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Radical Feminists und Transfrauen

Diskursfetzen

Radical Feminists und Transfrauen: Diskursfetzen
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Genderkritisch oder transphob? In feministischen Diskussionen um die "Transfrage" zeigen sich auffällige Parallelen zur "Israelfrage", die vor allem im linken Diskurs ein bis heute ungelöstes Problem ist.

Eine meiner frühesten Erinnerungen in linken Kontexten war der Streit übers "Pali-Tuch" so gegen 2006. Während sich Linksalternative davor nicht kollektiv darüber echauffierten, wenn Leute mit dem oft einfach aus modischen Gründen getragenen "Palästinensertuch" durch die Gegend spazierten, verkam der schwarz-weiße Fransenstoff auf einmal zu einem No-Go-Accessoire. Vielleicht kam es mir auch nur so vor, weil ich nicht links sozialisiert wurde und mit 16 noch nicht Teddy Adorno zitieren konnte. Doch das Pali-Tuch stand in meiner Wahrnehmung plötzlich zur Disposition und nicht mehr allgemein für linkes Andersdenken, für (eher abstrakte) Solidarität mit Befreiungskampf, gegen Dorfnazis oder konservative Eltern, sondern wurde zu einem Zeichen gegen Israel und für Antisemitismus. Linkssein wurde kompliziert.

Mir persönlich war's wurscht, ich hatte nie ein Pali-Tuch. Ich trug Nietengürtel und mein persönliches Kriegsfeld lag immer schon mehr im feministischen Kampf als in unerbittlichen Israel-Auseinandersetzungen zwischen Antideutschen und Antiimps, die sich auch auf vielen linken Partys regelmäßig zum Iron Dome der guten Laune entwickeln konnten. Aber ich erinnere mich gut an – vor allem männliche – Genossen, die hart vor den Kopf gestoßen waren, nachdem Gregor Gysi als Fraktionschef der Linken im Bundestag Mitte April 2008 auf einer Tagung der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Thema "60 Jahre Israel" die Bombe platzen ließ: "Solidarität mit Israel" müsse integraler Bestandteil der "deutschen Staatsräson" sein. Antiimperialismus könne in linken Diskursen "nicht mehr sinnvoll platziert werden". Antizionismus könne für Linke im Allgemeinen und auch für die Partei "keine vertretbare Position mehr sein". Klatsche für linke Fundis und SED-Kader in Parteireihen, die kein besonderes Verständnis für die Sicherheitsinteressen Israels hatten und jetzt unter Druck gerieten. Empörung, Streit, Enttäuschung unter Altlinken und Palästina-Fans. Spaltung hier und dort. Tränen auf dem Pali-Tuch.

Geht's unter Linken um Israel, glühen Köpfe, krampfen Finger. Dann wird's hochemotional und selten rational. Anstrengend ohne Ende. Dabei ist die obsessive Auseinandersetzung mit dem Nahost-Konflikt vor allem ein Männerthema und ging mir schon immer auf die Nerven, weil es meist mit Mackertum und Profilierung einherging. Umso verrückter ist es, dass mir mitten im Schlachtfeld eines feministischen Streits auffällt, wie sehr dieser in vielen Teilen strukturell den leidigen linken Israel-Debatten ähnelt!

Es ist fucking kompliziert

Klingt weit hergeholt, aber die Struktur vom medial wieder absurd gehypten, zuweilen unterkomplex repräsentierten Thema "Transgender" erinnert mich stark an die Art, wie linke "Israelkritik" betrieben wird. Seit bekannt wurde, dass das Selbstbestimmungsgesetz das diskriminierende, über 40 Jahre alte "Transsexuellengesetz" (TSG) ablösen soll, herrscht Kernel Panic im gefühlten Kulturkampf vieler Konservativer und Rechter. Aber auch Feministinnen fühlen sich davon bedroht, dass Menschen ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister ohne aufwändige und teure Gutachten und intimste Einblicke des Staates ins Private selbst wählen können sollen. Wie kann das sein? Kämpfen Feministinnen nicht eben gegen Diskriminierung und Unterdrückung? Naja, so einfach wie bei den Linken ist's halt auch mit dem Feminismus nicht. Über 150 Jahre Frauenkampf hat Frauen zwar gemeinsam vom Objekt- in den Subjektstatus überführt, das heißt aber nicht, dass es keine verschiedenen Strömungen, konträre Interessen und Streits unter ihnen gab.

Die bürgerliche Frauenbewegung etwa ist nicht mit der proletarischen Frauenbewegung zu vergleichen. Während die einen versuchten, innerhalb einer bestehenden, akzeptierten Gesellschaftsordnung mehr bildungspolitische Rechte zu erstreiten, war der "Feminismus" einer Clara Zetkin in die sozialistische Arbeiterbewegung eingebettet, die Frage nach der Unterdrückung der Frau stellte sich hinsichtlich des Klassenkampfes und sollte mit der Befreiung aller Menschen hinfällig sein. Radical Feminists machen die Unterdrückung der Frau an ihrem biologischen Geschlecht fest und führen ihren Kampf gegen das Patriarchat deshalb vor allem gegen Männer als die (Re-)Produzenten der Unterdrückung. Marxistinnen hingegen sehen ein Problem darin, dass sich Feministinnen entlang der Klassenlinie spalten, einen unterkomplexen Begriff von "Patriarchat" haben und verkennen, dass Männer nicht bloß Verbündete des Kapitals sind, sondern ebenfalls von ihm unterdrückt werden. Und seit mit den "Queertheories" und Judith Butlers "Unbehagen der Geschlechter" in den 1990ern die Ansage die Runde machte, dass es "biologisches Geschlecht" überhaupt nicht gibt, hat's den Feministinnen aller Länder vollends die Spule aus der Denkerkappe gehauen über die Frage, was denn nun eine Frau ist – und wie ihre Unterdrückung beendet werden kann. Die einen denken Frausein als performativen Akt. Die anderen sehen die Frau als Klasse, die vom kapitalistischen System produziert und unterdrückt wird. Die Dritten reduzieren sie auf ihre Biologie und sind überzeugt von Zweigeschlechtlichkeit als maßgeblichem Kriterium der Frau und ihrer Unterdrückung. Und genau in dieses feministische Minenfeld kracht die "Transfrage" aktuell und sorgt für heftig Streit – nicht nur am Stammtisch und bei "Bild".

