Irgendwo im einsam-stürmischen Norden Chiles. Eine Clique älterer Männer trainiert am Strand einen Windhund, und sie schauen dann aus der Ferne zu, wie eine Frau diesen zum Wettrennen begleitet. Der Hund gewinnt. Er sei so schnell, dass er auch mal in der Hauptstadt laufen sollte, sagt einer der Männer. Die Frau, die in dieser kleinen Gruppe offenbar das Sagen hat, lächelt sanft, will diesem Wunsch aber nicht nachkommen. Kann ihm nicht nachkommen, weil sie, die Ex-Nonne Monica, nicht eine nette Wohngemeinschaft alter Freunde betreut, sondern eine Zwangsgemeinschaft von vier ehemaligen Priestern, die von der Kirche wegen verschiedener Verfehlungen aus dem öffentlichen Leben herausgenommen und in ein "Rückzugshaus" verbannt wurden.
"Wir stehen auf und beten. Danach gibt es Frühstück. Danach haben wir freie Zeit für persönliche Dinge. Um zwölf feiern wir die Messe ..." So gehen die Tage dahin in diesem Haus, das am Rande des Landes steht und so wirkt, als dämmere es auch dahin am Rande der Zeit. Aber jetzt fährt ein schwarzer Wagen vor und mit ihm meldet sich sozusagen die Außenwelt an. Der Neuankömmling, der ins klösterlich-karge Leben eingegliedert werden soll, ist schweigsam und depressiv. Und plötzlich steht noch ein anderer und jüngerer Mann mit Bart und wirrem Haargestrüpp vor der Tür und ruft ins Haus hinein, was dieser Priester mit ihm früher angestellt habe. Er redet und redet von andauerndem Missbrauch, häuft Details an ("Mir wurde speiübel vom Samen"), leiert seine Anklage herunter wie der Vorbeter einer nicht enden wollenden Litanei. Bis es die da drinnen nicht mehr aushalten, bis Schwester Monica dem Neuen einen Revolver in die Hand gibt. Der nimmt die Waffe, geht hinaus, zielt auf seinen Verfolger - und schießt sich dann selber eine Kugel in den Kopf.
So beginnt Pablo Larraíns verstörender Film "El Club", der bei der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde. Bei uns ist der Regisseur bekannt geworden mit dem 2012 gedrehten Polit-Film "No!", in dem ein junger Werbefilmer in den achtziger Jahren frischen Wind in die Opposition gegen Pinochet bringt und es mit seinen neuen Methoden tatsächlich schafft, dass der Diktator abgewählt wird. Ein differenzierter, letztlich aber optimistischer Film, der daran glaubt, dass verhärtete Strukturen aufgebrochen, dass Verhältnisse verändert werden können. Auch seinem neuen Film stellt Larraín zwei Sätze aus der Genesis voran, die hoffen lassen: "Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis". Aber dann verweigert der Regisseur seiner Geschichte das große und "gute" Licht, lässt sie nur nachts, in der Dämmerung, oder unter diesig-verhangenen Himmeln spielen.
Warum diese Düsternis, gerade jetzt, wo die katholische Kirche sich einen neuen Papst gewählt hat? Eine Lichtgestalt aus Südamerika, die doch sichtlich darum bemüht ist, den Graben zwischen alltagsfernem Dogma und echtem Leben zu überbrücken? Auch in "El Club" schickt diese Kirche schließlich einen Aufklärer, einen hageren, jungen Jesuiten namens Garcia, der ein Aufzeichnungsgerät auf den Tisch legt und in Einzelgesprächen herausfinden will, was in diesem Haus tatsächlich passiert ist. "Er sieht aus wie ein Reicher mit Schuldgefühlen", so bemerkt sarkastisch der alte Ex-Militärpfarrer, der sich mit seinen Mitbewohnern längst auf eine entlastende Version der tödlichen Ereignisse verständigt hat. Was genau er selber früher getrieben hat, wird nicht ganz klar, aber er wusste Bescheid über Pinochets Regime, über Gefängnisse, Folter und Mord. Der zweite Hausbewohner versucht, sich bei Garcias Verhör dafür zu rechtfertigen, dass er armen Paaren die Babys weggenommen und sie kinderlosen Reichen gegeben hat. Der dritte erzählt von seinen pädophilen Neigungen, und dem vierten, der meist dement vor sich hin dämmert, mischen sich hie und da erschreckende Sätze in die wirr-banale Rede. Nein, das sind alles keine Beichten, es fehlt nämlich jede Reue.
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Blender
am 04.11.2015