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Gender-Pay-Gap im Fußball

Runter mit dem Finger!

Gender-Pay-Gap im Fußball: Runter mit dem Finger!
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Unser Autor schämt sich. Wegen des DFB-Desasters beim Thema Equal Pay. Und wegen des moralischen Zeigefingers, den Deutschland, egal wo auf der Welt, allzu häufig zeigt.

Angesichts der galoppierenden Verdummung und Verfettung der Bevölkerung, der Verrottung der Infrastruktur, der im internationalen Vergleich in so vielen Bereichen in die Zweit- und Drittklassigkeit abschmierenden Verhältnisse hierzulande – schiergar könnte man griesgrämig werden dieser Tage. Außer man gehört zu denjenigen, die an Krisen und am allgemeinen Niedergang verdienen, finanziell verdienen. Dann natürlich den richtigen Riecher in ein goldenes Näschen verwandelt, Taschen voll, raff raff raff hort hort hort, was geht mich die Zukunft an, nur das Heute zählt, und heute will ich so viel wie möglich.

Jenseits all der maroden Brücken und Bahnstrecken und Straßen und Lokomotiven und Schulen und Kindergärten und der miserablen Art und Weise, in der wir unsere Kinder beziehungsweise deren Bildung behandeln und die Menschen, die sich um diese Kinder kümmern und um die Kranken und Alten, jenseits all dieser generell deprimierenden Zustände ist aber eines ganz besonders ärgerlich: die Borniertheit und nachhaltige Arroganz weiter Teile der deutschen Gesellschaft gegenüber anderen Gesellschaften.

Als deutscher Mann zum Beispiel schäme ich mich geradezu angesichts des Theaters um die Höhe der Geldprämie, die eine deutsche Fußball-Nationalspielerin im Falle eines Titelgewinns bei der anstehenden Europameisterschaft in England erhalten soll. Okay, 60.000 Euro sind kein Pappenstiel oder doch zumindest ein ziemlich dicker – ein Mann hätte letztes Jahr für den EM-Titel allerdings 400.000 Euro bekommen. Aber hey, gut zu wissen, dass überhaupt eine Fußball-EM der Frauen stattfindet, denn allzu ausufernd wird ja nun nicht gerade darüber berichtet. Kein Wunder, ließ sich Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in der vergangenen Woche auch mit folgendem Zitat zur Sache aus: "Ich wünsche mir, dass wir tatsächlich ein großes Fußballturnier vor uns haben – und das ist nicht die WM in Katar, sondern das ist die EM in England."

England, Norwegen, Finnland, Schweden, Island, Spanien, die Niederlande und die Schweiz – acht der 16 EM-Teilnehmerländer haben Equal Pay bereits seit Jahren umgesetzt oder ganz konkret beschlossen, das bis spätestens 2024 zu machen. Die USA ging international voran. Und der DFB, der weltgrößte Sportverband? 60.000 vs. 400.000. Und keine konkreten Schritte. Dafür wir umso energischer unseren moralischen Zeigefinger hebend, wenn irgendwo auf der Welt Gleichberechtigung anzumahnen ist, wenn anderswo Leute zu belehren und darauf hinzuweisen sind, dass es so ja bitteschön nicht gehe.

Und wir reden hier noch nicht einmal von den oberen Fußballligen im Lande. Hier geht es nicht darum, ob bundesligaspielende Frauen genauso bezahlt werden müssten wie die männlichen Kollegen. Hier geht es "nur" ums länderspielende Personal. Um Prämien und Sponsorengelder für die Nationalmannschaft. Und nicht einmal das kriegen wir hin.

Schlimm genug, dass es auch in der Männer-Bundesliga immer noch Teams gibt, die den Frauenfußball behandeln wie eine ansteckende Krankheit. Aber okay, jeder Club kann machen, was er will, kann seine gesellschaftliche Verantwortung und Vorbildfunktion als reichweitenstarker Verein ernst nehmen oder nicht – da ist der Fußball auch nicht besser als der Rest der Gesellschaft. Aber dass es, ich wiederhole mich, dass es nicht mal der Deutsche Fußball-Bund hinbekommt, sich wenigstens in dieser einen Frage nicht lächerlich zu machen – das ist schon beschämend.

Und wo wir gerade dabei sind, uns über den moralischen Zeigefinger zu ärgern: Mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder müssen wir keineswegs einverstanden sein, und es ist niemals falsch, sondern geradezu zwingend geboten, menschenunwürdige Verhältnisse und Strafverfolgung von Selbstverständlichkeiten anzuprangern, wo immer man sie vorfindet. Aber so lange sich nicht auch nur ein einziger aktiver Profifußballer hierzulande als homosexuell outen kann, weil das in unserer ach so modernen Gesellschaft einfach nicht auszuhalten wäre – so lange sollten wir es auch nicht gar zu sehr übertreiben mit unserer Empörung darüber, dass andere Länder von Besucher:innen erwarten, ihre Homosexualität nicht allzu offen zur Schau zu stellen. Wer beim Empören über andere weit vorne steht, der sollte schauen, dass er bei sich daheim nicht allzu weit hinten steht. Zumal wir ja auch andersrum ganz gut können, solange nur unsere großen Firmen gut verdienen. Da dürfen gerne auch mal ganze Volksgruppen weggesperrt werden. Das nennen wir dann Realpolitik.

Als Emanuel Geibel 1861 schrieb, dass am deutschen Wesen die Welt genesen möge, hatte er ganz anderes im Sinn als den moralischen Zeigefinger des durchschnittlichen germanischen Besserwissers zu allen möglichen und unmöglichen Fragen eines gesitteten internationalen Miteinanders. Zwar hat uns schon 1952 Bundespräsident Theodor Heuss zu diesem Thema aufgeklärt, als er sagte: "Es ist kein Volk besser als das andere, es gibt in jedem solche und solche. Amerika ist nicht 'God's own country', und der harmlose Emanuel Geibel hat einigen subalternen Unfug verursacht mit dem Wort, dass am deutschen Wesen noch einmal die Welt genesen werde." Es ist aber offenbar allerhöchste Eisenbahn, hier mal wieder an den alten Heuss zu erinnern. Und ein wenig mehr Demut einzufordern von den Leuten. Denn wir sind schon längst nicht mehr so toll, wie viele sich hier finden. Falls wir es jemals waren.


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