KONTEXT:Wochenzeitung
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Räuberschach am Nesenbach

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Das Wissenschaftsministerium entblöde sich nicht, die Sparvorgaben des Rechnungshofes zu übernehmen und möglichst viele Studienplätze an den Musikhochschulen zu streichen. Das kritisiert der Präsident der Universität der Künste in Berlin, Professor Martin Rennert, in einem Exklusiv-Beitrag für Kontext.

Vielleicht ist es wichtig, vorab festzustellen, was man alles nicht beklagen will. Eingehende Kontrollen der Ausgaben und der Verfahrensweisen öffentlicher Institutionen etwa, die für alle staatlichen Aufgaben knappen Mittel oder die Notwendigkeit aller aus Steuermitteln finanzierten Einrichtungen, die ihre selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Aufgabe deutlich und glaubwürdig werden lassen müssen. Die Zeiten, in welchen auch früher unbefragte und im eigenen Selbstverständnis für das Gemeinwesen konstitutive Institutionen oder Kostenträger davon ausgehen konnten, unbefragt zu bleiben, sind lange vorbei. Opernhäuser, Straßenbauprojekte oder Bahnstrecken, Gymnasien, Museen oder innerstädtische, kommunal unterstützte Infrastruktur, Orchester wie auch Universitäten et cetera, et cetera – häufig überrascht können sich alle unversehens im Fokus einer durchaus berechtigten politischen, fiskalischen, medialen oder auch nur bürgerschaftlichen Aufmerksamkeit wiederfinden. Das mag anstrengend sein, ist aber gut so und ist zudem hilfreich bei der Definition der eigenen Rolle. 

Doch gegenwärtig findet in Baden-Württemberg etwas statt, was im besten Fall kurios, im schlimmsten Fall demaskierend und beschämend genannt werden muss: zwei Kapitulationen der besonderen Art, mit allen Anmaßungen, Mutlosigkeiten und auch Brüchen in der Sache gebotener und eigentlich selbstverständlicher Solidarität. Einem großen Publikum bietet sich ein Trauerspiel, von dem es aber überheblich wäre, anzunehmen, dass dieses sich nicht ebenso gut auch anderswo in diesem Land (und weit darüber hinaus) schon vollzieht oder abspielen könnte. Im ureigensten, aber auch gemeinsamen Interesse deshalb dieser Zwischenruf.

Zunächst die Fakten in aller Kürze: Der Rechnungshof des Landes Baden-Württemberg hat sich die fünf dortigen Musikhochschulen vorgenommen und sie nicht nur entlang der Parameter ihres wirtschaftlichen Gebarens betrachtet, sondern erstaunlicherweise auch inhaltlich bewertet und ihnen "grundsätzlich gute Arbeit" bescheinigt. Sie seien allerdings sehr teuer, und er schlägt vor, von einem Etat von zusammen etwa 45 Millionen etwa fünf Millionen einzusparen. Hierzu macht er Vorschläge, einerseits struktureller Art, andererseits hinsichtlich der seiner Meinung nach zu großen Zahl ausländischer – fernöstlicher – Studierender. Diese sollten erhebliche Gebühren zahlen, ebenso Deutsche und Europäer nach der Regelstudienzeit. Hinzu käme, dass sowieso weit "über den Bedarf hinaus ausgebildet" werde.

Auf diese Vorschläge reagiert das Ministerium ohne Irritation, sondern mit warmen Worten: Es müsse etwas geschehen; eigentlich seien diese Hochschulen Perlen, allerdings durchaus teuer. Die Anpassung an einen "Bedarf" sei sinnvoll, und man möge Studienplätze abbauen. Es gehe allerdings nicht vorrangig ums Sparen, sondern um "Weiterentwicklung" mit konsolidierendem Ergebnis. Eine Expertengruppe wird einberufen, die vorschlägt, zwei der fünf Hochschulen zu spezialisieren – die eine auf Jazz, Pop und Tanz, die andere auf Alte Musik und Elementare Musikpädagogik. Darüber hinaus gehende Angebote würden aufgelöst. Es wird von einer "bundesweit einmaligen Profilbildung" ebenso gesprochen wie von hiermit vollzogenen "weiteren Schritten zur Stärkung der kulturellen Bildung".

