KONTEXT:Wochenzeitung
KONTEXT:Wochenzeitung

Zu viele Musiker?

Zu viele Musiker?
|

Datum:

Fünf Millionen Euro möchte der Landesrechnungshof bei den Musikhochschulen einsparen, das Wissenschaftsministerium nur vier: Das sind 0,01 Prozent des Landeshaushalts. Angeblich bilden die Hochschulen "über den Bedarf hinaus" aus. Aber wie bemisst sich der Bedarf an Musik?

"Es bestehen deutliche Indizien dafür, dass die Zahl der Absolventen in den klassischen künstlerischen Studiengängen mit Einzelunterricht (insbesondere zum Instrumentalmusiker) den Bedarf an qualifizierten Nachwuchsmusikern überschreitet", heißt es im Papier des Rechnungshofs, <link http: www.miz.org artikel>und das Ministerium stimmt eilfertig zu: "Die Aussage des Rechnungshofs, dass die Musikhochschulen über den Bedarf hinaus ausbilden, muss ernst genommen werden." "Dies zeigt sich daran", begründet der Rechnungshof seine Meinung, "dass längst nicht alle Absolventen der künstlerischen Studiengänge als Solo- oder Orchestermusiker arbeiten, sondern schließlich im Arbeitsfeld Musikpädagogik/Musiklehrer tätig werden, für das eine weniger aufwendige Ausbildung ausreichend gewesen wäre".

Eine zynische Argumentation. Denn natürlich können weniger Musikhochschulabsolventen mit einem festen Arbeitsplatz als Orchestermusiker rechnen, wenn die <link http: www.dov.org newsreader items orchester_-_frisch_gestrichen.html>Zahl der Orchester ständig zurückgeht. 1992 gab es in Deutschland noch 168 Orchester. Heute sind es nur noch 132, und wie die Diskussion um das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg zeigt, droht eine weitere Abwärtsspirale. 2315 Planstellen sind seit 1992 bundesweit entfallen, das sind rund 20 Prozent aller Orchestermusiker. Eine Kürzung bei den Studienplätzen um ebenfalls 20 Prozent würde aber bedeuten, dass es nicht nur weniger Orchestermusiker, sondern ganz allgemein weniger hoch qualifizierte Musiker gibt. Ob dies gewünscht sein kann, darüber redet weder der Rechnungshof noch das Ministerium.

Die Arbeitslosenquote ist rückläufig

"Ich hab noch nicht von vielen arbeitslosen Musikern gehört", sagt Ulrike Storz, die als Soloviolinistin auftritt, aber auch mit Ensembles und Orchestern gespielt und zeitgenössische Musik auf Schallplatte aufgenommen hat. Mit dem Cellisten Scott Roller hat sie 2005 das Projekt<link http: open-music.eu> Open Music ins Leben gerufen, das Schüler aller Schularten und Altersstufen anleitet, sich mit den Mitteln der Improvisation musikalisch auszudrücken. Im mehrfach ausgezeichneten Projekt "Jetzt!" stehen einmal im Jahr bis zu 150 Schülerinnen und Schüler auf der Bühne des Stuttgarter Theaterhauses. Dafür wäre keineswegs eine "weniger aufwendige Ausbildung ausreichend gewesen". Vielmehr mussten Ulrike Storz und Scott Roller über ihre herausragenden instrumentalen Fähigkeiten hinaus zusätzliche Qualifikationen im Bereich der Improvisation und der Musikpädagogik erwerben.

Aber Storz hat recht: Von 2005 bis 2011 – neuere Zahlen liegen nicht vor – ging die Arbeitslosenquote bei Musikern von 11,2 auf 4,3 Prozent zurück, bei Musikerinnen gar von 8,4 auf 2,1 Prozent. Im Durchschnitt aller Berufe lag sie 2011 dagegen bei 7,1 Prozent. Unter Musikern gibt es also deutlich weniger Arbeitslose als im Durchschnitt aller Berufsgruppen. Ist das ein Grund, weniger Musiker auszubilden? Neben einer Laufbahn als Orchestermusiker stehen Musikhochschulabsolventen viele andere Möglichkeiten offen. Einige der Besten arbeiten in selbst organisierten Ensembles, andere als Lehrer und in vielen anderen Bereichen. Der Vorschlag des Landesrechnungshofs liefe letztlich darauf hinaus, das Niveau der Ausbildung und damit die Qualität der Musikkultur im Land insgesamt zu senken.

