KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Brunzdumme Bühnennazis

Brunzdumme Bühnennazis
|

Datum:

Das Heidenheimer Naturtheater hat Volkslieder zu Nazigesang verwurstet. Die Kritik unseres Autors Erich Schmeckenbecher an den Naturtheater-Nazis kontern die Regisseure mit Unverständnis und Sarkasmus. Der Liedermacher legt nach.

Dürfen Bühnennazis Volkslieder singen? Ja, wir leben in Freiheit. Jeder kann denken und sagen, was er will. Das kann natürlich auch falsch, widersprüchlich oder schlicht brunzdumm sein. In dieser Freiheit, in so einem "Land of the Free", wo eben alles grenzenlos und machbar erscheint, darf jeder dieses Recht nach Herzenslust in Anspruch nehmen. Ob es den Fakten standhält oder nur der Formel ("Wahrheit ist, was mir gerade nutzt") folgt, scheint bedeutungslos.

Wenn in einer Theateraufführung, wie jüngst im Naturtheater Heidenheim bei der Inszenierung der Blues Brothers geschehen, (Zum Artikel <link http: www.kontextwochenzeitung.de kultur nazis-auf-heidenheimer-art-2356.html _blank>Nazis auf Heidenheimer Art) Nazismus mit Überlieferung und Volkslied gleichgesetzt wird (Bühnennazis singen Volkslieder und das Publikum lacht über beide), fehlt es schlicht an Geschichtsbewusstsein. Wenn die Regisseure Sonja Fritz und Marc Jahraus mit der Feststellung kontern, es wäre womöglich besser gewesen, mit Texten wie "Die Müüücke, die Müüücke, die fickt mit List und Tüüücke" aufzuwarten, dann mangelt es enorm an Verstand.

Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit verwechselt man mal eben Kraut mit Rüben, mit dem schlichten Ziel nur "unterhalten" zu wollen. Dem Hinweis auf diese unzulässige Vermengung wird nicht mit Argumenten begegnet, sondern mit emotionaler Entrüstung. Da spielt sich einer als Spaßbremse auf. Kommt mit dem Zeigefinger daher und entrüstet sich, macht einen auf Moralapostel samt der völlig unangebrachten Frechheit, diese auch noch veröffentlichen zu wollen. 200 Puls!

Zeitgeist oder gedankenloser Umgang mit dem Volkslied

Es kann schließlich nichts Falsches daran sein, wenn nur einer von 1000 Besuchern - in dem Fall ich - bemerkt, was da schief läuft innerhalb einer Theateraufführung in der Provinz. "Wir fanden das einfach lustig und mit uns empfinden das 19 999 andere Menschen auch! Vielleicht haben wir ja doch den Zeitgeist getroffen", so die Regisseure Fritz und Jahraus.

Man hätte auch so reagieren können, wie Bernhard Ilg, der Oberbürgermeister der Stadt Heidenheim. Der CDU-Politiker schreibt: "Ich habe Ihren Beitrag in Kontext gelesen und kann Ihren Ärger über den gedankenlosen Umgang mit dem Volkslied gut verstehen. Mir selbst ist bei der Premiere der von Ihnen aufdeckte Zusammenhang zwar nicht aufgefallen, was aber nichts daran ändert, dass der achtlose Umgang mit Volksliedern zu bedauern ist. Ich könnte mir vorstellen, dass die Verantwortlichen im Naturtheater daran interessiert sind, Ihren Expertenrat zu hören."

Bei Letzterem irrt Herr Ilg. Das Naturtheater will nichts wissen, nicht nachdenken. Und die örtliche SPD, in Gestalt ihres Geschäftsführers Stefan Oetzel, meint, das Stück gehe zwar mit dem Thema Nazismus "zu salopp" um, aber gewiss "ohne Absicht - zum Glück". Diese Absicht ist aber vorhanden. Mit Vorsatz. Gut getarnt als "Stilmittel" der Freizeit-Unterhaltung und vordergründig, dem Laientheater geschuldet, eben "unpolitisch". Aber was heißt schon unpolitisch? Und was sagt die Heidenheimer Presse dazu? Sie schweigt. Das Naturtheater ist ihr Highlight.