Nun die betroffenen fünf Hochschulen, die sich, furchtsam und überrascht, nicht auf ein eigenes Modell einigen können. Die drei weniger bedrohten Hochschulen wollen dem Vorschlag des Ministeriums mehr oder weniger genau folgen, die zwei anderen natürlich nicht. Die Landeskonferenz der Rektoren der Musikhochschulen bricht auseinander, eine Gegenkonferenz wird von zweien gegründet, das Drama nimmt seinen Lauf.

Mit heutigem Datum steht zu erwarten, dass es in BW eben diese zwei Hochschulen für Musik weniger geben wird. Dies fänden zwar einige Leser und Leserinnen vielleicht bedauerlich, die Tatsache geriete dennoch ziemlich bald in Vergessenheit. Selbst die beschworene "bundesweit einmalige Profilbildung" änderte daran wohl wenig.

Was nenne ich wohl an einem Geschehen beschämend, das sich, für die Betroffenen sicherlich dramatisch, für die allermeisten aber unterhalb der Wahrnehmungsgrenze und so oder ähnlich an vielen anderen Stellen ebenso abspielt?

Zunächst: Vielleicht ist eine solche Überschreitung der eigenen Kompetenz ja in BW üblich, aber ein Rechnungshof hat klar definierte Aufgaben, und es ist eine Anmaßung, wenn er Kulturpolitik ("Gute Arbeit", "Bedarf") oder gar Außenpolitik ("Beschränkung außereuropäischer Studierender") betreibt; wenn sich ein Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst nicht entblödet, dies nicht strikt zurückzuweisen, sondern es in vielen inhaltlichen Details unbekümmert als eigene Position übernimmt und nicht darauf dringt, die zugrunde liegenden politischen Grundsatzfragen und deren Diskussion als eigene Aufgabe zu reklamieren, macht das fassungslos. Geschähe Ähnliches in Berlin, stünden Politiker aller Parteien Seit an Seit mit der zuständigen Ministerin auf den Barrikaden.

Auf den Barrikaden fänden sich in der ersten Reihe aber auch noch andere – nämlich die Rektoren und Rektorinnen der künstlerischen Hochschulen, ebenso alle Rektoren und Rektorinnen der Fachhochschulen, nicht zuletzt auch die Präsidenten der vier Berliner Universitäten: der Freien, der Humboldt-, der Technischen und der Universität der Künste. Wahrlich unbegreiflich finde ich das gesammelte Schweigen vor allem der Hochschulen für Bildende Kunst in Baden-Württemberg – und keiner möge sagen, hier ginge es um für Außenstehende undurchdringliche Interna.

Denn um diese geht es eben nicht. Es geht – die eingehende und unumgängliche eigene Prüfung vorausgesetzt (siehe Absatz eins), denn Zuständigkeitswirrnis heißt ja nicht, dass es nichts zu besprechen gäbe – um die Frage, was Künste, aber auch Wissenschaften, autonomes Denken jenseits ökonomischer Logik also schlechthin, in dieser Gesellschaft für einen Stellenwert haben, ob wir uns in hochschulischen Formaten offen, bewahrend wie innovativ intelligent verhalten, ob die Tradierung von Fähigkeiten und interpretatorischer Differenziertheit in ihrem Eigenwert einem Publikum noch zu vermitteln sind. Es geht auch um das Gewicht unserer auswärtigen Kulturarbeit und ihrer Grundsätze seit 1945, um die Anliegen und Verdienste des DAAD, ob wir die gleichen lemminghaften Bewegungen in der Studiengebühren-Frage wie im Bologna-Prozess machen sollten, ob unser Beitrag zu einer globalen Gesellschaft nicht vielleicht finanziell offensiv niedrigschwelliger als im Bildungsbusiness der Neuzeit üblich sein sollte.

