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Abseits im Stadion

Kaum zu glauben

Abseits im Stadion: Kaum zu glauben
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Das Verhalten junger sogenannter Fußballfans rund um den Stadionbesuch ist allzu häufig allzu unangenehm. Zum Glück trifft unser Kolumnist beim Fußball auch auf andere Menschen. Und er erfährt dabei bisweilen Erstaunliches.

Es ist mir grad' vollkommen egal, ob laut Statistiken die Gesamtzahl der Gewalttaten rund um Fußballspiele seit 2016 oder seit wann auch immer gesunken ist, oder ob weniger Polizei eingesetzt werden muss rund um Stadien und Spiele. Denn auch ohne ganz konkrete Körperverletzung oder Sachbeschädigung geht es mir immer mehr auf den Senkel, dass viel zu viele Leute sich beim Fußball unangenehm und aggressiv verhalten. Und zwar bei jedem Spiel, in jedem Stadion der ersten und zweiten Liga mindestens. Und wenn ich dritte, vierte oder fünfte Liga vor Ort sehe, ist es häufig genauso, nur eben mit weniger Leuten.

Feiern super, aber bitte friedlich

Gegnerschmähung natürlich immer ein Stück weit okay, auch Spottgesänge Richtung Gästeblock gehören dazu – schließlich muss man nicht mit jedem Club befreundet sein, es geht ja um sportliche Rivalität. Aber: diese ganzen pickligen Idioten, die – häufig angesoffen und fast immer in der Gruppe – mit Stinkefingern um sich werfen und hasserfüllt irgendwelche üblen Beschimpfungen brüllen, die in den allermeisten Fällen auch sauber als sexistisch und/oder homophob durchgehen; diese ständigen Feindseligkeiten und Drohgebärden, Flaschenwürfe, das gewalttätige Wegnehmen von Schals, Trikots, das halb oder ganz vermummte Auftreten, Mundschutz, spezielle Handschuhe mit höherem Verletzungseffekt, als sei man mit irgendeiner Kampftruppe in einem postapokalyptischen Videospiel unterwegs, gejagt von Zombies und angewiesen darauf, die Feinde zu erlegen und sie dann zu fressen. Was soll das, bitteschön? Warum seid Ihr so? Warum hängt Ihr mit nacktem Oberkörper und Tuch vor dem Gesicht am Zaun wie die Affen? Warum habt Ihr, wenn die Tücher verrutschen, alle sichtbar Schaum vor dem Mund vor lauter Hass? Und warum zur Hölle darf ich mit dem Trikot meiner Mannschaft nicht in diesen und jenen Block und muss aufpassen, dass ich nicht in die falsche Richtung laufe und auf "Fans" des Gegners treffe?

Es ist ganz und gar wunderbar, wenn die ganze Kurve tobt. Wenn sie die eigene Mannschaft anfeuert und immer auch ein bisschen sich selbst feiert. Es ist pure Gänsehaut, wenn das ganze Stadion (minus Gästefans) das eigene Lied singt. Beim VfB haben wir leider kein Lied oder versuchen gerade etwas bemüht, eines zu etablieren. Aber dass die Gegner, Mannschaft und Anhänger, immer "Schweine" sein müssen oder "Fotzen", der Schiedsrichter immer mindestens ein "Arschloch", das erschließt sich mir nicht. Reicht da nicht ein "Idiot" für die normalen Fehlentscheidungen, und das "Arschloch" nur für ganz eklatante Irrtümer, sammermal: unberechtigte Foulelfmeter gegen die eigene Mannschaft?

Diese Aggressivität und Feindseligkeit, das muss doch nicht sein. Genauso wenig wie das ständige Gerotze der Spieler. Machen das die Hockey-Leute auch? Die Beachvolleyballer, Faustballer, Footballer, Rugbymenschen?

