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Mit Gummihuhn und Hasenohren

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 Fotos: Joachim E. Röttgers 

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Cosplay ist längst kein fernöstliches Nischenhobby mehr. Auch in Deutschland begeistern sich immer mehr Fantasy-, Comic- und Filmfans für das farbenfrohe Rollenspiel mit selbst gemachten Kostümen. Wir zeigen die schrägsten CosplayerInnen der Comic Con Germany 2016.

Für einen Tag mal jemand anderes sein – wer hat sich das nicht schon einmal gewünscht? Die Frage, wie es so ist als Mann oder als Frau, fasziniert die meisten Menschen spätestens dann, wenn es um die Pinkelfrage geht. Doch wie fühlt man sich eigentlich als Batgirl? Oder als Superschurke? Oder als Blutelf? Während Fasching- oder Halloween-Kostüme eher die obligatorische Eintrittskarte zu alljährlichen Sausen sind, ist Cosplay (Kofferwort aus "costume" und "play") ein Hobby, das von seinen AnhängerInnen rund ums Jahr und äußerst ernst betrieben wird. Insofern das in einem Hobbit-Kostüm natürlich geht.

In den 80er-Jahren ist der Trend aus Japan rübergeschwappt. Seitdem basteln sich die RollenspielerInnen ihre aufwendigen Kostüme selbst und "craften" (englisch für "fertigen"), was der Hobbykeller hergibt. Ist das Werk vollbracht, gilt es nicht nur, eine gute Figur zu machen. Wer das Kostümspiel ernst nimmt, hat Charakterzüge und Eigenarten seiner Lieblingsfigur verinnerlicht und schlüpft auch gedanklich ins Kostüm. Dann werden Köche zu Superhelden, Abiturientinnen zu Göttern und Verkäuferinnen zu gefährlichen Superkatzen. Herkunft, Beruf oder Geschlecht spielen keine Rolle mehr. Für einen Tag begegnen sich Menschen in einem Paralleluniversum aus Fantasie und Schaumstoff auf Augenhöhe.

Kindischer Eskapismus? Vielleicht. Fest steht: Wäre J. J. R. Tolkien nie vor dem inneren Auge als Ork oder Hobbit durchs Auenland geflitzt, müsste das Fantasy-Epos "Herr der Ringe" noch erfunden werden.

Cassandra, 31, aus Bad Harzburg. Die Malerin und Lackiererin hat etwa einen Monat an ihrem detailverliebten Kostüm gearbeitet, um dem Psychokiller "der Schakal" aus dem Horrorfilm "13 Geister" zum Verwechseln ähnlich zu sehen. Seit neun Jahren ist Cassandra begeisterte Cosplayerin und hat schon über 60 Figuren dargestellt. "Ich entscheide mich immer für Kostüme, die mich maximal herausfordern", sagt die Horrorlady und setzt sich routiniert in Gruselpose.

Anna, 17, aus Texas. Die kleine Schülerin ist bei Verwandten aus Deutschland zu Besuch und hat sich als "Nyu" aus der Anime-Serie "Elfen Lied" verkleidet. Die ist genauso alt wie Anna und mindestens genauso "nieeeedlich". Nur gut, dass "Nyu" (So heißt in Japan das Geräusch, das eine Katze macht) gerade eine freundliche Phase hat. Der Anime-Charakter ist nämlich massiv schizoid gestört, nachdem sie bei ihrer Flucht aus einem Versuchslabor von einem Kugel in den Kopf getroffen wurde.

Sebastian, 28, aus Hamburg. "Deadpool ist einfach der Allercoolste", schwärmt der Großküchen-Arbeiter über seinen Superhelden-Liebling. Weil der mutierte Marvel-Comic-Charakter hart durchgeknallt und absolut unzurechnungsfähig ist, stört es auch besserwisserische Cosplay-Nerds nicht, dass Sebastian seiner Kostüm-Version einen "Hello Kitty"-Rucksack und ein Gummihuhn hinzugefügt hat.

Ngochan, 15, aus Echterdingen. Für ihr erstes Cosplay-Kostüm hat sich die Schülerin ihre Lieblingsfigur "Erza Scarlet" aus der Manga- und Anime-Serie "Fairy Tail" ausgesucht. "Die ist richtig stark und kann megagut kämpfen", erklärt sie ernst. Dass es beim Cosplay auf Details ankommt, zeigt das blaue Gildenzeichen-Tattoo auf ihrem linken Oberarm – natürlich abwaschbar.

