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Das Fliegaufmännchen

Das Fliegaufmännchen
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Tom Cruise macht mal wieder das Unmögliche möglich und rettet die Welt. Unser Filmkritiker hat in der 5. Auflage von Mission impossible einen neuen weiblichen Star entdeckt. Und nicht nur das.

Weltpremiere in der Wiener Oper! Puccinis "Turandot" in einer erweiterten Fassung, angereichert mit spektakulären Schikanen. Während die grausame Prinzessin auf der Bühne die Köpfe rollen lässt, turnt über und hinter ihr Tom Cruise durch die Kulissen und duelliert sich auf schwankenden Plattformen mit einem riesigen Finsterling. Jetzt kommt die große Arie des Tenors: "Nessun dorma". Auf einem Notenblatt, auf dem höchsten Ton, ist nun - Achtung: Hommage an Hitchcocks "Der Mann, der zu viel wusste"! - eine rote Markierung zu sehen. Da soll es also passieren! Während keiner schläft, will einer schießen. Einer? Nein, auf einmal sind drei Schützen im Spiel, unter ihnen eine schöne Frau im langen, gelben Kleid, und alle nehmen sie die Loge des österreichischen Kanzlers ins Visier. Und jetzt - ...

Aber halt! Da geht sonst einiges durcheinander. Zwar hat die Weltpremiere tatsächlich in der Wiener Oper stattgefunden, aber es war die des Action-Thrillers "Mission Impossible: Rogue Nation", in dem Tom Cruise zum fünften Mal den amerikanischen Welt-Rettungs-Agenten Ethan Hunt spielt. Unter anderem versucht er während einer "Turandot"-Aufführung seinen Gegenspielern vom "Syndikat" auf die Spur zu kommen, die für so ziemlich alle Anschläge, Attentate oder verschwundenen Flugzeuge der letzten Jahre verantwortlich sind. Dass "Turandot" ihre fiesen Ratespiele zur Zeit allerdings nicht in Wien, sondern auf der Seebühne in Bregenz veranstaltet, und dass Tom Cruises Kino-Konkurrent Daniel Craig alias James Bond dort schon im Jahr 2008 während einer Aufführung nach Schurken suchte, das wollen wir hier, um weitere Verwirrungen zu vermeiden, gar nicht erst erwähnen - zumal damals für Bond ja nicht "Turandot", sondern "Tosca" gegeben wurde.

Also ganz zurück, auf Anfang: Ethan Hunt springt in der Nähe von Minsk auf die Tragfläche eines Transportflugzeugs, das Sprengköpfe geladen hat. Während sein Kumpel Benji (Simon Pegg) unten auf der Erde die Sicherung der Fliegertüren zu hacken versucht, hat sich der Held beim rasenden Steilanstieg eine Stütze gegriffen und hängt sozusagen analog in der Luft. Achtmal wurde diese Szene gedreht, und immer hat Tom Cruise auf computergenerierte Doubles oder einen Stuntman verzichtet und sich selbst als Fliegaufmännchen betätigt. So wird es jedenfalls stolz verkündet. Die physische Fitness dieses Stars gehört eben zu dessen Image, die in der Filmstory angehäuften Gefahren werden deshalb ergänzt durch Berichte von riskanten Dreharbeiten, bei denen Cruise sich angeblich auch selbst durch alle motorisierten Verfolgungsjagden gesteuert hat.

Fast dreißig Jahre ist es her, dass Cruise als junger Top-Gun-Pilot in die Luft ging, vor fast zwanzig Jahren ließ er sich beim Auftakt der "Mission Impossible"-Reihe kopfüber und an Seilen hängend in einen Kontrollraum hinunter und führte dort in langen Einstellungen komplizierte Manöver durch. Schaut her, ich bin's! Schaut her, was ich kann! Aber jetzt ist Cruise 53, Konkurrenten wie der jüngere Matt Damon in der "Bourne"-Reihe ziehen nach oder an ihm vorbei, und die älteren wie Liam Neeson in der "96-Stunden"-Trilogie lassen sich durch schnelle Schnitte beschleunigen, flüchten sich wie Bruce Willis in den Stirb-langsam-Krachern respektive der "R.E.D."-Serie hinein in die Ironie ("Ich bin zu alt für diesen Scheiß!") oder kämpfen, so wie Schwarzenegger im neuen "Terminator"-Abenteuer, gegen eine Bits-and-Bytes-Version des jüngeren Selbst.

