Um uns herum lauter Einheimische, extrem gastfreundliches Publikum. Von Ressentiments keine Spur. Im Gegenteil: alle aufgeschlossen, manche blubbern offensiver als Deniz Undav. So soll Bundesliga sein. Einer der wenigen Anlässe, an denen sich noch alle treffen: arm und reich, jung und alt, Nord und Süd, Ost und West. Trotzdem gibt's überhaupt keinen Grund, sich einlullen zu lassen. Schließlich befinden wir uns mitten in der verbotenen Zone des deutschen Fußballs. Willkommen in der Entertainment-Arena.
Bei Rasenballsport Leipzig handelt es sich um die Eventabteilung eines österreichischen Getränkekonzerns. "Rasenballsport" – musst du erstmal drauf kommen. Hingedrechselt wegen der Buchstaben RB. Da könntest du ebenso auf die Idee kommen, eine Partei mit dem griffigen Namen "Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft" zu erfinden, nur weil du bestimmte Buchstaben treffen willst. Aber von der russischen Filiale zurück zu einer österreichischen, deren fußballfernen Namen ich nicht wiederholen werde. Ab sofort schreib ich "Raba". Das klingt angemessen scheußlich.
Leicht klebriges Erlebnis
Die rund 40.000 Gummibärchen-Fans haben damit keine Probleme. Die haben sich längst vom Raba-Retortenkonstrukt einseifen lassen. Persönlich kannst du das ja niemandem verübeln. Wenn in deiner Stadt schicker Prada-Fußball geboten wird und du das sehen willst, gehst du eben hin. "Olee olee – oleoleolee – Rasenballsport oleee", singen die Gummibärchen pflichtschuldig. Fraglos ein Sieg des Marketings über jede Vernunft. Aber nicht, dass du denkst, es ginge hier um phonetische Geschmacksfragen, vorgestrige Fußballromantik oder die alltägliche Gegner-Verachtung. Die Raba-Inszenierung eines Fußballvereins ist leider brandgefährlich. Warum das so ist, erkläre ich gerne.
Weil es sowas nie hätte geben dürfen. Laut DFB-Statuten. In dessen Satzung, Paragraph 15, Absatz 2, steht ganz klar: "Änderungen, Ergänzungen oder Neugebungen von Vereinsnamen und Vereinszeichen zum Zwecke der Werbung sind unzulässig." Aber die Dosen hatten gut verwinkelte Anwälte. Die haben auf die Gemeinnützigkeit gepfiffen und ein Schlupfloch im Vereinsrecht ausgenützt. Die Vereinsbehauptung zählt 23 stimmberechtigte Mitglieder, alle aus dem Kreis des Dosenkonzerns. Andere sind nicht gewollt. Auch Werbename und das Marketing-Logo hätten laut Statuten niemals genehmigt werden dürfen. Aber was zählen strenge Richtlinien, wenn deine Lobbying-Abteilung professionell arbeitet. Wenn du deren Ratschläge befolgst, eine Horde Fußball-Promis bezahlst, das Ding zu einer Aufbauhilfe Ost deklarierst, wenn du dann noch verdiente DFB-Funktionäre einstellst, dann bekommst du, was du willst.
Das Erfolgsrezept funktioniert übrigens bis zum heutigen Tag. Raba hat Jürgen Klopp ja nicht als harten Arbeiter auf dem Trainingsplatz angestellt. Sie haben ihn als verkappten Öffentlichkeitsarbeiter verpflichtet. Auch um zu verstecken, was sie hinter ihrer Vereinsfassade in den letzten 15 Jahren aufgebaut haben: nämlich nichts. Auch mehr als 15 Jahre, nachdem Raba das Startrecht vom SSV Markranstädt gekauft hat, ist kein gemeinnütziger Ansatz zu finden. Keine Demokratie – und schon gar kein Breitensport. Schließlich geht's nur um die Profis der RB Leipzig GmbH. Die haben schon Championsleague gespielt.