Der Hauptstreitpunkt dabei ist das "biologische Geschlecht" und ob Transfrauen Verbündete in feministischen Kämpfen sein können. Radikale Feministinnen sagen Nein. Queerfeministinnen sagen Ja. Intersektionale Feministinnen eh. Marxistinnen sagen Jein. Meine Mudder sagt Gendergaga. Und da startet die Sex-Rakete schon Richtung Planet Zorn. Alle haben sie ihre Theorien. Manche haben Bauchgefühle. Sie kriegen sich alle in die Haare. Dabei ist der Witz doch: Selbst wenn Transfrauen keine Frauen sein könnten, würde sich trotzdem nichts an der Tatsache ändern, dass Frauen weiterhin doppelt kapitalistisch ausgebeutet werden: Weiterhin wird man über ihre Gebärmütter bestimmen (Abtreibungsverbot), die sexuelle Ausnutzung ihrer Körper staatlich legitimieren (Prostitution), weiterhin werden sie diejenigen sein, die als industrielle Reservearmee immer dann zum nicht- oder schlechtbezahlten Einsatz kommen, wenn es um gesellschaftlich-reproduktive Tätigkeiten zuhause oder in der Lohnarbeit geht. Weiterhin werden sie jeden dritten Tag von einem (Ex-)Partner getötet werden. An der Situation der Frau im Kapitalismus wird sich rein gar nichts verändern, wenn Transfrauen keine Frauen sein können und Frausein auf Biologie reduziert wird. Denn surprise, surprise: Die Situationen von Transfrauen ist noch viel beschissener als die von "biologischen Frauen". Sie sind häufiger Opfer von männlicher Gewalt und Diskriminierung, leiden deshalb unverhältnismäßig oft unter psychischen Problemen, die sie in die Arbeitslosigkeit zwingen oder in die Prostitution.

An Eiern hängen Menschen

Daran ändert sich auch nichts, wenn zum hundertsten Mal "die Biologie" als notwendige Bedingung von "Frausein" ins Feld geführt und soziokulturelle wie politische Implikationen der menschlichen Vergeschlechtlichung kategorisch ausgeklammert werden. An Eiern und Samen hängen am Ende immer noch Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft und keine Fische im Teich. Dass Feministinnen aktuell obsessiv damit beschäftigt sind, Horrorgeschichten von vergewaltigenden Transfrauen in die Welt zu blasen und ständig twittern, dass Frauen keinen Penis haben oder dass es nur zwei Geschlechter gibt, trägt nicht zu einer Lösung von Frauenproblemen bei, die sich im Verhältnis zwischen Patriarchat und Kapitalismus generieren. Es führt vielmehr zur Frage, ob die aggressive Anti-Trans-Haltung einiger Feministinnen nicht vielleicht das Pali-Tuch von weißen Altlinken ist: ein Diskursfetzen, der heute schwer vertretbar ist, ohne (unbewusste oder bewusste) transphobe Anteile zu offenbaren.

Er macht aber nicht jede belesene Kritikerin der "Queertheories", nicht jede Lesbe, die keine Frauen mit Penis daten will, nicht jede Biologin, die Zweigeschlechtlichkeit vertritt, und nicht jede Frau, die keine Würstchen im Safe Space sehen will, zu einer "TERF" (Trans-Exclusionary Radical Feminism = Trans-ausschließender radikaler Feminismus) – einer populistischen Hassfigur für alle erdenklichen Projektionen auf Frauen und Feministinnen, die Transfrauen aus ihrem Befreiungskampf ausschließen. Wenn "Genderkritik” jedoch obsessive Züge hat, wenn Transfrauen dämonisiert werden, indem sie generalisiert als Bedrohung für "echte Frauen" angesehen werden, wenn Transfrauen delegitimiert werden und ihnen die Schuld für die Unterdrückung der Frau in die Schuhe geschoben wird; wenn ihr Aussehen hier als "nicht weiblich" genug und dort als hyperweibliche Frauenparodie kritisiert wird, dann muss sie sich den Vorwurf gefallen lassen, transphob zu sein.

Und hier schließt sich der Kreis zur Israel-Debatte. Denn mit den bekanntesten Unterscheidungskriterien zwischen Kritik und israelbezogenem Antisemitismus, die der israelische Autor Natan Sharansky in "Antisemitismus in 3-D" 2003 entwickelte und grob in "Dämonisierung", "Doppelstandards" und "Delegitimierung" einteilte, muss man fast schon lachen, wie gut sie auch auf die "Transfrage" und transbezogene Ressentiments passen.


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4 Kommentare verfügbar

  • Peter Nowak
    am 16.08.2022
    Antworten
    Die Antisemitismusdebatte in der deutschen Linken war schon komplexer und facettenreicher als hier dargestellt.
    Sie hatte wenig mit Gysis Erklärung von Israel als deutsche Staatsraison zu tun, mit der die PDS regierungsfähig werden sollte.
    Viele israelsolidarische Linke hingegen wollten bestimmt…
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