Hier argumentiert Theresia Bauer anders, nämlich mit einer "Steigerung der Qualität der Musikhochschullandschaft als Ganzes durch Profilbildung und fachliche Spezialisierung". Dieses Standardargument aus dem Baukasten der Hochschulpolitik mag auf technische Fächer anwendbar sein, wo bestimmte Forschungsaufgaben an einzelnen Standorten konzentriert werden, um teure Doppelinvestitionen zu vermeiden. Auf künstlerischem Gebiet wäre eine solche Fokussierung der Kompetenzen an getrennten Standorten tödlich. Wenn in Trossingen nur noch Alte Musik und Elementare Musikpädagogik angeboten würden, wie es das Wissenschaftsministerium vorschlägt, würde der Standort für Studierende völlig unattraktiv. Die "Elementare Musikpädagogik" (EMP) ist ein Musikunterricht, der die komplette Breite des Umgangs mit Musik umfasst. Wie sollen Studierende diese Breite lehren, wenn sie selbst sich in ihrem Studium nur mit Alter Musik beschäftigt haben?

Qualität entsteht nicht durch Spezialisierung

Auch für den Jazz gilt: Qualität entsteht nicht durch Spezialisierung, sondern wenn Musiker ein breites Spektrum an Fähigkeiten erwerben, also zum Beispiel gleichermaßen vom Blatt spielen wie improvisieren können. Mit der Konstruktion, Jazz nur noch in Mannheim anzubieten, meint das Ministerium auch die "ungelösten Strukturprobleme bei der Popakademie" bewältigen zu können. Die Popakademie war von Anfang an auf die Musikindustrie ausgerichtet, die allerdings mit der Förderung knausert. Offenbar soll sie nun auf Kosten der Mannheimer Musikhochschule saniert werden.

Das Ministerium argumentiert, fünf Musikhochschulen gäbe es in keinem anderen Bundesland. Das ist richtig, selbst in Nordrhein-Westfalen gibt es nur vier, wenn auch an sechs Standorten. In manchen Ländern wie Sachsen-Anhalt oder Rheinland-Pfalz kann man überhaupt nicht Musik studieren. Dafür gibt es an der Universität der Künste Berlin mehr Musikstudenten als an allen fünf baden-württembergischen Hochschulen zusammen. Auf die Bevölkerungszahl umgerechnet, liegt die Zahl der Studienplätze im Land minimal über dem Bundesdurchschnitt. Mecklenburg-Vorpommern oder das Saarland bilden vergleichsweise mehr Musiker aus.

Im Land gibt es 1,2 Millionen Musikschüler

Aber in Baden-Württemberg gibt es von allen Bundesländern die meisten <link http: www.musikschulen-bw.de musikschulen.html>Musikschulen. 36 000 Musiker unterrichten hier 1,2 Millionen Schüler. Diese Lehrer haben alle an einer Hochschule studiert. Dies ist für die Musikschulen die Voraussetzung, das <link http: www.musikschulen-bw.de pdf guetesiegelvdm.pdf>Gütesiegel des Verbands VdM zu erhalten. "Die öffentlichen Musikschulen sind mit ihrem breit gefächerten Berufsfeld nach wie vor Hauptabnehmer von Absolventen der Musikhochschulen", betont Ulrich Rademacher, der Bundesgeschäftsführer des Verbands, in einer <link http: www.musikschulen.de aktuelles news>Stellungnahme zu den Plänen des Ministeriums: "Anders lautende Äußerungen jüngeren Datums sind als weitgehend analysefrei erfolgt zu werten." Welche "weniger aufwendige Ausbildung" den Bedarf der Musikschulen an qualifizierten Lehrkräften decken soll: Die Antwort auf diese Frage bleibt der Landesrechnungshof ebenso wie das Ministerium schuldig. 20 Prozent weniger Absolventen könnten den Bedarf der Musikschulen im Land niemals abdecken. Diese müssten versuchen, Bewerber aus anderen Bundesländern abzuwerben.