Wenn gute Geschichte für ein paar billige Lacher vergewaltigt und durch den Dreck gezogen wird, wie in Heidenheim passiert, ist das zweifellos eine politische Äußerung, die so nicht unkommentiert stehen bleiben kann.

Ist es nicht gerade in letzter Ausprägung auch eine Art Nazimentalität, die eben mit genau solchen populistischen Halbwahrheiten immer wieder versucht, Leute für ihre Ziele hinter die Fichte zu führen? Begibt man sich damit nicht aus purer Dummheit in höchst gefährliche Nähe zu eben jenen Charakteren, die Geschichte schon immer für ihre Zwecke "inszenierten", gegen die man vorgibt letztlich dagegen vorzugehen? Nazis raus aus Heidenheim?

Was ist mit dem Respekt gegenüber der eigenen Geschichte? Warum ist es nicht möglich, in diesem Lande aufrecht das Wertvolle unserer Geschichte zu bewahren? Sind das die Auswirkungen einer privatisierten Medienlandschaft, die seit nun mehr als drei Jahrzehnten uns glauben machen will, dass die Vielfalt wächst. Ist nicht nur die Vielfalt in der Einfalt massiv gewachsen, vor der heutzutage jeder öffentlich-rechtliche Programmmacher wie vorm Gott der Quote vorauseilig einknickt? Erleben wir die Freie Republik der Dummheit durch ganz legale Wahlen? Versinkt unser Geschichte letztlich im gierigen Schlund des immer geilen Konsumenten, der im Laufe der Zeit vor lauter Wachstumswahn vom Dichter und Denker zum aggressiven Schnäppchenjäger mutiert ist?

Wir dürfen unsere Geschichte nicht für uncool halten

Wenn wir unsere Geschichte nicht mehr verstehen, sie gar nicht mehr verstehen wollen, so frei sind, sie für uncool und doof zu halten, sie vernebeln, aus Bequemlichkeit oder Unvermögen, dann gibt es keine Identität mehr. Man ist verdammt als Imitator, fremdbestimmt durchs armselige Leben zu stolpern. Ideen gibt es auch keine mehr, das war gestern. Erfindungen bleiben aus. Man ist auf andere angewiesen. Abhängig. Wirtschaftlich wie kulturell. Im Eimer. Dabei weiß doch jeder, dass es ohne Vergangenheit keine Zukunft gibt. 

Wo sind die Ideale geblieben? Gerechtigkeit, Solidarität, Friedfertigkeit. Ideale, deren Funktion ja noch nie darin bestand, sie sofort zu erfüllen, sondern darin, ihnen zu folgen! Warum, in aller Welt, ist es heute so schwierig geworden, einen Fehler einzugestehen und mit der entsprechenden Korrektur wieder aus der Welt zu schaffen? Warum ist das Recht-haben-müssen so immens bedeutungsvoll? In dieser Welt braucht es keine Geschichte und keine Traditionen mehr - und keine Freiheitslieder. Willkommen im "Land of the Free".

Anmerkung der Redaktion: Jenseits der Ostalb ist Schmeckenbechers Kritik auf Zuspruch gestoßen. Der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski (Badenweiler) gratulierte ihm zu dem "fundierten, sorgfältigen und leidenschaftlichen Artikel". Safranski hat einst zusammen mit Peter Sloterdijk das "Philosophische Quartett" im ZDF moderiert.


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


3 Kommentare verfügbar

  • hju
    am 04.09.2014
    Antworten
    "Wenn wir unsere Geschichte nicht mehr verstehen, sie gar nicht mehr verstehen wollen, so frei sind, sie für uncool und doof zu halten, sie vernebeln, aus Bequemlichkeit oder Unvermögen, dann gibt es keine Identität mehr. "
    Worin unterscheidet sich dieses kulturpessimistische Geheule eigtl. von dem…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!