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Schlechte Zeiten

Nochmal abkassieren

Schlechte Zeiten: Nochmal abkassieren
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Finanzminister, Oppositionsführer, ehemaliger VfB-Aufsichtsratsvorsitzender: Unsere besten Männer zeigen, wie's geht. Fasziniert schauen wir zu, starren auf die Gasstandsmeldungen und hoffen auf die Winter-WM.

Gas-Triage und immer noch Corona, Kreise und Kommunen planen angeblich, Wärmehallen einzurichten für den Fall der Gasknappheit – und wahrscheinlich werden jetzt endgültig alle verrückt, wenn sie nicht schon vorher an der Hitze gestorben sind. Freuen wir uns also auf stündliche Gasstandsmeldungen der Bundesnetzagentur zu den Füllständen unserer Gasspeicher. Das klickt noch deutlich besser als Inzidenzen und R-Werte und sich selbst entzündende Wälder und Wiesen. Robert-Koch-Institut mit Wieler und den Virus-Varianten ja sowas von gestern – jetzt geht's ums Gas. Da klicken wir wie irre, zwischendurch poppt Super-Söder mit neuen Forderungen auf – und während wir uns auf Politik-Soziopathen und Clickbaits konzentrieren, kann das EU-Parlament in aller Ruhe Mehrheiten gegen Fakten organisieren und Atomkraft und Gas als nachhaltig deklarieren. Und die Bahn mitsamt der verantwortlichen Politik kann in aller Seelenruhe weiterhin zuschauen, wie jede Fahrt mit ihren Zügen zum Abenteuer wird. Ob auf unseren maroden Gleisen auch so viele Leerzüge fahren, wie die Lufthansa leere Flugzeuge fliegen lässt, während die Städte ihre Freibäder runterkühlen, nur noch kalt duschen lassen und der Bürger eine Stoppuhr an die Regenbrause hängt?

Und dann war da noch Dieter Hundt, der gerade in den StZN bejubelt wurde. Der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der so genannten "dt-Connection" mit Sportchef Horst "Shopping-Hotte" Heldt und Präsident Erwin "Balanced-Airwin" Staudt beim VfB Stuttgart, damals in Personalunion beziehungsweise hauptberuflich Arbeitgeberpräsident und ganz nebenbei auch Chef des Uhinger Blechbiegers Allgaier, eines der Automobilindustrie zuliefernden Unternehmens nah am Daimler, weswegen er seinerzeit jeglichen Einstieg von Porsche oder Toyota oder sonstwelcher "Konkurrenten" als Investor beim VfB mit beinharten Intrigen oder einfachem Ignorieren schlichtweg verhinderte. Jahrzehntelang gerierte dieser Hundt sich als Big Besserwisser in allen Fragen zum Standort Deutschland, zu Wirtschaft und Industrie und warum die Arbeitnehmerin sparen müsse und bescheiden sein. Und ein Hoch auf deutsches Unternehmertum und Mittelstand und Know-how und wir sind die besten – also er, genaugenommen.

Dann aber sickert Anfang Juli durch, dass Dieter Hundt die Allgaier-Werke an chinesische Investoren verklopft hat, also die Anteile, die er und seine Kinder bislang gehalten hatten, insgesamt rund 80 Prozent. Die halten jetzt also Chinesen. Und in der FAZ wird der oberste dieser Chinesen-Investoren folgendermaßen beschrieben: Scanny Cai war "laut seinem Linkedin-Profil in der Vergangenheit für Shell und Mercedes und einen Autozulieferer in China und Europa tätig." Laut seinem Linkedin-Profil. Ist das nicht stark?

Rock und Hals werden dicker und dicker

Also genauso wie Big Oil in den USA und sonstwo das Weltklima und das Wohl und Wehe des Planeten ignoriert und lieber sich und den Seinen die Taschen weiter vollmacht, so pfeift Dieter Hundt, gedeckt wohl von den für die Kontrolle derartiger Verkäufe zuständigen Behörden, auf wachsende Abhängigkeiten und die Leute, die jahrzehntelang für ihn gearbeitet haben, ja eigentlich auf alles, was er bislang immer so lautstark gefordert und herausposaunt hat – und kassiert lieber nochmal richtig ab. Wasser predigen und Wein saufen. Hoffentlich bauen die Chinesen schnell ein Umerziehungslager in Uhingen und stecken den Hundt mit "dt" dort rein. Ganz im Sinne des Spruchs "Es friert im dicksten Winterrock der Säufer und der Hurenbock" möge er dann dort vor sich hinfrieren, der alte "dt".

Apropos dicker Rock: Den werden wir ja möglicherweise dringend brauchen im kalten Winter, wenn die Heizungen runtergefahren werden. Da mag es uns doch zum Trost gereichen, dass unser Finanzminister seine Hochzeit als Homestory an den Boulevard vergibt und alle möglichen und unmöglichen Medien uns stündlich mit sommerlichen Bildern aus Sylt versorgen – gleich als ob Christian Lindner unser König wäre oder unser di Caprio, mindestens. Wie Frederick, die farbensammelnde Kinderbuch-Maus des famosen Leo Lionni, bewahren wir uns die warmen Bilder derer, die auf absolut alles scheißen, für die kalten Wintertage auf. Inklusive den Blackrock-Merz, der es sich nicht nehmen lässt, sein Flugzeug selbst nach Sylt zu steuern – und sich natürlich dabei fotografieren zu lassen.

Damit wir uns hier nicht falsch verstehen: Der Finanzminister kann heiraten, wie und wo und mit wem er will. Er kann es gerne auch richtig krachen lassen. Aber nicht mit begleitenden Homestories in den Medien. Und wenn ich beim Neffen den Patenonkel machen soll, dann sagt mir die Kirche, das ginge nicht, weil ich ausgetreten bin. Warum das beim ebenfalls längst ausgetretenen Lindner trotzdem mit kirchlicher Trauung geht und obendrein in den buntesten Farben berichtet wird? Das sind dann eben die Zeiten, in denen wir leben. In solchen Zeiten fliegt man, um die nötigen Flugstunden zu sammeln, halt auch als Merz nicht diskret dreimal um Frankfurt-Egelsbach herum, sondern direktemang zur Sansibar. Es sind keine guten Zeiten ...

Zum Glück findet die Fußball-WM der Herren heuer im Winter statt. Da können wir uns in unseren kalten Wohnungen dicht an dicht vor der Glotze drängen, uns gegenseitig wärmen mit unserer Begeisterung für "Die Mannschaft" und gleichzeitig weiter an unserer Herdenimmunität arbeiten. Natürlich nur, wenn sie uns bis dahin nicht auch den Strom abgedreht haben.


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