Und es geht um die Gestaltung der Gesellschaft insgesamt und die Reflektion ihrer Zukunftsentwürfe.

Mag ja sein, dass es in Deutschland zu viele Rechtsethiker, Oboisten, Wasserbauingenieure oder Medienkünstler gibt, wenn man sie an der Zahl der offenen Stellen misst, und nur solche Maßstäbe unterstelle ich einer Rechnungshofbetrachtung. Aber seit wann sind wir so hasenfüßig geworden, dass alles, was unserer Kultur zugrunde liegt – inklusive einer weit über Einzeldisziplinen hinaus funktionierenden, lebendigen Diskursivität – so nolens volens und ohne jeden Aufschrei zur unsinnigen Ausgabe und zum Standortnachteil erklärt werden kann? Wo, wenn nicht in den Universitäten und Hochschulen, aber auch Parlamenten eines Landes, kann denn eine solche Reflexion von Zukunftsentwürfen stattfinden? Allerdings nur, wenn man sie auch stattfinden lässt: Das Auseinanderreißen integral miteinander verwobener Teile einer Musikhochschule – hier Kunst, dort Elementare Musikpädagogik, hier Brahms, dort Pergolesi – ist auf dieselbe Weise dämlich, als wollte man einer TU die Physik entziehen oder die Technische Mathematik auslagern. Zumindest hier hat das Ministerium recht: Dies wäre wahrlich eine "bundesweit einmalige Profilbildung" der besonderen Art, zum Schrecken des Publikums.

Und so landen wir unversehens genau dort, wo wir immer hätten zuerst sein müssen: beim Publikum, der Öffentlichkeit, dem in den Diskussionen am meisten vernachlässigten und mutlos durch Sachzwänge gedemütigten Faktor. Wesentliche Teile unserer Kultur haben wir ihm in den Schulen, Museen und Konzerthäusern bereits fürsorglich erspart, aus Angst vor elitärer Überforderung sind Musikschulen, wo sie nicht geschlossen wurden, mittlerweile zumeist Orte musikalischer Animation, alle Fragen der Autorenschaft, der eigenständig erarbeiteten künstlerischen oder intellektuellen Aussage und deren Fähigkeit, ganze Sprachen zu ersetzen und Erkenntnisse zu schaffen, haben wir dermaßen relativiert, dass man nicht darüber staunen darf, dass Neue Musik, experimenteller Film, aber auch die philosophisch und ökonomisch hochkomplexen Fragen hinsichtlich der Urheberleistung mittlerweile auch in der Heimat von Lenau, Mörike und Hölderlin auf blankes Unverständnis stoßen. Der zunehmenden Komplexität der Welt begegnen wir nicht mit den Überzeugungen und Kenntnissen aus einer reichen kulturellen Geschichte, sondern mit einer Art paralysierender Scham ob unserer realitätsfernen Naivität.

Wie soll es verwundern, wenn man also die Frage des Bedarfs an geistiger oder künstlerischer Fähigkeit, die Welt zu gestalten, von Rechnungsprüfern bearbeiten lässt, wenn nicht auffällt, dass die bedingungslose Offenheit gegenüber Studierenden aus aller Welt einer der stolzesten Gegenentwürfe dieses Landes ist, mitten in einer Welt globalisierter Sprachverwirrung und edukativer Geschäftemacherei – ein zentrales und bei weitem nicht gut genug vermitteltes Element der hiesigen multipolaren Außenpolitik?