Patricia und Saskia, 20, aus Kiel. Die beiden Abiturientinnen verkleiden sich seit vier Jahren wie ihre LieblingsheldInnen und haben es dabei vor allem auf männliche Charakter abgesehen. "Ich liebe Thor", schwärmt Patricia, "aber die Version in den Comics fand ich hässlich, deshalb hab ich sie modifiziert." Saskia fand den tollpatschigen "Nightcrawler" aus dem aktuellen X-Men-Film "sooo süüüß" und hat sich deshalb für das blaue Cosplay entschieden – inklusive blauer Füße.

Christian, 31, und Matsu, 24, aus Reutlingen und Russland. Während Christian zum ersten Mal als Cosplayer unterwegs ist und sich als Antiheld "Deathstroke" verkleidet hat, ist Matsu Vollprofi. Die 24-Jährige Russin ist professionelle Cosplayerin und Plus-Size-Model und hat schon zahlreiche Preise für ihre aufwendigen Kostüme absahnen können. Auf der Comic Con Germany flatterte sie als "Fairy Godmother" aus dem Animationsfilm "Shrek" durch die Messehalle.

Jessica, 29, aus Darmstadt. Seit ihr Catwoman in ihrer Kindheit auf der Mattscheibe begegnet ist, schlägt Jessicas Herz für die kratzwütige Latexkatze. "Die meisten Latexklamotten sind für fülligere Leute, deshalb musste ich einzelne Teile meines Kostüms enger nähen", erklärt die Verkäuferin, während sie an ihren Krallen zupft. Auch die sind selbst gemacht aus speziellem Schaumstoff.

Manuel, 33, aus Aalen. "Ja, die sind echt", sagt der Bodybuilder, als man ihn auf die dicken Muckis anspricht. "Eigentlich hatte ich ein anderes Kostüm geplant, aber wegen der Hitze hab ich mich für Hulk entschieden." Lange musste er dafür nicht "craften" (englisch für "fertigen"), wie Cosplayer sagen: Einfach Farbe drauf und Hose an, "die Muskeln hatte ich ja schon". "Angeber!", schreit seine Freundin belustigt aus dem Off.

Marcel, 29,  und Anna, 26, aus Reutlingen. Eigentlich kommen die beiden "Weißen Wanderer" aus der TV-Serie "Game of Thrones" ja aus der Ecke der Live-Rollenspieler, die Fantasy-Figuren in einer Art Improvisationstheater nachspielen. Dabei nicht aus der Rolle zu fallen ist oberstes Gebot, weshalb die beiden auch nie grinsen. Doch wenn sie in ihrer Freizeit nicht gerade Burgen bevölkern und sich in inszenierte Schlachten begeben, bringen die Maschinenbauingenieurin und der Luftfahrzeugtechniker als Cosplayer zahlreiche Bewunderer zum Staunen.

Ilija, 23, Helena, 25, und Joanne, 24, aus Aalen. Die drei Freunde haben zusammen Abi gemacht und die Comic Con genutzt, um sich wiederzusehen. Als Fans der trashigen Kult-Zeichentrickserie "Adventure Time" sind sie in die Rollen des Kaugummi-Humanoiden "Prince Gumball" (Ilija), Fionna mit den Hasenohren (Helena) und Marceline, "die Vampirkönigin" (Joanne) geschlüpft. Wenn sie nicht gerade ihre Lieblingsserie glotzen, studieren und arbeiten sie in Stuttgart, Aalen und Heidenheim.

Melanie, 19, aus Selb. Während viele CosplayerInnen eine populäre Figur darstellen, hat es Melanie die relativ unbekannte Superschurkin "Enchantress" angetan. Zwar tauchte die DC-Comic-Figur bereits 1966 im Comicuniversum auf, doch größere Bekanntheit wird sie erst im August dieses Jahres bekommen. Da ist sie einer der Hauptcharaktere in der Comic-Verfilmung "Suicide Squad". Was das Gekritzel auf ihrer Stirn bedeutet? "Nix besonders. Das soll einfach aussehen wie 'ne alte, magische Schrift", lacht die Produktdesignerin in Ausbildung.

Victoria, 23, aus Gießen. Normalerweise sucht sich die Lehramtsstudentin für Englisch und Kunst meist androgyne oder männliche Figuren zum Nachspielen aus. "Da ich aber eh lange blonde Haare habe und groß bin, hab ich mich diesmal für Barbie entschieden", sagt die lebende Puppe. Auch hier gilt: alles selbst "gecraftet". Auf den Gürtel ist Victoria besonders stolz: "Der besteht aus einem Abflussrohr und einem weißen Vorhang", erklärt sie lachend.


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