Kleine Regelkunde
Jetzt könntest du natürlich sagen, das sind doch Geburtsfehler. Lass ma gut sein mit den ollen Kamellen. Und Lobbying, könntest du sagen, das gehört nun mal dazu. Aber du kannst trotzdem nicht wegdiskutieren, wie die Leipziger Vereinsbehauptung die zentrale 50+1-Regel bricht. Sie ist vielleicht die wichtigste Regel im deutschen Vereinsfußball, weil sie verhindert, dass er zum Spielball von merkwürdigen Investoren verkommt. Die goldene Regel gehört schleunigst in Gold gegossen. Sie definiert, dass die eingetragenen Vereine gefälligst mehr als die Hälfte der Stimmanteile an ihren ausgegliederten Profiabteilungen behalten müssen. Hört sich kompliziert an, entfaltet aber kräftige Wirkung als Schutz gegen den Ausverkauf der Bundesliga.
Leider hat die Regel drei Ausnahmen. Warum auch immer. Raba ist eine davon. Weil die Dosen schließlich Geld in den Fußball pumpen – und das nicht zu knapp. Da greift der Grundreflex der herrschenden Bundesligaclique. Die benehmen sich ja, als würden sie im Geldspeicher von Dagobert Duck wohnen. Wenn's irgendwo Münzen regnet, darf man ja nicht knausrig sein, schon gar nicht bei Grundsätzen und Statuten. Im deutschen Fußball weiß ja jeder, dass der 23-Mitglieder-Zirkel von Raba nur eine Vereinshülle ist ohne jeden Kern.
Das hat inzwischen sogar das Bundeskartellamt gemerkt. Worauf das Amt der Liga-Clique ins Stammbuch geschrieben hat, sie sollen in Leipzig gefälligst was ändern, wenn sie 50+1 erhalten wollen. Weil du sonst die Chancengleichheit komplett in der Pfeife rauchen kannst. Damit bringt das Amt auch den aktuellen Zustand der Liga auf den Punkt. Es stellte nebenbei fest: Aktuell gibt's in der Bundesliga keine Chancengleichheit. Im Moment gibt's auf der einen Seite fünfzehn regelkonforme Vereine – und auf der anderen Seite Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und eben Raba Leipzig. Also Vereinskonstrukte, die von Konzernen unkompliziert gepimpt werden können. Was sie auch tun, wenn der Tabellenstand entsprechend ausfällt. Und jetzt rat mal, welche drei sogenannten Vereine noch nie aus der Bundesliga abgestiegen sind?
Nur am Rande bemerkt: Tatsächlich gibt es für das Problem eine einfache Lösung. Die drei Konzernvereine sollen sich gefälligst fügen oder verschwinden. Aber daran ist nicht zu denken. Neulich wurde der Leverkusener 50+1-Gegner Fernando Carro in den Aufsichtsrat der Deutschen Fußball Liga (DFL) gewählt. Da hat man auch in der Leipziger Marketingabteilung ein paar Pyros gezündet vor lauter Freude.
