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Lärm und Angst

Weniger reden, mehr machen

Lärm und Angst: Weniger reden, mehr machen
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Unser Autor nutzt die 50. Ausgabe seiner Kolumne, um Louis van Gaal zu zitieren. Und um mal etwas weiter auszuholen.

Sport? Wie denn, was denn? Wie soll man Sport, wenn die Frage doch lauten muss: Was haben die Leute von der FDP gegen die Grünen in der Bundesregierung in der Hand? Haben die kompromittierendes Material, Bilder perverser Gelage, wie sie Herrscher von mehr oder weniger Rang von Staatsgästen heimlich machen lassen, damit diese ihnen später aus der Hand fressen? Wie um alles in der Welt kommen die Grünen dazu, statt eines Tempolimits diesen megabescheuerten Tankrabatt durchzuwinken? Ist es wirklich so wichtig, dass wir auch weiterhin möglichst viel verbrauchen statt möglichst wenig? Und was ist los, warum jetzt alle "Hurra, wir rüsten auf" und Iron Dome Arrow 3? Wir können unsere Jungs nicht mal mit warmen Unterhosen ausrüsten und betreiben dann 24/7 ein supermodernes Luftabwehrsystem, und dazu holen wir uns noch Zeugs von den Amis und kaufen von denen Dutzende F-35 und warum nicht gleich Atombomben?

Warum war dieses Geld, dieses Sondervermögen Bundeswehr, bis vor Kurzem angeblich nie da, auch bei den härtesten infrastrukturellen Problemen nicht, aber wenn die Generäle kämpfen wollen ist es plötzlich kein Problem, was zur Hölle? Als ob wir mit unserer Truppe gegen den Iwan oder sonstwen ernsthaft antreten könnten – im Ernstfall verweigern ja eh alle, und wir können schon deshalb nicht verteidigen, weil die Ämter mit der Bearbeitung der Verweigerungen überlastet sind. Da hatte der ehemalige Bundesminister der Verteidigung Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg schon recht mit seinem Wunsch, unsere immer noch viel zu schwerfällige und marode Bundeswehr in eine kleinere, dafür besser ausgerüstete und einsatzfähige Spezialtruppe zu verwandeln. Und noch rechter hat beziehungsweise ist der näselnde Zausel Peter Sloterdijk, der sinngemäß irgendwo meinte, der Deutsche wolle ohnehin nicht kämpfen, und für das Geld könne man gleich eine Söldnertruppe mieten, die uns für zehn Jahre oder länger verteidigt.

Klar muss man helfen, Menschen müssen Menschen helfen, wenn sie in Not sind. Daher helfen wir den Menschen in und aus der Ukraine, denn deren Not angesichts der russischen Mörderbanden ist unermesslich. Und jedes hilft, und jedes postet, wie es hilft, warum helft Ihr nicht auch so toll wie ich? Und bei aller Hilfsbesoffenheit ersaufen weiterhin die Menschen im Mittelmeer, werden an unseren friedensnobelpreisigen Außengrenzen von der EU-Agentur Frontex zurückgezwungen, von wo sie herkommen, an libysche Menschenhändlerbanden verkauft oder gleich ins Wasser geworfen, was ist da los, Ursula von der Leyen, Kanzler, Abgeordnete, Verantwortliche?

Hauptsache laut, Inhalt egal

Wann fangt Ihr an, auch noch unseren schönen Wald abzuholzen, um da Windräder hinzubauen, 30 Jahre mindestens rumgeschlafen beziehungsweise sich alle Fördermittel in den eigenen Wahlkreis oder gleich in die eigene Tasche geschoben, nirgends in die Infrastruktur oder in die Zukunft der Menschen in diesem Land, auf diesem Planeten investiert, sondern den Status Quo bewahrt, dem Verfall zugesehen und die Eier geschaukelt, dass das Kleingeld in der Hosentasche nebendran klimpert und die dicken Scheine knistern.

Und jetzt wieder nach der Atomkraft rufen – als ob, abgesehen von allem anderen, auch nur einer von Euch in der Lage wäre, in seinem/ihrem Wahlkreis ein Endlager durchzusetzen. Aber Hauptsache irgendwas raushauen ohne Plan. Agitation ohne Fundament, Schreien um des Schreiens Willen, es ist ziemlich zum Kotzen!

"Die Zuversicht der Deutschen schwindet", die "Kaufkraft sehen wir dahinschmelzen", ohne Russengas bricht hier alles zusammen – starke Headlines für unsere Medien. Angst lesen alle gern, Angst haben wohl auch alle gern, dann wird noch mehr gekauft. Denn Angst macht den Menschen zum Hamster.

Dass unser Planet an den Arsch geht, dass schon unsere Kinder richtig Stress haben werden, also nicht nur so Stress, den die Menschen in Australien oder auf Tonga haben und von dem wir hier in Artikeln irgendwo weiter hinten lesen beziehungsweise höchstens schnell die Headline mitnehmen – davor scheinen wir keine Angst zu haben, das ist uns genauso wurschtegal wie alle Weltklimaratberichte zusammen. Bevor wir uns damit auseinandersetzen, erregen wir uns lieber wegen der Ohrfeigen.

Ohrfeigen beim Oscar in Hollywood, Ohrfeigen beim Boxen in Dortmund – immer vor laufenden Kameras, alle schauen zu. Christoph Daum, der Fußballtrainer, der Stuttgarter Meistermacher, der sitzt daneben und verzieht keine Miene. Schöne Ablenkung vom Krieg, endlich wieder ganze Titelseitenhälften voll mit Will Smith und Chris Rock, mit Pocher und den Möchtegern-Gangsterrappercomedians. Ob die wirklich Geld verdienen mit dem Dünnsinn, den sie produzieren? Na egal, das knallt so schön, schöner als Streubomben. Und auf die Umwelt ist geschissen.

"Weniger reden, mehr reinigen" durfte ich neulich für eine Organisation texten, die die Gewässer vom Plastikmüll befreit. Und gerne täte ich das generalisieren lassen, per Dekret am Besten, par ordre de mufti: Weniger reden, mehr machen. Weniger unsere Sorgen stolz vor uns hertragen wie eine Trophäe. Mit unserer Angst nicht kokettieren wie hysterische Hollywoodstars. Sondern schauen, wo wir konkret uns engagieren, wo wir helfen können. Durchaus auch leise und im Kleinen helfen können.

Und jetzt: Wie soll man sich da noch um den Sport kümmern? Hingehen gerne, zuschauen, emotional mitgehen, dabei rumbrüllen, durchaus auch mal Bier trinken (nicht werfen) – und die Abstiegsangst oder den Titelkampf, den Sieg oder die Niederlage richtig durch sich durch lassen, als ginge es, wie der großartige Holländer Louis van Gaal einst sagte, um Tod oder Gladiolen. Das ist Hoffen und Bangen, das ist quasi spielerische Angst. Die man gerne auch mal vor sich hertragen kann. Aber das ist etwas ganz anderes, als sich künstlich laut zu machen und zu produzieren mit seiner Angst vor Krieg und Apokalypse und Kälte und Corona und einer leeren Speisekammer.

Frohe Ostern allen. Und leise Ostern, bitteschön.


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3 Kommentare verfügbar

  • Manfred Fröhlich
    am 14.04.2022
    Antworten
    Na dann: Frohe Ostern!
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