Und wo ich Footballer schreibe: Warum können die Leute beim American Football im College oder in der NFL, wo es noch um so viel mehr Geld geht als in der Fußball-Bundesliga, warum können also die Leute dort in allen möglichen Trikots kommen, mit Mützen egal welcher Clubs oder Colleges – und es gibt keine Blocktrennung, es werden die gegnerischen Lager nicht von berittener Polizei getrennt, in Sonderzügen separiert angefahren. Nach dem Spiel müssen sie in "ihrem" Block bleiben, bis die anderen weg sind, erst dann dürfen sie mit Polizeieskorte zum Bahnhof in ihren Zug, den sie dann natürlich besoffen zerlegen und andere Fahrgäste anpöbeln? Sind die Amerikanerinnen und Amerikaner denn bessere Menschen? Friedliebendere, weniger aggressive? Verzeihen Sie bitte, dass ich an dieser Stelle kurz heiser lache.

Wer sind die Vorbilder?

Das Gehabe viel zu vieler Zuschauender in den Fußballstadien ist ätzend. Vielleicht liegt es daran, dass die Leute, wegen derer man ins Stadion geht, auch häufig ätzend sind. Und unfair. Das ständige Simulieren stärkster Schmerzen. Die vielen Rudelbildungen, das gockelhafte Brusthaarduell hier und da, das Gerotze immer und überall. Bei den aktiven Fußballern scheint klar, warum die das so machen: Die sehen es seit frühester Jugend so und nicht anders. Bei ihren Idolen, den Stars, den Bundesligaprofis und Nationalspielern. Die machen einfach das, was ihre Idole auch machen, so lange, bis sie selber landesweite Idole sind. Jeder, der in der Bundesliga kickt, der hat doch seit der E-Jugend in jedem Spiel fünf bis zehn Tore geschossen. Der wird angehimmelt und beneidet, seit er sechs Jahre alt war. Der ist immer der Star, immer der ganz besondere Typ. Und orientiert sich selbst immer nur an denen, die dort angelangt sind, wo er hin will. Aber die pöbelnden "Fans"? Orientieren die sich alle an gewalttätigen faschistischen Anhängern von Lazio Rom? Oder an englischen Hooligans der 1970er-Jahre? Oder an Berliner Clans aus zeitgenössischen TV-Serien?

Feier des Murmeltiertags in Bockenheim.

Am Wochenende war ich vor Ort in Liga Zwo, Kaiserslautern gegen Fürth auf dem schönen Betzenberg, und wenn mein Herzensclub, der VfB Stuttgart, absteigen sollte, dann hab' ich mich immerhin schon mal akklimatisiert. Oder auch mental und atmosphärisch eingestimmt auf mögliche Relegationsspiele am Ende der Saison. 40.000 Menschen waren am Samstag da, der "Betze" ist immer ein Erlebnis und ein absolutes Pflichtstadion für alle, die gerne zum Fußball gehen. Pfälzerinnen und Pfälzer an sich ja auch sehr liebenswerte, sympathische Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, ich war in bester Gesellschaft und hatte großen Spaß. Wussten Sie zum Beispiel, liebe Leserinnen und Leser, dass der hierzulande vor allem aus dem Film "Und täglich grüßt das Murmeltier" bekannte Murmeltiertag auf eine Pfälzer Bauernregel zurückgeht und mit den Auswanderern nach Pennsylvania gebracht wurde? Seit ein paar Jahren drehen sie den Spieß quasi um und feiern die skurrile Wetterprognose auch hierzulande wieder. Im Jahr 2020 fand sie mit Murmeltier "Bockrem Bert" erstmals in der Pfalz statt, in Bockenheim. Also wenn das kein Ding ist, dann weiß ich auch nicht.

Den Zug vollgekotzt und rumproletet haben einige angesoffene Jungs auf dem Weg Richtung Kaiserslautern allerdings schon morgens um halb elf auf der Hinfahrt. Und leider scheint es, als sei das total normal und gehöre eben dazu. Kaum zu glauben.


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1 Kommentar verfügbar

  • Jo Steiner
    am 03.03.2023
    Antworten
    Es ist wirklich seltsam: es gibt viele Sportarten, wo sich Fangruppen bilden zu Unterstützung, aber nur beim Fussball gibt es solche Exzesse, nur dort hat man "Ultras", was auch immer das sein mag, und nur dort hat man Feindschaften, die ans Eingemachte gehen, siehe Stuttgart-Karlsruhe,…
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