Zum Geld. Einen Berliner können fünf Millionen an Einsparungen nicht erschüttern. Hier ist man viel Kummer gewohnt. Doch fragt es sich schon, ob nicht einzig die große Geschlossenheit bei den soeben geführten Vertragsverhandlungen für alle Universitäten, Fachhochschulen und künstlerische Hochschulen Berlins – Institutionen, die durchaus miteinander in oft harter Konkurrenz stehen! – der entscheidende Grund für ihren positiven Ausgang war. Verhandlungen mit dem Senat für die Jahre bis 2017 gingen in dieser gebeutelten Stadt vor wenigen Wochen insofern gut zu Ende, als die Hochschulen gemeinsam nur etwa 20 Millionen unter der einmütig und transparent errechneten Mindestsumme zum Erhalt des Status quo blieben. Doch merke: Der Landeshaushalt der nächsten Jahre steigt um 0,3 Prozent per annum, der Wissenschaftsetat um das Zehnfache. Die zentrale Rolle als Verhandlungsführer für alle 16 Universitäten, Fachhochschulen und künstlerischen Hochschulen hatte übrigens in größter Sachkompetenz und Loyalität der Präsident der TU Berlin inne und als dessen Stellvertreter kann der Autor dieses Artikels bezeugen, dass er auch für Künste oder eine Hochschule für Sozialwesen nicht zum Jagen getragen werden musste. Die Ministerin musste nicht überzeugt werden, aber mitten in der Politik wurde auf diese Art ein breiter Konsens für selbstbewusstes Handeln in allen hochschulischen Bereichen in unzähligen Gesprächen gebildet.

Zwei Kapitulationen also: Die Solidarität aller Hochschulen des Landes – und ich meine wirklich aller! – sollte nicht erst erbettelt werden müssen. Sie ist zwingend, sonst fällt den Damen und Herren in der Behörde vielleicht als Nächstes ein, die Sinnhaftigkeit etwa der Literaturwissenschaft nach ihren Maßstäben zu messen.

Zweitens: Reformen und Selbstkritik sind das eine, die Gestaltung gesellschaftlicher Realität das andere. Einerseits kann man immer besser werden. Andererseits gibt es immer gute Gründe, zu sparen, und viele wichtige und unterfinanzierte Anliegen. Doch wenn man sich der Mühe einer ehrlichen und selbstbewussten Diskussion über das Gewicht kulturellen und qualitativ weithin anerkannten, jahrzehntelangen Engagements entzieht, um rund ein 10 000stel des Landeshaushalts einzusparen, stimmt etwas nicht in den Gewichtungen. Tut man dieses, hat man sich als Politik, von der man sich schon erhoffen muss, dass sie mutig zu gestalten und zu investieren bereit ist, aus der Verantwortung gestohlen.

 

Professor Martin Rennert ist seit 2006 Präsident der Universität der Künste Berlin. Er wurde 1954 in New York geboren und studierte Musik in Wien und Granada. Ab 1973 gab er weltweit Konzerte und Meisterkurse. Von 1984 an war Martin Rennert zusätzlich als Herausgeber tätig, zwischen 1982 und 1992 leitete er mehrere Sendereihen im ORF-Hörfunk zu künstlerischen und kulturpolitischen Themen. 1995 gründete er die Zeitschrift "European Journal of Arts Education", Brüssel. 1985 wurde er zum Professor an die Hochschule der Künste Berlin (heute Universität der Künste Berlin) berufen. Von 1989 bis 1995 war er Dekan der Fakultät Musik, 1995 bis 1997 Präsident der European League of Institutes of the Arts (ELIA) in Amsterdam. Im Jahr 2003 wurde er zum Ersten Vizepräsident der Universität der Künste Berlin gewählt, seit 2006 ist er Präsident der Universität der Künste Berlin. Professor Martin Rennert ist stellvertretender Vorsitzender der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Universitäten und Hochschulen des Landes Berlin (LKRP). Seit 2011 ist Prof. Martin Rennert Mitglied des RBB-Rundfunkrats (ARD) und seit Oktober 2012 Mitglied des Programmbeirats bei Arte.


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5 Kommentare verfügbar

  • Wolf
    am 08.10.2013
    Antworten
    Ohne Zweifel ein brillianter Beitrag...Wie teuer kommt uns der Rechnungshof?Wär doch ne aufschlussreiche Recherche wert.Und wie unabhängig ist er?
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