Es ist also schwerer geworden für Tom Cruise und die Rettung des Physischen. Aber er will das Alter nicht kommentieren, sondern ignorieren, will einfach nicht nachlassen, sondern sich beweisen, und präsentiert jetzt seinen nackten, fettlos-sehnigen Oberkörper. Allerdings ist er an einen Pfahl gekettet, und ein slawischer Folterer namens Viktor holt schon Hammer und Si- , äh, Hammer und Säge heraus. Aber da hat Ilsa Faust (Rebecca Ferguson) etwas dagegen, eine sportlich-elegante Agentin, die nun im Duett mit Hunt ein sehr tänzerisches und gut choreografiertes Massaker anrichtet. Bald wird man Ilsa in der Oper wiederbegegnen, als nie ganz ausrechenbare Frau in Gelb, und Ethan Hunt wird sich mit ihr in enger Unklammerung buchstäblich abseilen, und auch danach kommen sich die beiden immer wieder nahe und immer wieder wird dabei leise das "Nessun Dorma"-Motiv angespielt. Jawohl, dies ist ein Thriller mit Hochkultur!

Was übrigens die Frau betrifft: Bond wäre mit ihr (oder einer anderen) schon lange im Bett gelandet, Hunt dagegen ist ein in diesen Dingen eher zurückhaltender und fast schon keuscher Held. Und die Schwedin Rebecca Ferguson als Engländerin Ilsa ist ja auch kein Hunt-Girl, sie verbreitet eine erwachsen-reife Aura, deutet eher erotisches Versprechen an denn eine Aufforderung zum schnellen Instant-Sex - und erspielt sich sofort volle Gleichberechtigung. (Die Behauptung ist nicht allzu gewagt: A star is born!) Die Geschichte um dieses Paar herum könnte man denn auch als Liebes-Verhinderungs-Spektakel begreifen. Für das Syndikat allerdings, dessen Existenz vom Hunt-jagenden CIA-Boss (Alec Baldwin) lange bezweifelt wird, geht es nicht um die Zerstörung privaten Glücks, sondern um die Zerstörung der Welt. Wobei die komplexen Anschlags- und Intrigenspiele auf anderer Ebene durch radikale Reduktion kontrastiert werden: Das Böse speist sich letztlich aus nur einer Quelle, aus nur einem Syndikat, aus nur einem Obersaukerl.

Lange, lange ist dieser Böse, ein heiserer Asket mit zen-buddhistischer Ausstrahlung, dem Helden einen Schritt voraus, mehr noch: Er steuert diesen wie eine Marionette durch seine destruktiven Aufführungen. Und so macht sich in diesem Film von Christopher McQuarrie, der Eleganz, Glamour, Suspense, Tempo und Action ganz gut austariert, ein düster-skeptischer Grundton breit. Dass Agenten wie damals in den Kalte-Kriegs-Thrillern immer von ihren Bossen verraten und geopfert werden, ist hier kein Skandal, sondern bittere Selbstverständlichkeit: "Es gibt keine Alliierten, es gibt nur gemeinsame Interessen!" Vielleicht ist der ernste Ethan Hunt auch deshalb mehr und mehr zum Einzelkämpfer geworden, sein Team jedenfalls, für das er früher gearbeitet hat, ist ganz in den Hintergrund getreten. Jeremy Renner als neuer Chef hat nur ein paar verbale Auftritte, Ving Rhames als Technikexperte werkelt in wenigen Szenen im Hintergrund, nur Simon Pegg als Hunts komischer Sidekick spielt sich aus der Statistenrolle heraus.

Und zurück geht es auch im Stil, im Look dieses Films. Da wird der sich selbst zerstörende Auftrag in einem Londoner Schallplattenladen erteilt, da wird aus roten Telefonzellen heraus um Hilfe gerufen, da werden Gadgets wie Brillen mit Sprachübermittlung, Augenlinsen mit Kameras oder ein USB-Stick im Lippenstift vorgeführt, also all das, was mal Science-Fiction-Techno-Spielzeug war und heute höchstens noch wissenschaftlich errungene und beglaubigte Gegenwart ist oder gar schon Nostalgie. Sogar die Fans der alten "Mission Impossible"-TV-Serie aus den sechziger Jahren, die bei uns "Kobra, übernehmen Sie" hieß, kommen nicht nur durch die ein wenig aufgemotzte Titelmelodie von Lalo Shifrin auf ihre Kosten. Einmal nämlich zieht sich hier einer, so wie damals, eine Gummi-Maske vom Gesicht - und darunter schaut dann triumphierend Tom Cruise hervor. Kleines Zugeständnis an den aktuellen Stand der Technik: Die Maske in diesem Film, der in seinem Genre einiges mehr leistet als der Durchschnitt, ist mit einem 3-D-Drucker erstellt worden.

 

In Deutschland läuft der Film ab Donnerstag, den 6. August, in den Kinos.


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