantes Thema, hier freilich alibihaft abgehakt und verschenkt. Bliebe also der Kernbereich: Männerfreundschaft und Literatur. Letztere als Brücke über Nord und Süd, über Stadt und Provinz, über alle Klassen hinweg? Aber diese Brücke funktioniert im Film nur als quasi sakrales Gebilde, so als dürfe das Genialische keine Bodenberührung haben. Immer wieder sind Passagen aus Wolfes Werk zu hören, doch mit der banalen Frage "Worum geht es eigentlich?" will dieser Film nichts zu tun haben. Dass "Schau heimwärts, Engel" autobiografisch verankert ist, dass der Roman vom Aufwachsen in einer Kleinstadt erzählt, dass die Veröffentlichung bei Wolfes Familie und in der Nachbarschaft einen Skandal auslöst: für Grandage alles kein Thema.

Wenn Wolfe seinem Lektor in einem Kellerclub erläutert, wie eine feste Melodie beim Jazz in die Freiheit der Improvisation entlassen werde, dann will der Film auch sehr didaktisch des Autors Schreibprogramm erklären. Wolfe kann nämlich, wie Reich-Ranicki mal süffisant über Grass urteilte, "die Worte nicht halten", er lässt sie ungefiltert herausfließen, er wird dabei ganz high, er ist ein Süchtiger, der seinen Stoff selber herstellt. Er ist außerdem ein rücksichtsloser Egozentriker, der über das Leben der anderen hinweggeht, als wäre es nichts wert. Man kann, nein, man muss Wolfe wohl nicht nur als manischen Schwätzer bezeichnen, sondern als monomanisches Arschloch. Jude Law jedenfalls tut mit klassischem Overacting alles, um diese Bezeichnung zu unterstreichen. Er kennt hier nur den schauspielerischen Vollbetriebsmodus, ist in ermüdender Redundanz also laut und expressiv, gibt seinem Film mit Theater verwechselnden Regisseur Mimik für die Galerie.

Tut der Film Thomas Wolfe also unrecht? Nun, der Autor gehört schon lange nicht mehr zum US-Kanon der Literatur, und dies vielleicht zu Recht. Einmal will "Genius" zeigen, wie eine Original-Wolfe-Passage zu folgenden Sätzen eingedampft wird: "Eugene sah eine Frau. Ihre Augen waren blau. So schnell zersprang sein Herz für sie, dass niemand im Raum das Geräusch vernahm." Im Manuskript liest sich das zunächst so: "Als Eugenes Blick sich an den wirbelnden Dunst der Zigaretten und Zigarren gewöhnt hatte, sah er eine Frau in derbem Anzug, mit Handschuhen, die wie Ranken über ihre Arme krochen, deren Haut, sonst elfenbeinern, jetzt von der Sonne ein Erröten davongetragen hatte, ähnlich wie die Röte im Innern einer Meerschnecke, die von einem jungen Zoologen zum ersten Mal gesehen wird und ihn mit ihrem rosigen Versprechen in Bedrängnis bringt; so waren ihre Arme. Aber es waren ihre Augen ..."

Und so weiter und so fort. Blähungen. Vergleichssucht. Schwulst. Der Lektor Perkins, der sich nach dem zweiten und nun fünftausend Seiten umfassenden Wolfe-Manuskript ("Von Zeit und Strom") mit dem Autor überwirft, hat Zweifel, ob seine Kürzungen ein Buch besser oder nur anders machen. Muss er in diesem Fall aber nicht haben. Die Frage ist nur, wieso er sich überhaupt für diese uferlosen Wortmeere begeistert. Am Ende sitzt Perkins wieder mal in seinem Büro, er hält jetzt einen Abschiedsbrief des schon mit 37 Jahren gestorbenen Autors in Händen, der ihn um Verzeihung bittet. Die Zeilen rühren Perkins zu Tränen, zum ersten und einzigen Mal in diesem Film nimmt er seinen Hut ab. Lange, allzu lange hat "Genius" auf diese plakative Geste hingearbeitet.

 

Info:

"Genius – Die tausend Seiten einer Freundschaft" kommt am Donnerstag, 11. August in die deutschen Kinos. Welches Kino in Ihrer Nähe den Film zeigt, finden Sie <link http: kinofinder.kino-zeit.de programmsuche external-link-new-window>hier.

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