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Rache als Erfüllung

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Nach seinem Meisterwerk "Django Unchained" stürzt sich Quentin Tarantino gleich wieder in die US-amerikanische Historie: "The Hateful Eight" ist ein Film, der sich zum Kammerspiel verengt hat und Gewaltexzesse ausbrütet, meint unser Filmkritiker.

Berge und Schnee in der Totalen, im üppigen Breitwandformat. Noch eine Totale. Und noch eine. Jetzt eine Christusfigur am Kreuz, ein grob geschnitzter Schmerzensmann, um den die Kamera so lange herumfährt, bis im Hintergrund eine Kutsche zu sehen ist. In deren Weg stellt sich nun Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson), ein schwarzer Kopfgeldjäger, dem das Pferd verreckt ist und der deshalb eine Mitfahrgelegenheit nach Red Rock braucht – samt seinen drei aufgestapelten Leichen. Das "Gepäck" kommt aufs Dach, er selber darf seinem knorrigen Berufskollegen John Ruth (Kurt Russell) Gesellschaft leisten, der die steckbrieflich gesuchte Giftschleuder Daisy (Jennifer Jason Leigh) an sich gekettet hat. Kurz darauf steigt noch der Südstaatler Chris Mannix (Walton Goggins) zu, der sich als neuer Sheriff von Red Rock vorstellt. Und so rumpelt dieser Film, auf den Spuren von John Fords Kutschenfilmklassiker "Stagecoach" und begleitet von der Musik des "Spiel mir das Lied vom Tod"-Komponisten Ennio Morricone, in das Western-Genre hinein.

Direkt nach seiner Sklaverei-und-Rache-Saga "Django Unchained" geht Quentin Tarantino also erneut zurück in die US-Historie. Diesmal spielt seine Geschichte zwar nach dem Bürgerkrieg, aber der ist in den Köpfen immer noch virulent. Als die vier Reisenden in einem einsamen Blockhaus Schutz suchen vor einem heranziehenden Blizzard, treffen sie dort auf einen alten Südstaaten-General (Bruce Dern), einen maulfaulen Cowboy (Michael Madsen), einen vierschrötigen Mexikaner (Demian Bichir) und einen blasierten Gentleman, den Tim Roth wie die Urlaubsvertretung des Tarantino-Lieblingsdarstellers Christoph Waltz spielt. So sind die "hasserfüllten acht" nun also zusammengesperrt in einem Film, der sich zum Kammerspiel verengt hat und dabei Gewaltexzesse ausbrütet.

Schon in seinem Debütfilm "Reservoir Dogs" (1992) hat der sich kreuz und quer durch die Filmgeschichte zitierende Tarantino seine Figuren aufeinandergehetzt, in einer langen Folterszene hat er dabei wohl auch sogenanntem Torture-Porn wie der "Saw"-Serie den Boden bereitet. Und es sind ja auch nicht nur die von seinem zweiten Film "Pulp Fiction" (1994) inspirierten Nachahmer, welche die Popkultur durch ihre kaltblütigen Zynismus-und-Gewalt-Vermischungen "bereichern", es ist das Original selbst, das die Schleusen geöffnet hat. Wenn Killer ihr Geschäft mit Bibelsprüchen unterlegen, findet Tarantino das komisch, wenn Menschen extrem gewalttätig zu Tode kommen, ergießt sich über solche Szenen eine große Schadenfreude, die den Rahmen des bis dato akzeptierten schwarzen Humors sprengt.

In seinen letzten beiden Filmen, den Rachefantasien "Inglourious Basterds" und "Django Unchained", hat Tarantino diese Regelverstöße allerdings zielgerichtet eingesetzt, das eine Mal mit grandioser Chuzpe gegen die Nazis, das andere Mal gegen den amerikanischen Rassismus. Sein schwarzer Django wütet gegen die Sklaverei und zerfetzt dabei den Vom-Winde-verweht-Südstaaten-Mythos, von dem sich Hollywood nie ganz befreien konnte oder wollte.

Nein, dieser Film hat "Django Unchained" eigentlich nichts nachzutragen, die Themen Rache und Rassismus sind hier aus ihrem historischen Kontext gelöst und eingespeist in einen selbstverliebten Tarantino-Film. Viel Stoff für die Fans zur Exegese! Diese Rollennamen zum Beispiel, die immer auch Zitate sind; diese Kopfbedeckungen (von breitkrempig bis zur Melone); diese Rauchuntensilien (Pfeifen, Zigarren, Zigaretten); diese Haartrachten und Bärte (der von Kurt Russell sieht aus, als trage er zwei Eichhörnchenschweife im Gesicht). Und natürlich die Sprachmanierismen und Schimpfwörter, die der Regisseur in der ersten Hälfte in vielen, vielen Dialogen ausführlich vorstellt. Sein knapp dreistündiger Film ist in Kapitel eingeteilt, in der ersten Hälfte, in der sich die Figuren quasi ausmessen, wird gesprochen, dann hebt Tarantino die lineare Erzählung auf durch eine Rückblende, in der neues Personal auftaucht und wieder verschwindet – und danach sieht dieser Film rot und zelebriert genüsslich Grand Guignol, den blutspritzenden Theatervorläufer des Splattermovies, und inmitten dieser ausgekotzten Blutlachen agiert Marquis Warren wie der Detektiv Hercule Poirot in einem Agatha-Christie-Stück. Bloß dass Poirot einem Überführten nicht das Hirn herausgeschossen hätte.

So richtig schlimm erwischt es auch immer wieder die trotzige Daisy, die schon bei ihrem ersten Auftritt aus einem blauen Auge herausschaut und danach in kürzer werdenden Abständen den Ellbogen oder die Faust ihres Bewachers John Ruth ins Gesicht bekommt. Selten wurde eine Frau auf der Leinwand so oft gedemütigt und geschlagen wie hier. Ja, dies ist auch ein Gewalt-gegen-Frauen-Film, allerdings in der misogynen Variante. Denn die am Ende mit einer blutigen Teufelsfratze herumkeifende Daisy, so suggeriert Tarantino, hat es nicht anders verdient.

Es mag Zufall sein, dass "The Hateful Eight" zeitgleich mit einem anderen Western, nämlich Alejandro Gonzalez Inárritus großem Werk "The Revenant" in unseren Kinos läuft, dass beide Filme keine traditionellen, also moralisch "guten" Helden präsentieren, dass beide sich mit dem Motiv der Rache beschäftigen und beide auch noch im winterlichen Wyoming spielen. Aber so ist ein Kontext gegeben, innerhalb dessen man den Regisseur von "The Revenant" zitieren darf: "Schon immer hat es mich verwundert, dass viele Western die Rache als Erfüllung zeigen", sagt Inárritu. "Das ist ein von der Filmgeschichte penetrant produziertes Märchen, für das ich nur Verachtung übrig habe. Es ist kindisch und armselig." Rache, so Inárritu, lasse uns leer zurück. So wie der Film "The Hateful Eight" von Quentin Tarantino.

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3 Kommentare verfügbar

  • Bernd Kruczek
    am 27.01.2016
    Antworten
    Na ja, haben wir QT und seine Filme nicht ganz verstanden Herr Rezenzent?
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