Gegen diffuse Kommerzkritik
Nachtreten? Schlechter Verlierer, ich? Ach, ich bitte dich. Natürlich hab' ich jedem Gummibärchen, das in unserer Nähe saß, zum Sieg gratuliert. So ehrlich wie ich nur konnte. Ist ja keine unbekannte Übung, wenn du mit dem VfB auf Reisen bist. Schließlich haben wir das Spiel nicht drei zu eins verloren, weil Raba eine sportpolitische Mogelpackung ist. Eher, weil wir uns drei Tore selbst reingelegt haben. Jaaa, der VfBeee! Aber trotz allem Gemecker über Raba will ich eins hinzufügen: Versteh mich bitte nicht falsch. Mir geht's nicht um fußballromantisches Kommerz-Lamento. Schließlich hast du recht, wenn du argumentierst, dass der sportliche Betrieb einen braucht, der die Gehälter aller Rasensportler bezahlt. Die hervorragende Autorin Alina Schwermer hat neulich in ihrem mutigen Buch "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" beklagt, dass diese allgemeine Kommerzkritik aus manchen Kurven ziemlich widersprüchlich sei. Wichtiger Punkt, wenn du mich fragst. Denn einerseits stehen die Traditionalisten auf den Barrikaden, wenn sich ein unsympathischer Brausefuzzi wichtig macht. Auch weil dessen Marketing mit Extremsportarten gern mal tödlich endet. Andererseits hörst du keinen Pieps, wenn ein oberschwäbischer Abzockerbetrieb wie das Online-Casino Jokerstars via VfB neue Opfer sucht. Was ja auch tödlich enden kann. Nicht nur für die Zocker, sondern auch für deren Familien.
Also bitte nicht denken, bei den sogenannten Traditionsklubs sei alles heile Welt. Sicher nicht. Aber es gibt eben diesen wichtigen Unterschied, ob du dich an geltende Regeln hältst oder nicht. Falls die 50+1-Regel fallen sollte, weil sich die Raba-Lobby durchsetzt, dann haben wir es plötzlich mit Sportswashing im größeren Stil zu tun, also mit Saudi-Arabien, Katar und – bald noch schlimmer – mit milliardenschweren Oligarchen aus den USA. Dann ist's nicht mehr weit, dann kann ich für das nächste DFB-Pokal-Endspiel mit VfB-Beteiligung einen Flug nach Riad oder Texas buchen. Oder es eben sein lassen. Was übrigens gar nicht so weit hergeholt ist, wie sich neulich in Spanien gezeigt hat. Dort wollten sie ein spanisches Pokalfinale auf einen anderen Kontinent verlegen. Allen Ernstes.
Doch bevor ich's mit dem Lamento endgültig übertreibe, hier mein Leipzig-Tipp, den ich allen ans Herz lege, die die Kickerei wirklich lieben. Im Südosten der Stadt liegt das Bruno-Plache-Stadion, eine subkulturell verratzte Stadionbaustelle vom Feinsten. Hier spielt "Loksche", der aktuelle Tabellenführer der Regionalliga Nordost, sprich vierte Liga. So muss Fußball sein. Zuschauer knietief im Schotter. Keine Toilettenkachel ohne Kleber. 90 Minuten edelste Frustration über die spielerischen Grenzen der eigenen Mannschaft. Und wie es halt so ist im richtigen Leben: Alle politischen Richtungen vertreten. Gewiss kein Hochglanzprodukt. Dafür ehrliche Basisarbeit – in fußballerischer wie gesellschaftlicher Hinsicht. Sagen wir mal; ein absolut authentisches Feinschmeckermenü. Hier findest du Trost, wenn du den pappsüßen Nachgeschmack vom Samstagnachmittag loswerden willst. Leipzig hat die ganze Bandbreite. Vom professionellen Eventbetrieb über die Traditionsklubs Lok und Chemie bis zum Szene-Projekt "Roter Stern". Und mal ehrlich: für mich praktisch innere Reinigung. Wenn du aus der kontaminierten Zone kommst, tut's richtig gut, schnell wieder echten Fußball einzuatmen.
Veranstaltungshinweis: Alina Schwermer und Martin Krauss, die Autor:innen der beiden oben erwähnten Bücher, sind am Montag, 24. November, zu Gast im Hospitalhof in Stuttgart-Mitte, Büchsenstraße 33. Sie diskutieren, wie der Sport seine Werte erhalten kann, wenn sich die internationale Sportpolitik immer unverschämter an die mächtigen Autokraten heranwanzt. Kontext-Kolumnist Bernd Sautter moderiert. Der Eintritt ist frei, weitere Infos und Anmeldung hier.
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