Ulrike Storz und Scott Roller hatten ursprünglich vor allem mit Gymnasiasten gearbeitet, die allerdings in neuerer Zeit durch das achtjährige Abitur mehr in Anspruch genommen sind. Dafür nimmt das Interesse der Grund-, Haupt- und Realschulen zu. In diesen Schulstufen müssen sie jedoch häufig bei null anfangen: Wie Storz feststellen musste, gibt es dort oftmals überhaupt keinen Musikunterricht. Unter Annette Schavan wurde das Fach Musik 2004 in den Fächerverbund <link http: www.lmr-bw.de portals downloads studie_mnk.pdf>Menuk (Mensch-Natur-Kultur) eingegliedert. Während Musiklehrer dieser Schulen früher an der pädagogischen Hochschule Musik studiert hatten, ist es heute reine Glücksache, ob die Schüler im Fach Menuk einen Lehrer erhalten, der einen qualifizierten Musikunterricht anbieten kann. Nur noch bei der Hälfte der Lehrer ist dies der Fall. Viele Schulen haben nicht einmal einen eigenen Musiksaal. Manchmal werden externe Lehrer herangezogen – die Kosten dafür tragen dann in vielen Fällen die Eltern. Hier gegenzusteuern wäre eigentlich die Pflicht der Landesregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag "die Verbesserung der musikalischen Breiten- und Spitzenförderung" vereinbart hat.

Was wird aus dem Musikunterricht?

Was mit dem Musikunterricht passiert, wenn die Schullandschaft neu sortiert wird und die bisherigen Haupt-, Real- und Werkrealschulen nach und nach in Gemeinschaftsschulen aufgehen, dazu hat sich das Wissenschaftsministerium überhaupt noch nicht geäußert. Nach bisherigem Stand ist zu befürchten, dass dann selbst das jetzige, unzureichende Niveau nicht gehalten werden kann. Nur an den Gymnasien findet der Unterricht in aller Regel statt. Aber auch nicht an allen: "97 Prozent aller Schüler an beruflichen Gymnasien erhalten keinen Musikunterricht", stellt <link http: www.lmr-bw.de aktuellesundtermine tabid articletype articleview articleid prasident-wilske-zu-den-kurzungsvorschlagen-an-den-musikhochschulen.aspx>Hermann Wilske, der Präsident des Landesmusikrats, fest.

"Der drohende Verlust der Standorte Trossingen und Mannheim", warnt Wilske, "verbunden mit der beabsichtigten Schließung des SWR-Orchesters Freiburg, stellt einen dramatischen Kulturabbau dar, wie er in der Geschichte des Landes Baden-Württemberg ohne Gegenbeispiel ist. Zur Disposition steht nichts Geringeres als jene singuläre musikalische Vielfalt, welche das Leben der Menschen – und damit die kulturelle Identität dieses Bundeslandes – bis auf den heutigen Tag unverwechselbar prägt."


Gefällt Ihnen dieser Artikel?
Unterstützen Sie KONTEXT!
KONTEXT unterstützen!

Verbreiten Sie unseren Artikel
Artikel drucken


10 Kommentare verfügbar

  • Pia Michel
    am 05.10.2013
    Antworten
    Ich persönlich finde es schade, dass der Musik ein so geringer Stellenwert eingeräumt wird. Vielleicht hat es etwas mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu tun. Früher war Musik noch etwas besonderes, da man sie nicht immer und überall abrufen konnte. Heute ist gute Musik etwas…
Kommentare anzeigen  

Neuen Kommentar schreiben

KONTEXT per E-Mail

Durch diese Anmeldung erhalten Sie regelmäßig immer Mittwoch morgens unsere neueste Ausgabe unkompliziert per E-Mail.

Letzte Kommentare:






Die KONTEXT:Wochenzeitung lebt vor allem von den kleinen und großen Spenden ihrer Leserinnen und Leser.
Unterstützen Sie KONTEXT jetzt!